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Portrait – Cannabis sativa

Berlin | Stuttgart - 25.05.2020, 15:00 Uhr

Cannabis Sativa (Foto: martingaal / stock.adobe.com)

Cannabis Sativa (Foto: martingaal / stock.adobe.com)


In den letzten Jahrzehnten hat in der Medizin hierzulande das Interesse an Cannabinoiden stark zugenommen. Schon seit 1998 sind Magistralrezepturen mit Dronabinol (THC) in Deutschland verordnungsfähig, Sativex war das erste Fertigarzneimittel. Richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema dann 2017 mit dem Cannabisgesetz, das unter anderem die Verordnung von Medizinalhanf möglich machte. Hier das wichtigste zur Stammpflanze Cannabis sativa und ihren Inhaltsstoffen.

Cannabis sativa gehört zur Familie der Hanfgewächse und ist eine zweihäusige Pflanze, das heißt, männliche und weibliche Blüten kommen auf getrennten Individuen vor. Letztere sind besonders reich an THC und werden deshalb therapeutisch genutzt. Für die getrockneten Triebspitzen der weiblichen Hanfpflanze (Cannabis sativa) gibt es viele Namen – zum Beispiel Marihuana, Gras oder Weed. Bekannt sind sie vor allem als Rauschdroge, denn ihr Hauptinhaltsstoff, das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), kann beruhigend, stimulierend und halluzinogen wirken. Doch Cannabis hat auch medizinische Bedeutung und wird zum Beispiel bei Krebspatienten gegen starke Übelkeit während einer Chemotherapie oder bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS), die unter Spastiken leiden, eingesetzt.

Die Geschichte von Cannabis als Medizin reicht tausende Jahre zurück: Erstmals als Heilmittel erwähnt wurde die Hanfpflanze etwa 2700 v. Chr. in einem chinesischen Arzneibuch. Im 19. Jahrhundert wurde sie in Europa unter anderem zur Behandlung von Schmerzen, Schlafstörungen und Depressionen angewendet. Ende der 1980er-Jahre fand man heraus, dass der Mensch über körpereigene Stoffe verfügt, die den pflanzlichen Inhaltsstoffen, den Cannabinoiden, sehr ähnlich sind und die über das sogenannte Endocannabinoidsystem wichtige biologische Funktionen im zentralen Nervensystem und in vielen anderen Organen ausüben. Über diese Strukturen versucht man auch, die therapeutisch interessanten Wirkungen von Cannabis sativa zu erklären. Cannabis sativa enthält rund 400 verschiedene Inhaltsstoffe, davon etwa hundert verschiedene Cannabinoide sowie diverse Terpene und Flavonoide. Cannabinoide sind chemisch gesehen C-21-Terpenphenole, die als charakteristische Substanzgruppe von Cannabis sativa L. gebildet werden und von denen über 100 Verbindungen isoliert wurden.

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Die wichtigsten Cannabinoide aus der Hanfpflanze sind das berauschende Tetrahydrocannabinol (THC) und das am zweithäufigsten vorkommende, nicht berauschende CBD. Cannabidiolsäure und Δ9 -Tetrahydrocannabinolsäure sind die Vorläufer dieser pharmakologisch am besten erforschten Cannabinoide Cannabidiol (CBD) und Δ9 -Tetrahydrocannabinol (THC).

Das psychoaktive THC wirkt als Partialagonist an CB1 - und CB2 -Rezeptoren. Da zum Zeitpunkt der Entdeckung der natürliche Ligand nicht bekannt war, wurden die Rezeptoren als Cannabinoid-Rezeptor CB1 und CB2 bezeichnet. Erst in den 1990er-Jahren fand man die endogenen Liganden für CB1 und CB2. Obwohl die körpereigenen Liganden Arachidonsäure-Derivate aus dem Lipidstoffwechsel sind, blieb man bei der nomenklatorischen Festlegung und bezeichnete sie nicht ganz zutreffend als endogene Cannabinoide beziehungsweise Endocannabinoide. Bisher sind mit Arachidonylethanolamid (AEA, Anandamid) und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG) zwei endogene Liganden des Endocannabinoid-Systems bekannt. Lange war das Vorkommen des relevanten Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1) nur im zentralen Nervensystem bekannt, später fand man ihn auch in zahlreichen anderen Organen wie in der Milz, Nebenniere, Lunge, Herz und dem Pankreas. Der zweite wichtige Cannabinoid-Rezeptor (CB2) ist vor allem in peripheren Blutzellen und Geweben des Immunsystems wie der Milz anzutreffen. Exprimiert wird er insbesondere von B-Lymphozyten, natürlichen Killerzellen und Monozyten.

Cannabidiol (CBD) und Cannabigerol (CGB)

CBD hingegen stimuliert andere Zielstrukturen und wird nicht als Betäubungsmittel eingestuft. In Nutzhanf ist CBD mengenmäßig das weit überwiegende Cannabinoid. Die Cannabinoide werden von den Drüsenhaaren produziert, die sich mit Ausnahme von Samen und Wurzel auf der gesamten Hanfpflanze befinden. Sie liegen in der Pflanze überwiegend als Carbonsäuren vor (THC-A beziehungsweise CBD-A). In den Samen kommen Cannabinoide aufgrund der dort fehlenden Drüsenhaare nicht vor, aber sie können bei der Ernte oder der Verarbeitung mit THC kontaminiert werden. Bei der legalen Herstellung von Hanfprodukten muss unterschieden werden zwischen Hanfsorten, die zur Gewinnung von Produkten für medizinische Zwecke angebaut werden und denjenigen, die für andere Zwecke gedacht sind (Nutzhanf, Industriehanf).

Bislang galt der medizinische Einsatz von Cannabis sativa vor allem wegen der Inhaltsstoffe Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) als interessant. Nun ist ein weiteres Cannabinoid in den Fokus der Forschung gerückt: Cannabigerol (CGB). Im Mausmodell war das nicht psychoaktive Cannabinoid gegen Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) effektiv. Und zwar genauso gut wie Vancomycin. Der Angriffspunkt liegt in der Zytoplasmamembran grampositiver Bakterien. Die Bildung von Biofilmen kann CBG verhindern, bereits bestehende Zusammenschlüsse von Bakterien zerstören. Im Gegensatz zu grampositiven Bakterien war CGB gegen gramnegative Bakterien, die eine zusätzliche äußere Lipidmembran besitzen, allerdings nur in Kombination wirksam. Mithilfe von Polymyxin B gelang es, das Wirkspektrum auf multiresistente gramnegative Erreger auszuweiten.

Vor der Gesetzesänderung war es in Deutschland sehr schwierig, Patienten mit Cannabis zu behandeln. Der Grund: Die Blüten waren bisher in Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) gelistet und deshalb nicht verkehrsfähig. Der Patient musste beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Ein Arzt durfte Cannabisblüten nicht verordnen, sondern den Patienten bei dieser „Selbsttherapie" lediglich begleiten. Auch die versorgende Apotheke musste eine Erlaubnis einholen, um Cannabisblüten und Zubereitungen daraus erwerben und abgeben zu dürfen. Am Ende blieb eine weitere Hürde: Die Patienten mussten für die Therapiekosten in der Regel selbst aufkommen. Viele konnten sich ihre Medizin daher schlichtweg nicht leisten.

Hauptindikation: Schmerz

Mit Einführung des Cannabis-Gesetzes wurden Cannabisblüten in die Anlage III BtMG überführt und sind damit offiziell als Betäubungsmittel verkehrs- und verschreibungsfähig. Die Ausnahmeregelung fällt weg und mit ihr der aufwendige Prozess der Erlaubnisbeschaffung beim BfArM. Unabhängig von ihrer Fachrichtung können Ärzte Cannabinoid-haltige Arzneimittel auf einem BtM-Rezept verordnen, ausgenommen Zahn- und Tierärzte. Das neue Gesetz ermöglicht es auch, dass die relativ hohen Therapiekosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Allerdings müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Mit „Kiffen auf Rezept" hat die medizinische Anwendung von Cannabis allerdings wenig zu tun. Vom neuen Gesetz unberührt bleibt das Verbot, Marihuana allein zu Rauschzwecken anzuwenden.

Bisher ist noch sehr wenig über die Wirkungen und die Einsatzgebiete von Cannabis bekannt. Im Gesetz wurde darauf verzichtet, einzelne Indikationen aufzuführen. Theoretisch könnten Arzneimittel auf Cannabis-Basis somit momentan in jeder Indikation eingesetzt werden: von A wie Arthritis bis Z wie Zwangsstörungen. In den nächsten Jahren möchte man jedoch weitere Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis gewinnen und mögliche Indikationsgebiete ableiten. Auch dafür wurden die Weichen gestellt: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sammelt derzeit Patientendaten zu Diagnose, Therapie, Dosierung und Nebenwirkungen von Cannabis-Therapien, die von den Ärzten in anonymisierter Form übermittelt werden.

Abgeordnete der Fraktion die Die Linke im Bundestag haben sich in einer Kleinen Anfrage bei der Bundesregierung danach erkundigt, in welchen Indikationen Cannabis verordnet wird. Aus der Antwort geht hervor, dass (Stand 6. März 2020) 8.872 vollständige Datensätze in der Begleiterhebung vorliegen. Hauptindikation für die Verordnung ist demnach Schmerz gefolgt von Spastik, Anorexie, Übelkeit/Erbrechen, Depression und Migräne. 

Vorschaubild: Iarygin Andrii / stock.adobe.com



Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Hanf

von Hemp am 13.06.2020 um 13:20 Uhr

Gerne würde ich so einfach Cannabis über die Apotheke beziehen, wie es in einigen Bundesstaaten der USA bereits möglich ist. Mir ist nicht nachvollziehbar, weshalb Cannabis in einer aufgeklärten Gesellschaft immer noch als das Übel der Welt dämonisiert wird. Sicher, es gibt keinerlei gänzlich ungefährliche, berauschende Substanzen. Für Erwachsene sollte ein legaler Zugang möglich sein. Das man Millionen von Menschen in Deutschland deshalb immer noch diskriminiert, ist angesichts eines angeblichen Gleichbehandlungsprinzips schlicht verfassungswidrig. Hoffentlich wird das Bundesverfassungsgericht dem endlich ein Ende setzen. Die Hoffnung, dass die Unionsparteien einsichtig werden, habe ich nach über 20 Jahren aufgegeben.

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Ist mir eig scheiß egal

von Monopoly am 26.05.2020 um 11:53 Uhr

Ganz ehrlich, ist mir mittlerweile schei** egal ob das Zeug illegal oder legal ist. Hab 10 Jahre lang verschiedenste Medis gefressen die mehr Nebenwirkungen als Wirkung hatten, bis ich gott sei dank es erste mal gekifft habe (sorry das ich es so drastisch schreiben muss). Ne Pflanze zu verbieten, einfach lachhaft. Gekifft wird sowieso und da wird sich die nächsten 1000 Jahre auch nichts ändern. Aber ihr sperrt lieber die Konsumenten ein weils nicht eurer Norm entspricht bzw. füttert Sie weiter mit den ganzen tollen Pillen bis ihr selber vor lauter Schmerzen abkackt.

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Medizin

von Jonny am 25.05.2020 um 19:46 Uhr

Cannabis als Medizin wurde nur ermöglicht weil Patienten Jahrelang vor Gericht gekämpft haben. Die Politik hat nur gehandelt da einige Konsumenten nun selbst anbauen durften, was dringend verhindert werden musste. Natürlich zu Kosten der Patienten die statt etwa einem Euro das Gramm nun das 25fache bezahlen. Uruguay, USA und Kanada gehen einen Patientenfreundlicheren Weg und verwehren noch dazu nicht nur todkranken Menschen diese Medizin

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cannabis sativa

von Hans Berger am 25.05.2020 um 15:26 Uhr

Auf dem Foto ist aber die Unterart bzw. der Phänotyp "Cannabis-Indica" abgebildet. Eindeutig zu erkennen am gedrungenen Wuchs und den "breitfingerigen" Sonnensegeln.

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AW: cannabis sativa

von Celine Müller am 25.05.2020 um 15:57 Uhr

Sehr geehrter Herr Berger,

vielen Dank für Ihren aufmerksamen Blick - in der Tat lässt sich nicht zweifelsfrei ausschließen, dass es sich um Blätter von Cannabis Indica handeln könnte. Wir haben das Bild durch ein eindeutiges Cannabis-Sativa-Foto ersetzt.
Vielen Dank und schöne Grüße
DAZ.online-Redaktion

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