Für Kliniken und Praxen

Händedesinfektionsmittel – welche Rezepturen das RKI für die Eigenherstellung empfiehlt

Stuttgart - 11.05.2020, 09:00 Uhr

Welche Händedesinfektionsmittel-Rezepturen aus der Apotheke sind auch für Kliniken und Arztpraxen geeignet? Kennen sie die richtige Einwirkzeit zu jeder Rezeptur? (b/Foto: imago images / Ralph Peters)

Welche Händedesinfektionsmittel-Rezepturen aus der Apotheke sind auch für Kliniken und Arztpraxen geeignet? Kennen sie die richtige Einwirkzeit zu jeder Rezeptur? (b/Foto: imago images / Ralph Peters)


Auf Basis einer Allgemeinverfügung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) dürfen im Rahmen der Corona-Pandemie Rezepturen für Händedesinfektionsmittel nach WHO oder Standardzulassungen in Apotheken hergestellt werden. Vor allem bezüglich der WHO-Rezepturen gab es in der Vergangenheit aber Verwirrung. Das RKI erklärt nun ausführlich die Unterschiede: Besonders wichtig sind die verschiedenen Einwirkzeiten, wenn die Händedesinfektionsmittel in Praxen und Kliniken zum Einsatz kommen. In Europa seien jene wenig bekannt. 

Am 5. Mai war Welthändehygienetag. Laut Robert Koch-Institut (RKI) wird in dieser seit 2009 bestehenden Kampagne der WHO (Weltgesundheitsorganisation) besonders die Händedesinfektion mit alkoholischen Einreibeprodukten als die wirksamste Einzelmaßnahme zur Unterbrechung von Infektionsketten hervorgehoben. 

Die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie betont laut RKI aber nicht nur den Stellenwert der Händedesinfektion an sich, sondern zeige auch, wie wichtig die stete Verfügbarkeit von Händedesinfektionsmitteln ist – „deren Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit nachgewiesen und die unter praktischen Bedingungen tauglich sind“. Damit spielt das RKI vor allem auf die verschiedenen Einwirkzeiten der nach WHO-Rezeptur hergestellten Händedesinfektionsmittel an.

Der akute Mangel an Händedesinfektionsmitteln hat in den vergangenen Wochen dazu geführt, dass in Apotheken, „aber auch in pharmazeutischen und chemischen Unternehmen sowie durch juristische Personen des öffentlichen Rechts zeitlich befristet Händedesinfektionsmittel hergestellt werden“ dürfen. Basis der Herstellungserlaubnis ist eine Ausnahmezulassung: Die Allgemeinverfügung (AV) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Sie basiert auf Rezepturen der WHO und den Standardzulassungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). 

Offenbar haben nicht nur DAZ.online immer wieder Nachfragen zu den Hintergründen der Empfehlungen und zur Wirksamkeit der Desinfektionsmittel erreicht. Sodass nun das RKI am 4. Mai ein Dokument zu den von der WHO empfohlenen Rezepturen veröffentlicht hat. Darin geht es um die Vorteile und Nachteile sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den typischen Rezepturen der AV (Allgemeinverfügung). 

Limitationen der WHO-Rezepturen in Europa wenig bekannt

„Die WHO hat 2009, parallel zum ,Internationalen Tag der Händehygiene', zwei Rezepturen (WHO I und WHO II) für Händedesinfektionsmittel veröffentlicht“, erklärt das RKI zum historischen Hintergrund. Ziel der WHO sei eine Richtschnur für die lokale Herstellung von Händedesinfektionsmitteln in Entwicklungsländern gewesen. Dabei gibt es allerdings einen Haken – den man in der aktuellen Situation als „Luxusproblem“ bezeichnen könnte, dessen Nichtbeachtung im Bereich der Patientenversorgung (Praxen und Krankenhäuser) aber ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen kann. Es geht um die erwähnten verschiedenen Einwirkzeiten: 

Laut RKI wurden jene ersten WHO-Rezepturen in praxisnahen Tests nach DIN EN 1500 für die hygienische und nach DIN EN 12791 für die chirurgische Händedesinfektion zwar geprüft – „nach den damals wie heute gültigen Europäischen Prüfnormen unter praxisnahen Bedingungen in unabhängigen Prüflaboren“. Der Haken ist aber: „Mit beiden Formulierungen konnte die erforderliche Wirksamkeit für die hygienische Händedesinfektion (DIN EN 1500) mit 3 ml in 30 s nicht erreicht werden. 

Eine ausreichende Wirksamkeit wurde erst durch eine zweifache Anwendung für insgesamt 60 s, das heißt 2×3 ml für 2×30 s erreicht.“ Außerdem, heißt es, konnte mit beiden Formulierungen, auch „nach den in Deutschland eher unüblichen 5 Minuten Anwendungszeit, keine ausreichende Wirksamkeit für die chirurgische Händedesinfektion (EN 12791) erreicht werden“. 

Europäischer Standard: Desinfektion in 30 Sekunden 

Da man in Europa daran gewöhnt ist, kommerzielle Produkte zu verwenden, sei diese Problematik der Einwirkzeit wenig bekannt. Nach europäischen Standards dauert eine hygienische Händedesinfektion typischerweise 30 Sekunden und eine chirurgische 90 Sekunden, schreibt das RKI.

Hauptunterschied in der Herstellung zwischen den Händedesinfektionsmitteln nach WHO und nach Standardzulassung ist, dass letztere auf Zusatzstoffe (außer Vergällungsmitteln) verzichten, also reine Wirkstoff-Wasser-Gemische sind. Die WHO-Rezepturen enthalten zusätzlich Glycerol als Feuchthaltemittel für die Hautfreundlichkeit sowie Wasserstoffperoxid, „um die sonst üblicherweise durch Sterilfiltration erreichte Bakteriensporenfreiheit zu gewährleisten“.

Wann ein Händedesinfektionsmittel seinen Namen „verdient“

Nicht jedem dürfte bekannt sein, wann ein Händedesinfektionsmittel für den medizinischen Bereich auch als „Händedesinfektionsmittel“ betitelt werden darf. Tatsächlich dürfen sie laut RKI als solche nur deklariert werden, wenn sie eine erfolgreiche praxisnahe Prüfung gegenüber Bakterien bestanden haben. Das hat zur Folge, dass die Wirksamkeit gegen Viren erst in einem zweiten Schritt geprüft wird. Sofern für ein Mittel zusätzlich eine Wirkung gegen Viren ausgelobt werden soll.

„Viruzidieprüfungen“ erfolgen dagegen übrigens nur als „Suspensionstest“, da es für praxisnahe Tests kein geeignetes behülltes Prüfvirus gibt, das man unbedenklich auf den Händen von Probanden einsetzten kann, erklärt das RKI. Insgesamt sei bezüglich der Standards egal, ob es sich um ein Arzneimittel oder ein Biozidprodukt handelt. Aber: „Alle aktuell am Markt befindlichen Biozidprodukte, die als Händedesinfektionsmittel deklariert sind, sind zurzeit noch ohne Zulassung, sondern aufgrund von Übergangsregelungen verkehrsfähig.“

Aus den entsprechenden Normen und Leitlinien ergibt sich schließlich, dass Händedesinfektionsmittel „nicht nur gegen behüllte Viren wie SARS-CoV-2 oder auch die klassischerweise im Gesundheitswesen aus Personalschutzgründen relevanten Viren wie HIV, Hepatitis-B-Viren (HBV) und Hepatitis-C Viren (HCV) wirken, sondern auch den Mindeststandard der bakteriziden“ und levuroziden (wirksam gegen Hefen) Wirksamkeit erfüllen.

Nur die „modifizierten“ WHO-Rezepturen sind praktikabel

Das Wirkspektrum ist grundsätzlich also gesichert, für den praktischen Einsatz spielt allerdings die benötigte Einwirkzeit (EWZ) des Desinfektionsmittels eine entscheidende Rolle, betont das RKI: „Deshalb sollen Produkte für die hygienische Händedesinfektion innerhalb von 30 s wirksam sein.“ 

Was bedeutet die EWZ?

30 s EWZ bedeutet, dass die Hände über die Einwirkzeit von 30 s feucht zu halten sind und das Produkt auf der gesamten Oberfläche der Hände zu verteilen ist, um die gewünschte Wirksamkeit zu erreichen. Dazu sind mindestens 3 ml nötig.

Weil man früh erkannte, dass die originalen WHO-Formulierungen die erforderliche Wirksamkeit nicht in den gewünschten Zeiten erreichen konnten, wurden modifizierte Rezepturen entwickelt. 

Der wesentliche Unterschied zwischen den originalen und den modifizierten WHO-Formulierungen besteht laut RKI im Alkohol-Gehalt (Wirkstoff): „In beiden Fällen ist der Gehalt in der modifizierten Formulierung deutlich erhöht (5,5, bzw. 6,1 Prozent), indem der Alkohol in Massenprozent und nicht in Volumenprozent angegeben wird.“ Die geringere Glycerol-Konzentration (0,725 statt 1,45 Prozent) habe außerdem bei der chirurgischen Händedesinfektion Einfluss auf die Wirksamkeit. Der Gehalt an Wasserstoffperoxid blieb unverändert. 

Diese veränderten Rezepturen kamen dann auch später in den virologischen Tests zum Einsatz. Schließlich soll sich durch die modifizierten Rezepturen nicht nur die Einwirkzeit verbessert haben, sie sollen auch Vorteile bei der Herstellung sowie bei der Anwendung bieten: „bessere Anwendungseigenschaften und sparsamerer Einsatz des derzeit knappen Glycerols.“ 

Dennoch gilt es gerade in der Chirurgie eine Besonderheit zu beachten.

Modifizierte WHO-Rezepturen in der Chirurgie: 5 Minuten Einwirkzeit!

Im Unterschied zu den originalen WHO-Rezepturen liegen also für die modifizierten WHO-Formulierungen „Nachweise der bakteriziden Wirksamkeit im praxisnahen Test für eine Einwirkzeit von 30 s zur hygienischen Händedesinfektion vor“. 

Modifikationen, die außerdem auch weniger Glycerol enthalten, sind – nach einer Einwirkzeit von 5 min (statt der gewohnten 90 s) – für die chirurgische Händedesinfektion geeignet. 

Und die Standardzulassungen? 

Laut RKI können natürlich auch die Standardzulassungen zur Anwendung kommen. Sie enthalten nur den jeweiligen Wirkstoff (Alkohol) in Wasser. 

Hier sei allerdings zu beachten, dass aufgrund der Allgemeinverfügung (AV) des BfArM „die in der Monografie geforderte Sporenfreiheit ausgesetzt ist (und auch kein H2O2 zugesetzt wird)“. 

Zudem könne durch den fehlenden Gehalt an Glycerol die Haut verstärkt austrocknen. 

Der in der AV aufgeführten 70 Prozent (v/v) 1-Propanollösung – für den ausschließlichen Einsatz durch professionelle Anwender – kommt nach Meinung der Autoren des RKI-Papiers keine relevante Rolle zu. Grund sei u. a. das toxikologische Profil.

Die Wirksamkeit in 30 s (sowohl für die bakterizide als auch die begrenzt viruzide Wirksamkeit) gilt also laut RKI für folgende Lösungen belegt:

  • WHO-Formulierung I modifiziert mit 80 Prozent (m/m) Ethanol, entspricht 85,5 Prozent (V/V)
  • WHO-Formulierung II modifiziert mit 75 Prozent (m/m) 2-Propanol, entspricht 81,3 Prozent (V/V)
  • 70 Prozent (V/V) 2-Propanol
  • 80 Prozent (V/V) Ethanol

Diese Lösungen finden sich auch im ABDA-Dokument „Herstellung von Desinfektionsmitteln in der Apotheke“ in der Tabelle auf Seite 7 (Stand 4. Mai 2020).

Mehr zum Thema

Welche Desinfektionsmittel-Formulierung wofür geeignet ist

Bakterizid, levurozid, viruzid ...

Beide modifizierten WHO-Formulierungen erwiesen sich laut RKI auch gegenüber den Coronaviren SARS-CoV-1, MERS-CoV und SARS-CoV-2 sowie HCV, Influenzavirus A (H1 N1), Zikavirus und Ebolavirus in 30 s als wirksam. Virologische Prüfungen zum Nachweis der „begrenzt viruziden“ Wirksamkeit liegen für die originalen WHO-Formulierungen dagegen nicht vor.


Außerhalb des medizinischen und pflegerischen Bereiches bietet eine Händedesinfektion in Situationen, wo die Hände auch gewaschen werden können, keinen Vorteil in Bezug auf die Inaktivierung von SARS-CoV-2.“ 

Epidemiologisches Bulletin 19/2020, online vorab: Händedesinfektion unter den Bedingungen der SARS-CoV-2-Pandemie


„Für die zurzeit mögliche Eigenherstellung sind die modifizierten WHO-Rezepturen mit Alkoholen in Gewichtsprozent und 0,725 Prozent Glycerol als beste Varianten anzusehen“, schlussfolgert das RKI schließlich. Vorhandene Bestände der anderen Rezepturen nach AV sollten aber dennoch nicht verworfen, sondern unter Kenntnis der Limitationen aufgebraucht werden. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Hygienische Händedesinfektion mit WHO-Originalrezepturen erfordert zweifache Anwendung

Zweimal 30 Sekunden oder mehr Alkohol

Welche Desinfektionsmittel-Formulierung wofür geeignet ist

Bakterizid, levurozid, viruzid ...

Hände richtig desinfizieren und pflegen

Händedesinfektionsmittel – Alkohol ist doch eine Lösung

Händedesinfektionsmittel schützen vor Infektionen und schonen die Haut

Alkohol ist doch eine Lösung

DAZ.online-Spezial: Reisen trotz Corona

Das richtige Desinfektionsmittel für unterwegs

Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker

Selbst hergestellte Desinfektionsmittel orange verfärbt

2 Kommentare

Kakophonie und Unfähigkeit von Bürokraten

von Dr. Ralf Schabik am 11.05.2020 um 18:52 Uhr

Sorry, Leute - aber ist das jetzt ein Possenspiel oder schreit das Ganze nach einer offiziellen juristischen Aufarbeitung ? Bedurfte es erst einer globalen Gesundheitskrise, bevor auffällt, dass es Dutzende von Vorschriften gibt, die sich zum Teil dramatisch gegenseitig widersprechen ? Was machen die Leute in den Behörden, die Registrierungs- und Zulassungsnummern vergeben ? Schauen die mal über den Tellerrand ? Wieso sind die "Limitationen der WHO-Rezepturen in Europa nur wenig bekannt" ? Hat die WHO versagt oder wieder einmal Europa ? Wieso gibt es keine "Standardzulassungen", die ALLE erforderlichen Parameter erfüllen, also Wirksamkeit und passable Verträglichkeit ? Wieso sind auf den "offiziellen" Listen in Deutschland Präparate, die offenbar unterdosiert sind - aber dennoch irgendwelche Nummern tragen ? Wieso wird der deutsche Markt gerade geflutet von Firmen aus Ländern, in denen Kühltransporter vor den Kliniken standen, weil die Leichenkammern überfüllt waren ? Wieso einigt man sich nicht weltweit auf eine Nomenklatur (m/m oder V/V) ? Es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen ... das Thema "Desinfektionsmittel" ist ein wunderschönes Beispiel für das Totalversagen von Bürokraten über lange Zeiträume hinweg. Amtshaftung ???

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Kakophonie und Unfähigkeit von Bü

von Dr. Ralf Schabik am 11.05.2020 um 19:01 Uhr

Übrigens: 1:1 übertragbar ist meine Wutmail auf den Bereich "Mundschutz" ! Was da an verschiedenen Normen kursiert mit zum Teil absurden Unterschieden, das ist nicht mehr feierlich ! Auch da muss gefragt werden, was die diversen "Normausschüsse" all die Jahre gemacht haben. Und wenn man beobachtet, was jetzt auf den Markt geworfen wird, lachen sich erstens die Chinesen tot, wie doof die Deutschen sind - aber die Angebote, mit denen wir gerade überschüttet werden, sind zum Teil grotesk, wie da Begrifflichkeiten verwechselt werden. Ausländische Lieferanten schicken zum Teil absurdes Material, aber deutsche Hersteller werden durch irrwitzige Vorgaben an der Markteinführung von Top-Ware gehindert.
Anfang März habe ich Corona als Chance gesehen, dass Deutschland aufwacht.
Seit Ostern kriechen mehr Bürokraten aus ihren Löchern als vorher ... und es wird schlimmer als je zuvor.

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.