Große Datenanalyse aus Großbritannien

Fettleibigkeit als Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe

Remagen - 12.05.2020, 09:00 Uhr

Eine große Datenanalyse aus Großbritannien zeigt, dass insbesondere ältere, vorerkrankte, männliche und fettleibige Patienten einen schweren COVID-19-Verlauf durchmachen. (x/Foto: imago images / indiapicture)

Eine große Datenanalyse aus Großbritannien zeigt, dass insbesondere ältere, vorerkrankte, männliche und fettleibige Patienten einen schweren COVID-19-Verlauf durchmachen. (x/Foto: imago images / indiapicture)


Eine groß angelegte Studie in britischen Krankenhäusern stützt die Erkenntnisse zu den Verläufen und Todesraten von Patienten, die schwer an COVID-19 erkranken, aber es gibt auch neue Befunde. Insgesamt sind diejenigen, die schlechte Ergebnisse haben, häufig älter, männlich und fettleibig. Die Untersuchung zeigt auch, wie wichtig es für den Umgang mit Seuchen und Pandemien ist, bereits vorher Forschungspläne parat zu haben, damit diese im Fall der Fälle zeitnah umgesetzt werden können.

Eine Studie mit dem Namen „ISARIC4C“  hat umfangreiche Daten von COVID-19-Krankenhauspatienten in Großbritannien analysiert. Die Informationen zu fast 16.800 Betroffenen wurden zwischen dem 6. Februar und dem 18. April 2020 von über 2.500 Forschungskrankenschwestern und Medizinstudenten aus 166 Krankenhäusern in England, Schottland und Wales zusammengetragen. Dies entspricht 14,7 Prozent aller Personen, die in Großbritannien positiv auf COVID-19 getestet wurden und 28 Prozent der Einweisungen aus diesem Grund. 

Mehr zum Thema

Coronavirus SARS-CoV-2

COVID-19-Epidemie

Coronavirus SARS-CoV-2

Es handelt sich um die größte Studie dieser Art außerhalb Chinas, wo das Coronavirus erstmals auftrat. Sie wurde von der Edinburgh University, der Liverpool University vom Imperial College London geleitet. Um möglichst rasch Echtzeitinformationen zur Pandemie bereitzustellen, haben die Forscher ihre Ergebnisse auf der Preprint- Website medRxiv veröffentlicht.

Im Wesentlichen bekannte Erkrankungsmuster

Das mittlere Alter der in die prospektive Kohortenstudie einbezogenen COVID-19-Patienten betrug 72 Jahre. Die mediane Dauer der Symptome vor der Aufnahme lag bei vier und die mittlere Dauer des Krankenhausaufenthalts bei sieben Tagen. Die häufigsten Komorbiditäten waren chronische Herzerkrankungen (29 Prozent), unkomplizierter Diabetes mellitus (19 Prozent), nicht-asthmatische chronische Lungenerkrankungen (19 Prozent) Asthma bronchiale (14 Prozent). 47 Prozent hatten keine dokumentierte gemeldete Komorbidität. Die häufigsten Symptome waren Husten (70 Prozent), Fieber (69 Prozent) und Kurzatmigkeit (65 Prozent), mit einem hohen Grad an Überlappung. Außerdem fanden die Wissenschaftler deutliche Symptomcluster: Atemwegssymptome (Husten, Sputum, Halsschmerzen, laufende Nase, Ohrenschmerzen, Keuchen und Brustschmerzen), systemische/muskuloskelettale (Myalgie, Gelenkschmerzen und Müdigkeit) und enterale (Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall). Das Krankheitsmuster spiegelt nach Meinung der Autoren weitgehend das wider, was weltweit berichtet wird. Sie geben allerdings zu bedenken, dass ein kleinerer Anteil (4 Prozent der Patienten) nur enterale Symptome hatte. Diese lägen außerhalb der Standardkriterien für Tests. Außerdem berge es die Gefahr, dass solche Patienten Nicht-COVID-19-Pflegebereichen zugewiesen werden und dann ein zusätzliches nosokomiales Übertragungsrisiko darstellen.

Höchste Sterberate nach mechanischer Beatmung

Insgesamt wurden 49 Prozent der Patienten lebend aus dem Krankenhaus entlassen, 33 Prozent sind gestorben und 17 Prozent wurden zum Zeitpunkt der Berichterstattung weiterhin versorgt. 17 Prozent erforderten die Unterbringung in Form einer Intensivüberwachungspflege oder auf Intensivstationen. Von diesen wurden 31 Prozent lebend entlassen, 45 Prozent starben und 24 Prozent wurden zum Stichtag weiterhin versorgt. Bei denen, die eine mechanische Beatmung erhielten, lag die Sterblichkeit im Krankenhaus noch höher. Hier wurden nur 20 Prozent lebend entlassen, 53 Prozent starben und 27 Prozent waren zum Stichtag der Berichterstattung noch im Krankenhaus.

Fettleibigkeit wesentlicher Faktor für die Mortalität

Höheres Alter und Komorbiditäten waren mit einer höheren Sterblichkeitswahrscheinlichkeit verbunden. Nach Bereinigung anderer medizinischer Probleme wie Lungen-, Herz- und Nierenerkrankungen, die bekanntermaßen schlechte Ergebnisse verursachen, sollen auch männliches Geschlecht (60 Prozent der Krankenhauseinweisungen wegen COVID-19) oder  Fettleibigkeit als eigenständige Faktoren eine wesentliche Rolle für die Mortalität spielen, ein Merkmal, das in China nicht beobachtet wurde. Adipositas sei 2009 auch als Risikofaktor für die Pandemie A/H1N1-Grippe anerkannt worden, erklären die Forscher, nicht aber bei MERS-CoV.

Die Gründe, warum adipöse Menschen so schwer an COVID-19 erkranken und daran häufiger sterben als andere Gruppen, sei nicht klar. Die Wissenschaftler vermuten, dass sie eine verminderte Lungenfunktion und möglicherweise mehr Entzündungen im adipösen Gewebe, dem Fettgewebe unter der Haut und um die inneren Organe herum, haben, die zu einem verstärkten Zytokinsturm beitragen könnten, einer potenziell lebensbedrohlichen Überreaktion der körpereigenen Immunreaktion.

Erstaunlich schnell Daten gesammelt

„Diese Studie ist insofern erstaunlich, als dass sie so schnell gestartet wurde und so viele Daten einfließen“, betont Professor Peter Openshaw vom Imperial College London. Warum konnte Großbritannien in einer so frühen Phase der Epidemie in kurzer Zeit eine so groß angelegte Erhebung auf die Beine stellen? Die Autoren der Arbeit schildern in der Publikation die Hintergründe dafür.

Forschungsplan schon in der Schublade

Großbritannien hatte in Folge der Influenzapandemie A/H1N12009 und des Ausbruchs des Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS 2012) vorausschauend schon mal einen Forschungsplan erarbeitet, um bei einer neuen Bedrohung dieser Art schnell darauf zurückgreifen zu können. Kernstück dieses Plans war das Clinical Characterisation Protocol (CCP) for Severe Emerging Infection, das vom International Severe Acute Respiratory and emerging Infections Consortium (ISARIC) entwickelt wurde (ISARIC-CPC). 

Unter den Open-Access-Protokollen finden sich standardisierte und verfeinerte Fallberichtsformulare, Informationen und Einwilligungsdokumente sowie ein mehrstufiger biologischer Probenahmeplan. Dies soll eine Kreuzkorrelation zwischen Standorten und Studien ebenso ermöglichen wie internationale Vergleiche zwischen unterschiedlichen Standorten und Behandlungsstrategien.

Das Clinical Characterisation Protocol (CCP-UK) wurde bereits am 17. Januar 2020 aktiviert, rechtzeitig, um die ersten COVID-19-Patienten zu rekrutieren, die in Krankenhäuser in England und Wales aufgenommen wurden. So wurden die ersten 101 gemeldeten Patienten schon in der frühen Phase des Ausbruchs in UK eingeschrieben. Die Autoren heben hervor, dass Studien wie diese von dem Beginn einer Pandemie an unmöglich rechtzeitig entwickelt, genehmigt und eröffnet werden könnten, um das Fallmanagement und die Gesundheitspolitik zeitnah zu informieren. Ihre Studie zeige, wie wichtig vorausschauende Planung und Investitionen in die Vorsorge seien.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Kein Nutzen gegen Thrombosen bei schwerem COVID-19

Auch ASS in der RECOVERY-Studie durchgefallen

Neuigkeiten zu SARS-CoV-2 in Kürze

Corona-Ticker

Praxiswissen für einen experimentellen Wirkstoff gegen COVID-19

Remdesivir auf dem Prüfstand

Neue Daten weisen auf höheres Gefährdungspotenzial durch neue Varianten hin

Schwangere durch Impfung schützen?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.