Die nächste Pandemie-Verordnung

Weg frei für die zentrale Beschaffung von Arzneimitteln

Berlin - 27.05.2020, 17:00 Uhr

Jens Spahn hat seit heute temporär weitere Befugnisse im Arzneimittelbereich. (m / Foto: imago images / photothek)

Jens Spahn hat seit heute temporär weitere Befugnisse im Arzneimittelbereich. (m / Foto: imago images / photothek)


Am heutigen Mittwoch ist die „Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ in Kraft getreten. Hinter dem sperrigen Namen verbergen sich neue, befristete Befugnisse für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Sein Haus kann nun unter anderem Arzneimittel und ihre Wirkstoffe, Medizinprodukte und Desinfektionsmittel zentral beschaffen, lagern, herstellen und in den Verkehr bringen – gesetzliche Vorschriften etwa zum Vertriebsweg oder der Apothekenpflicht gelten nicht. Die ABDA erwartet keine nachteiligen Auswirkungen für die Apotheker.

Am gestrigen Dienstag ist eine weitere Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Bundesanzeiger veröffentlicht worden, die auf einer erst kürzlich im Infektionsschutzgesetz geschaffenen Ermächtigungsgrundlage beruht. Es handelt sich um die „Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ (Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung – MedBVSV), deren Entwurf Minister Jens Spahn (CDU) bereits Anfang April vorgelegt hatte. Während andere Verordnungen, die auf den mit dem 1. Bevölkerungsschutzgesetz geschaffenen Ermächtigungsgrundlagen fußen, sehr schnell in Kraft traten – etwa die für Apotheken relevante SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung –, hat es hier etwas länger gedauert. Nach Informationen von DAZ.online lag dies daran, dass der Entwurf zunächst länger im Bundesjustizministerium lag und dann noch das EU- Notifizierungsverfahren durchlaufen musste. Doch nun ist die Verordnung wirksam.

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Auch die Apothekenpflicht ist nicht mehr sicher

Noch mehr Macht für Spahn

Grundsätzlich bleibt es dabei: Dem BMG soll befristet ermöglicht werden, Produkte des medizinischen Bedarfs zentral zu beschaffen, zu lagern, herzustellen und in den Verkehr zu bringen. Das Ministerium muss dies nicht zwingend selbst tun, sondern kann auch andere Stellen damit beauftragen. Nicht mehr im Spiel ist jedoch das Bundesinnenministerium, das zunächst neben dem BMG diese neuen Rechte erhalten sollte. Was mit Produkten des medizinischen Bedarfs gemeint ist, verrät die Verordnung in § 1 Absatz 2: Arzneimittel, deren Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe, Medizinprodukte, Betäubungsmittel der Anlagen II und III des Betäubungsmittelgesetzes (verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige bzw. verkehrsfähige und verschreibungsfähige BtM) Labordiagnostika, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Produkte zur Desinfektion. Die BtM sind gegenüber dem Referentenentwurf neu hinzugekommen. 

§ 2 MedBVSV (Auszug)

Beschaffung und Abgabe durch Behörden des Bundes

(1)  Das Bundesministerium kann zu dem in § 1 Absatz 1 genannten Zweck Produkte des medizinischen Bedarfs auch für Stellen außerhalb der Bundesverwaltung selbst oder durch beauftragte Stellen zentral beschaffen, lagern, herstellen und in den Verkehr bringen.

Zweck der Verordnung ist, die Versorgung der Bevölkerung mit diesen Produkten während der am 28. März 2020 vom Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite sicherzustellen. Die Verordnung sieht dazu vor, dass das BMG beziehungsweise die von ihm beauftragten Stellen sowie die Personen, von denen die Produkte beschafft werden, in ihren Aktivitäten nicht zu sehr durch die zahlreichen Vorschriften eingeschränkt werden. So sollen etwa die arzneimittelrechtlichen Regelungen zu Kennzeichnung, Herstellung, Zulassung, Vertriebswegen, Ein- und Ausfuhr sowie die Gefährdungshaftung und die Pflicht zur Deckungsvorsorge keine Anwendung finden. Konkret nennt die Verordnung auch die Norm zur Apothekenpflicht (43 AMG), die in diesen Fällen nicht gelten soll. Ausnahmen von der Arzneimittelhandelsverordnung und der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung sind ebenfalls vorgesehen.

So können etwa im Ausland beschaffte Arzneimittel auch ohne deutschsprachige Kennzeichnung und Packungsbeilage in die Versorgung gebracht werden oder auch Arzneimittel mit abgelaufenem Verfalldatum noch zum Einsatz kommen. Zudem können im Einzelfall – wenn dies nach Vornahme einer Kosten-Nutzen-Risiko-Bewertung zur Sicherstellung der Versorgung erforderlich ist – Verfahren der Zulassung und der klinischen Prüfung beschleunigt werden.

Neue Aufgaben für die Bundesoberbehörden

Was die Abgabe an den Endverbraucher betrifft – die für diese beschafften Produkte ja nicht über die Apotheken läuft –, stellt die Verordnung klar, dass diese unter der Verantwortung eines Arztes oder Apothekers erfolgen muss (§ 3 Abs. 3 Satz 2). Zudem ist die Abgabe nur zulässig, wenn die Bundesoberbehörde, also in der Regel das Bundesinstitut für Arzneimittel, sofern nicht das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zuständig ist, festgestellt hat, dass die Qualität des Arzneimittels gewährleistet ist und dessen Anwendung nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zur Vorbeugung oder Behandlung der Erkrankung erwarten lässt.

PEI kann neue Blut- und Plasmaspende-Kriterien festlegen

Die Verordnung soll zudem dafür sorgen, dass mehr Menschen Blut und Plasma spenden können. Das PEI wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Robert Koch-Institut abweichend von den Vorgaben des Transfusionsgesetzes sowie der entsprechenden Richtlinie der Bundesärztekammer Kriterien etwa zur Eignung von Spendern festzulegen. Im Referentenentwurf wurden hier noch konkrete Vorgaben gemacht, etwa dass die die Altersgrenzen auf 17 bis 70 Jahre ausgeweitet werden sollen (derzeit: 18 bis 68 Jahre). Doch diese sind nun verschwunden.

Gegenüber dem Referentenentwurf wurde noch an einigen weiteren Stellen nachjustiert. So stellt der Verordnungstext nun ausdrücklich klar, dass die Verordnung der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs während der festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite dient. Zuvor war lediglich von einem nötigen Zusammenhang mit der durch SARS-CoV-2 ausgelösten epidemischen Lage die Rede.

Geregelt wird auch weiterhin, dass von den Abnehmern der fraglichen Produkte ein angemessener Aufwendungsersatz verlangt werden soll. Es wird aber nicht mehr auf die Möglichkeit pauschaler Vereinbarungen mit den gesetzlichen oder privaten Krankenkassen verwiesen.

Die Verordnung ist befristet und wird entsprechend des Infektionsschutzgesetzes (§ 5 Abs. 4) mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite außer Kraft treten – spätesten aber mit Ablauf des 31. März 2021.

ABDA: Auch Apotheken könnten beauftragt werden

Die ABDA hatte zu dem Verordnungsentwurf keine Stellungnahme abgegeben. Dafür sah sie keinen Bedarf, erklärte ein Sprecher auf Nachfrage von DAZ.online. Die befristete Regelung ist ihrer Auffassung nach „angemessen“. Die Verordnung erlaube dem BMG nicht, eine generelle Ausnahme von der Apothekenpflicht festzulegen, sondern lediglich in dem Rahmen, den § 2 Abs. 1 MedBVSV beschreibt. Demnach könnte das BMG auch Apotheken mit diesen Tätigkeiten beauftragen. Die Regelung orientiere sich an der Parallelregelung der AMG-Zivilschutzausnahmeverordnung für den Zivil- und Katastrophenschutz. 

Ob und wann das BMG von der Ermächtigung im Hinblick auf apothekenpflichtige Produkte Gebrauch machen wird, lässt sich aktuell nicht absehen. Nachteilige Auswirkungen für Apotheken sind laut ABDA aber nicht zu erwarten.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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