Klagen gegen CVS, Walgreens, Rite Aid

Heftige Vorwürfe gegen US-Apothekenketten in der Opioidkrise

Remagen - 08.06.2020, 12:15 Uhr

In den USA laufen derzeit mehrere Klagen gegen Apothekenketten wie etwa Walgreens. Unter anderem wird den Konzernen vorgeworfen, dass sie die Nachfrage nach Opioiden bewusst geschürt hätten. (x / Foto: imago images / ZUMA)

In den USA laufen derzeit mehrere Klagen gegen Apothekenketten wie etwa Walgreens. Unter anderem wird den Konzernen vorgeworfen, dass sie die Nachfrage nach Opioiden bewusst geschürt hätten. (x / Foto: imago images / ZUMA)


In den USA stehen wegen der Opioidkrise neben den Pharmaherstellern und Händlern mittlerweile auch vermehrt die Apotheken im Fadenkreuz der Justiz. Im Januar hatten zwei Counties im Bundesstaat Ohio Klage gegen einige große Apothekenketten eingereicht. Jetzt gibt es eine zweite große Klage, in der die Ketten mit schweren Vorwürfen konfrontiert werden.

Bisher lag der Fokus von Tausenden von Klagen in den USA im Zusammenhang mit der Opioid-Gesundheitskrise hauptsächlich auf Arzneimittelherstellern und -händlern. Die Apotheker sind demgegenüber bislang relativ unbehelligt davongekommen, rekapituliert die New York Times in einer jüngeren Ausgabe. Der Anlass, das Thema wieder einmal aufzugreifen, ist eine neue Klage gegen die großen Apothekenketten CVS Health, Walgreens, Rite Aid, Giant Eagle sowie die von Walmart betriebenen Apotheken.

Viele Verfahren stocken wegen Corona

Die juristische Aufarbeitung der Verantwortung für die Opioidkrise in den USA kommt laut New York Times nicht recht ins Rollen. Bislang sei nur eine Handvoll Klagen gegen Hersteller und Distributoren erledigt. Einige repräsentative Fälle („bellwethers“), die von Bundesrichter Dan Polster in Cleveland aus Tausenden ähnlicher Bundesklagen ausgewählt wurden, um daraus eine allgemeine Richtung abzuleiten, bewegten sich in Chicago und West Virginia durch die frühen Stadien. Fälle des Staates New York und zweier Counties im Bundestaat warteten auf einen gemeinsamen Prozesstermin. Der Prozess hätte am 20. März 2020 beginnen sollen, sei aber wegen des Coronakrise-bedingten Lockdowns verschoben worden.

Kettenbetreiber weisen die Vorwürfe zurück

Auch die Verfahren gegen Apotheken-Einzelhandelsketten lägen bis zum Ausgang der repräsentativen Verfahren auf Eis. Ein Fall, der von den Counties Cuyahoga und Summit in Ohio angestrengt wurde und dem Richter Polster ebenfalls den „Bellwether“-Status zuerkannt hat, soll im November 2020 verhandelt werden. DAZ.online hatte im Januar darüber berichtet. In diesem werfen die Counties den Ketten CVS Health, Walgreens, Walmart und Rite Aid vor, sie hätten mit der Belieferung von Rezepten übermäßige Mengen von Opioiden in Umlauf gebracht und damit die Krise befeuert. Die Kettenbetreiber wiesen die Vorwürfe zurück und zogen ihrerseits gegen die Ärzte zu Felde.

Nachfrage nach Opioiden bewusst geschürt?

Das zweite aktuelle Verfahren mit der am 27. Mai eingereichten 209-seitigen Klageschrift ist deutlich breiter angelegt. Hier attackieren die Counties Lake und Trumbull in Ohio die Ketten CVS Health, Walgreens, Walmart und Rite Aid Giant Eagle an zwei Fronten: zum einen wegen Belieferung ihrer eigenen Apotheken mit Opioiden und zum anderen, weil sie die Nachfrage nach Opioiden bei den Patienten bewusst geschürt haben sollen. Der Prozess ist für den kommenden Mai geplant.

In der Klage, die zwei Counties in Ohio beim Bundesgericht in Cleveland eingereicht haben, wird den Einzelhandelsketten vorgeworfen, in winzigen Gemeinden Millionen von Opioid-Pillen verkauft zu haben. Weiterhin sollen sie Apotheken mit hohem Volumen Boni angeboten und sogar direkt mit Arzneimittelherstellern zusammengearbeitet haben, um Opioide als sicher und wirksam hinzustellen.

Nach den mit der Klageschrift vorgelegten Daten des Bundes betrieben die Ketten von 2006 bis 2014 in Lake County, das 220.000 Einwohner hat, 31 Apotheken und verkauften dort fast 64 Millionen Dosen Oxycodon und Hydrocodon, oder umgerechnet 290 Pillen für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind. In Trumbull County waren die Zahlen im selben Zeitraum sogar noch extremer. Insgesamt 28 Apotheken verkauften dort fast 68 Millionen Dosen an eine Bevölkerung von 209.837 Menschen, oder 324 Pillen für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind.

Fehlanreize für Apotheken und Kungeleien mit Pharma-Herstellern

Nach dem Dokument soll es außerdem Beweise für folgende Vergehen geben:

  • CVS soll mit Purdue Pharma, dem Hersteller von OxyContin, zusammengearbeitet haben, um seinen Apothekern Werbeseminare zum Schmerzmanagement anzubieten, damit sie Patienten und Ärzte über die Unbedenklichkeit des Medikaments in Sicherheit wiegen.
  • Außerdem wird CVS beschuldigt, zusammen mit Endo Pharmaceuticals Briefe an Patienten geschrieben zu haben, in denen sie ermutigt wurden, die Verschreibungen von Opana aufrechtzuerhalten, einem potenten Opioid, dessen Missbrauchspotential so evident sein soll, dass die Food and Drug Administration 2017 anordnete, es vom Markt zu nehmen.
  • Rite Aid soll von 2006 bis 2014 in Painesville, Ohio, einer Stadt mit 19.524 Einwohnern, mehr als 4,2 Millionen Dosen Oxycodon und Hydrocodon unter die Leute gebracht haben. Für Geschäfte mit der höchsten Produktivität soll es Boni gegeben haben.
  • Ein Vertrag von Walgreens mit dem Großhändler AmerisourceBergen soll vorgesehen haben, dass Walgreens seine eigenen Bestellungen selbst überwachen durfte, ohne Aufsicht durch den Großhändler. Ähnliche Bedingungen soll CVS mit seinem Distributor Cardinal Health getroffen haben.

Meldepflichten vernachlässigt und umgangen

Das US-Bundesrecht verpflichtet Hersteller, Groß- und Einzelhändler, verdächtig große Bestellungen für Opioide an die Federal Drug Enforcement Administration (DEA) zu melden. Doch obwohl die DEA. wegen entsprechender Versäumnisse wiederholt Geldstrafen verhängt hat, hätten die Ketten weiterhin übergroße Mengen an Opioiden abgegeben, so die Klage, meist ohne diese zu melden. Walmart soll zur Umgehung der Meldepflicht einen eigenen Mechanismus kreiert haben. Mitte 2012 soll die Einzelhandelskette zwar eine harte Grenze für Opioidmengen festgelegt haben, die an die Filialen verteilt werden durften. Gleichzeitig sei den Läden jedoch erlaubt worden, den Rest ihrer großen Opioid-Bestellungen über Einkäufe von anderen Händlern zu decken.

CVS habe erst 2010 eine unternehmensweite Richtlinie für die Meldung verdächtiger Aufträge eingeführt, nachdem eine DEA.-Prüfung Zweifel geweckt habe, heißt es in der Klageschrift weiter. Die ersten Fälle seien jedoch nicht vor Februar 2012 gemeldet worden, als die Epidemie bereits in Gang gekommen war. Bis November 2013 seien nur sieben CVS-Meldungen solcher Aufträge aus dem ganzen Land eingegangen, keine davon aus Ohio.

Laut New York Times haben die Unternehmen auf eine Bitte um Stellungnahme nicht reagiert. CVS habe per E-Mail eine Erklärung geschickt, in der man auf die Opioid-Verschreibungen von lizenzierten Ärzten verwies, die lediglich ordnungsgemäß bedient worden seien. Die anderen Unternehmen hätten in der Vergangenheit ähnliche Argumente vorgebracht, resümiert die Zeitung.

West Virginia: Apotheken „mit zig Millionen Pillen überschwemmt“

Daneben ist gerade auch in West Virginia ein Klageverfahren gegen Rite-Aid und Walgreens eingeleitet worden, über das die Washington Post berichtet. Beide hätten es versäumt, verdächtige Bestellungen von Opioid-Schmerzmitteln zu überwachen und ihre Apotheken „mit zig Millionen Pillen überschwemmt“, so der Vorwurf der Anklage. West Virginia soll bei weitem die höchste Todesrate infolge von Überdosen durch rezeptierte Opioide gehabt haben.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Apotheken-Ketten in den USA

von Roland Mückschel am 08.06.2020 um 14:22 Uhr

Diese Ketten brauchen wir auch hier in diesem unseren Lande
um mit Verhandlungsmacht die besten Konditionen zum
Wohle unserer Patienten herauszuholen.
Darum die Kette!

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