Uni Tübingen

Pharmazeuten entdecken große Mengen gefälschte COVID-19-Arzneimittel in Afrika

Düsseldorf - 18.05.2020, 17:00 Uhr

In Zusammenarbeit mit Laboren in Afrika und dem Deutschen Institut für ärztliche Mission (Difäm) haben Pharmazeuten der Uni Tübingen sehr viele Fälschungen von vermeintlichen COVID-19-Arzneimitteln gefunden. (x / Foto: Dominik Müllerschön / Difäm) 

In Zusammenarbeit mit Laboren in Afrika und dem Deutschen Institut für ärztliche Mission (Difäm) haben Pharmazeuten der Uni Tübingen sehr viele Fälschungen von vermeintlichen COVID-19-Arzneimitteln gefunden. (x / Foto: Dominik Müllerschön / Difäm) 


In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für ärztliche Mission (Difäm) haben Forscher des Pharmazeutischen Instituts der Universität Tübingen mehrere gefälschte Chloroquin-Präparate identifizieren können, die im Kongo und in Kamerun aufgetaucht sind. Das Problem ist nicht nur regional begrenzt und könnte weitreichende Folgen haben.

Das besonders von wissenschaftsfernen und eher -feindlichen Politikern wie US-Präsident Donald Trump und anderen befeuerte Gerücht, das bekannte Anti-Malariamittel Chloroquin könne Wirkung gegen das SARS-CoV-2 zeigen und damit die COVID-19-Pandemie bekämpfen, hat bereits viel Schaden angerichtet. Nicht nur, dass sich das Mittel in jüngsten Studien als wirkungslos zur Covid-19-Therapie erwiesen hat, dass es wohl Tote durch die bekannten unerwünschten schweren kardiologischen Wirkungen des Medikaments gab, dass der weltweite Vorrat des in der Malaria-Therapie notwendigen Arzneimittels zusammengeschrumpft ist und das die massenhafte unkontrollierte Anwendung wohl auch die Resistenzbildung gegen Chloroquin beim Malaria-Erreger Plasmodium falciparum befördert hat – skrupellose Betrüger haben auch mit zum Teil gefährlichen Fälschungen Gewinne gemacht.

Einige dieser Fälschungen zu entdecken, dabei haben jetzt die Forscher am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen aus der Arbeitsgruppe von Professor Lutz Heide gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission (Difäm) und lokalen Pharmazeuten in Afrika geholfen. Insgesamt fünf verschiedene Fälschungen von Chloroquin-Tabletten seien so in den vergangenen Wochen in Kamerun und dem Kongo aufgetaucht, berichten die Forscher.

Unter anderem Rechtschreibfehler im Wirkstoffnamen fielen lokalen Pharmazeuten auf

„Die lokalen Fachkräfte erwarben die untersuchten Präparate bei illegalen Händlern oder in privaten Apotheken, da ihnen äußerliche Unstimmigkeiten wie etwa Rechtschreibfehler auf dem Etikett aufgefallen waren“, sagt die Apothekerin Gesa Gnegel, Mitarbeiterin und Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Heide und im Difäm. Mit einem mobilen Labor, dem GPHF-Minilab , in dessen Anwendung die Difäm die lokalen Pharmazeuten schult, seien die Fälschungen daraufhin zunächst per Dünnschichtchromatographie als solche enttarnt worden.

„Sowohl die lokalen Pharmazeuten als auch das Difäm sind Mitglieder im EPN (Ecumenical Pharmaceutical Network), einem internationalen Netzwerk, dass sich für die Verbesserung und Sicherung der Arzneimittelqualität einsetzt. Mehrere EPN-Partner verwenden das Minilab zur routinemäßigen Arzneimittel-Qualitätskontrolle. In diesem durch das Difäm koordinierten ‚Minilab-Netzwerk‘ mit derzeit 16 Partnern aus 13 Ländern wurden in den vergangenen vier Jahren (seit 2016) insgesamt 4.063 Arzneimittel getestet, von denen 29 als Fälschung identifiziert wurden“, erklärt Gnegel.

Für eine genauere Untersuchung der Fälschungen haben man Proben nach Tübingen geschickt. Dort zeigte sich, dass nur eines der Präparate überhaupt Chloroquin enthielt, allerdings weniger als ein Viertel der angegebenen Wirkstoffmenge. Das sei zu wenig, um eine therapeutische Wirkung zu zeigen, aber genug, um die mögliche Resistenzbildung beim Malariaerreger gegen den Wirkstoff zu befördern.

(Foto: G. Gnegel)

Eine weitere angebliche Chloroquin-Tablette enthielt stattdessen das bekannte und günstige Analgetikum Paracetamol. Die drei weiteren Fälschungen enthielten eine zunächst unbekannte Substanz, die erst per Massenspektrometrie als das Antibiotikum Metronidazol identifiziert werden konnte. „Dieser bittere Arzneistoff wurde vermutlich benutzt, um den bitteren Geschmack des Chloroquins nachzuahmen“, sagt Gnegel – allerdings in nur geringer Menge, was die Resistenzbildung bei normal Metronidazol-sensiblen bakteriellen Krankheitserregern begünstigen kann. „Die gefälschten Tabletten enthalten also wenig oder gar kein Chloroquin, aber dafür andere Wirkstoffe mit jeweils eigenen Risiken und Nebenwirkungen, von denen weder Arzt noch Patient wissen. Dies ist eine der gefährlichsten Formen der Arzneimittelfälschung“, sagt die Doktorandin.

Fälschungen für Laien kaum zu erkennen

Eine Entdeckung solcher Fälschungen durch Laien sei kaum möglich, sagt Gnegel. „Zwar können äußere Unstimmigkeiten einen Anhaltspunkt geben, jedoch sind sie kein sicherer Indikator für die Qualität des Arzneimittels. Außerdem braucht es selbst dafür schon pharmazeutisches Fachwissen. Laien erkennen Fehler im Wirkstoffnamen oder im Format der Registrierungsnummer nicht“, sagt die Apothekerin.

Für die Fälscher ist die Angst vor dem Coronavirus ein lohnendes Geschäft. Infolge der intensiven Berichterstattung über die angebliche Wirksamkeit von Chloroquin bei COVID-19 sei die weltweite Nachfrage nach dem Mittel sprunghaft gestiegen. „Damit gingen auch die Preise nach oben und riefen die Arzneimittelfälscher auf den Plan“, sagt Heide.

Coronavirus SARS-CoV-2

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Heide hat in der Vergangenheit fünf Jahre in der pharmazeutischen Entwicklungsarbeit in Afrika gearbeitet. Seit seinem ersten Einsatz in der Arzneimittelversorgung in Flüchtlingslagern in Somalia arbeitet der Pharmazeut eng mit der Difäm zusammen, seit einem Einsatz in Malawi sei auch die Kooperation mit dem EPN etabliert. „Nur auf Grundlage dieser etablierten Zusammenarbeit war es möglich, so rasch die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie aufgetretenen Chloroquin-Fälschungen gemeinsam zu identifizieren“, sagt Gnegel.

Kein rein regionales Problem – Import durch Internetversand wäre möglich

Von einem nur regionalen Problem könne man dabei nicht ausgehen. „Uns liegen derzeit zwar nur Fälschungen aus zwei Ländern vor, die WHO vermeldete am 9. April 2020 jedoch vier weitere Fälle, die im Niger auftauchten. Zudem konnten an der kamerunischen Grenze große Mengen – 210 Kartons –  von gefälschtem Chloroquin sichergestellt werden, die aus Nigeria in das Land illegal eingeführt wurden“, berichtet die Pharmazeutin.

Die schwachen Arzneimittel-Qualitätskontrollsysteme unter anderem in Afrika begünstigten diese Fälschungen – das träfe allerdings auf viele Länder weltweit zu, wo Mittel und Kapazitäten dafür fehlten. „Deutschland und Europa haben dagegen umfangreiche und gut funktionierende Systeme zu Sicherung der Arzneimittelqualität“, sagt Gnegel. „Innerhalb von kontrollierten Vertriebswegen ist kein Anstieg von Arzneimittelfälschungen zu erwarten. Andere Regeln gelten, wenn Verbraucher Medikamente aus dubiosen Internetquellen beziehen. Hier werden die kontrollierten und legalen Lieferketten verlassen und es besteht ein reales Risiko für Arzneimittelfälschungen“, sagt Gnegel. Nicht ganz auszuschließen also, dass solche Fälschungen auf diesem Weg importiert werden könnten.

In der Vergangenheit bereits etliche Fälschungen entdeckt

Die Kooperation der Tübinger mit Difäm und EPN hat in der Vergangenheit etwa Chininfälschungen in Chad, Nigeria, der Zentralafrikanischen Republik und in Kamerun aufgedeckt sowie gefälschtes HCT (das Diuretikum Hydrochlorthiazid) und ein gefälschtes AmoxiClav-Antibiotikum.

„Angesichts der aktuellen Situation ist zu befürchten, dass wir in der nahen Zukunft einen Anstieg an Arzneimittelfälschungen sehen werden. Der Lockdown in China und Indien hat internationale Arzneimittel-Lieferketten schwer beeinträchtigt und vor allem Niedriglohnländer sind von Engpässen in der Versorgung bedroht. Dies macht insbesondere zwei Maßnahmen erforderlich: Einerseits muss in den kommenden Monaten die Versorgung von Niedriglohnländern mit preisgünstigen, qualitätsgesicherten Medikamenten so gut wie möglich sichergestellt werden. Es darf keinen Raum für eine ‚Rich countries first‘-Mentalität geben, bei der sich Industrieländer mit ihren überlegenen finanziellen Mitteln rücksichtslos gegen Niedriglohnländer in der Konkurrenz um knappe Arzneimittel durchsetzen. Und in den Niedriglohnländern müssen einfache, schnell durchzuführende Testmöglichkeiten etabliert werden, mit denen verdächtige Arzneimittel rasch identifiziert und einer genauen Untersuchung zugeleitet werden können. Sollte es gelingen, Arzneistoffe oder Impfstoffe zu entwickeln, die die Erkrankung an COVID-19 oder die Ausbreitung des Virus effektiv bekämpfen, so muss auch die Versorgung der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen geplant und sichergestellt werden“, sagen die Tübinger Forscher.

Mehr Fälschungen zu erwarten

„Jeder potenzielle Wirkstoff oder Impfstoff, für den eine Wirksamkeit gegen COVID-19 berichtet wird, kann eine verzweifelt hohe Nachfrage auslösen“, erklärt Heide. In allen Ländern, besonders in den ärmsten, werde dies Arzneimittelfälscher auf den Plan rufen, deren Produkte Leben und Gesundheit von Millionen Menschen gefährdeten.

Seitens des Pharmazeutischen Instituts werde man auch in Zukunft einen Beitrag zur Verbesserung der Arzneimittelqualität gerade in ärmeren Ländern leisten, indem man solide Daten zu Ausmaß und Schwerpunkten der Qualitäts- und Fälschungsproblematik erhebe, sagt Gnegel.

Über die gefundenen Fälschungen haben das Tübinger Forschungsteam und ihre afrikanischen Kollegen die Weltgesundheitsorganisation informiert, die daraufhin eine internationale Warnmeldung mit Fotos der gefälschten Arzneimittel veröffentlichte. Die Ergebnisse publizierten die Tübinger außerdem im Fachjournal „American Journal of Tropical Medicine & Hygiene“.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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