DocMorris erneut vor dem EuGH

BGH hält nichts von Gewinnspiel-Anreizen bei der Apothekenwahl

Berlin - 05.05.2020, 11:30 Uhr

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg muss sich abermals mit DocMorris' Werbeaktivitäten in Deutschland befassen. ( r / Foto: G. Fessy)

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg muss sich abermals mit DocMorris' Werbeaktivitäten in Deutschland befassen. ( r / Foto: G. Fessy)


Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im Februar im Fall des DocMorris-Gewinnspiels, bei dem für die Einsendung eines Rezepts ein hochwertiges E-Bike ausgelobt wurde, den Europäischen Gerichtshof angerufen. Er will klären lassen, ob das Zuwendungsverbot im deutschen Heilmittelwerberecht – nach dem das Gewinnspiel nach Auffassung des BGH unzulässig wäre – mit europäischem Recht in Einklang steht. Jetzt liegt die schriftliche Begründung dieses Beschlusses vor. Sie zeigt: Jedenfalls der BGH sieht gute Gründe, warum derartige Anreize von Versandapotheken verboten sein sollten.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss sich erneut mit dem niederländischen Versender DocMorris befassen. Diesmal geht es um ein an eine Rezepteinlösung gekoppeltes Gewinnspiel aus dem Jahr 2015. Wer ein Rezept einschickte, nahm an der Verlosung eines E-Bikes im Wert von 2500 Euro teil. Zudem waren neun hochwertige elektrische Zahnbürsten ausgelobt. Die Apothekerkammer Nordrhein hielt das für unzulässig und klagte gegen den Versender. Dabei machte sie keine Verstöße gegen das Arzneimittelpreisrecht geltend, sondern beschränkte sich auf solche gegen das Heilmittelwerberecht.

In erster Instanz fiel das Urteil noch zugunsten von DocMorris aus. Es erging nach dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016, mit dem entschieden wurde, dass die deutschen Preisvorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mit Europarecht vereinbar seien. Das Landgericht Frankfurt war der Auffassung, die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) müssten nach der EuGH-Entscheidung ebenfalls europarechtskonform ausgelegt werden – und zwar dahingehend, dass sie hier nicht zur Anwendung kommen. Doch das Oberlandesgericht Frankfurt kassierte diese Entscheidung: Aus seiner Sicht stellt die Teilnahme an dem Gewinnspiel eine unzulässige Zugabe dar, die nicht mehr geringwertig sei. Es liege damit ein Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 HWG normierte Zuwendungsverbot vor. Die EuGH-Entscheidung hat aus Sicht des Berufungsgerichts schon wegen der unterschiedlichen Schutzzwecke von Heilmittelwerberecht und Arzneimittelpreisrecht keinen Einfluss auf die Wertungen des § 7 Abs. 1 HWG.

DocMorris legte gegen das Frankfurter Urteil Revision zum BGH ein. Dieser setzte im Februar dieses Jahres das Verfahren aus – und rief den EuGH an.

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Die Frage der Karlsruher Richter an ihre Kollegen in Luxemburger Richter lautet sinngemäß:

Steht es mit den Bestimmungen Humanarzneimittelkodex zur Arzneimittelwerbung in Einklang, wenn das deutsche heilmittelwerberechtliche Zugabeverbot (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Heilmittelwerbegesetz) dahin ausgelegt wird, dass es einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versandapotheke verboten ist, mit der Auslobung eines Gewinnspiels um Kunden zu werben, wenn die Teilnahme an dem Gewinnspiel an die Einreichung eines Rezepts für ein Rx-Humanarzneimittel gekoppelt ist, der ausgelobte Gewinn kein Arzneimittel, sondern ein anderer Gegenstand ist (hier: ein Elektrofahrrad im Wert von 2.500 Euro und elektrische Zahnbürsten), und nicht zu befürchten ist, dass einer unzweckmäßigen oder übermäßigen Verwendung von Arzneimitteln Vorschub geleistet wird?

Unvernünftiger Verzicht auf die öffentliche Apotheke 

Jetzt liegen die Entscheidungsgründe dieses Beschlusses vor. Darin zeigt der BGH deutlich auf, dass er im vorliegenden Fall § 7 HWG anwenden möchte. Er kann das Urteil des Berufungsgerichts gänzlich nachvollziehen. Für die Karlsruher Richter ist klar: Wir haben es hier mit einer Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu tun, die „ohne weiteres produktbezogen“ ist – dies ist Voraussetzung, um das das Heilmittelwerbegesetz überhaupt anwenden zu können, bloße Imagewerbung ist dagegen nicht von dessen Vorschriften erfasst. Dem stünden auch die Regelungen der EU-Richtlinie 2001/83/EG, nicht entgegen. Durch diese Richtlinie, den sogenannten Humanarzneimittelkodex, wurde die Arzneimittelwerbung in der EU vollständig harmonisiert.

Gefahr unsachlicher Beeinflussung?

Der BGH stimmt dem Oberlandesgericht auch in der Einschätzung zu, dass es sich bei der eingeräumten Gewinnspielmöglichkeit um eine Werbegabe im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG handelt. Erfasst von diesem Begriff sei jede aus Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung. Eine Ausnahme vom Zugabevebot, von denen § 7 HWG einige aufführt, sei ebenfalls nicht gegeben. Allerdings: Eine Werbegabe im Sinne der Norm liege nur dann vor, wenn ihr Anbieten, Ankündigen oder Gewähren zumindest die abstrakte Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung des Werbeadressaten begründet. Und das ist nun der kritische Punkt. Das Oberlandesgericht nahm diese abstrakte Gefahr an: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Patient, der ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel benötigt, sich entscheidet, sein Rezept bei DocMorris einzulösen. Und zwar ohne zu erwägen, dass es seinen persönlichen Bedürfnissen mehr entsprechen würde, das Arzneimittel bei einer stationären Apotheke zu erwerben. Es könne nämlich für den Kunden bedeutsam sein, auch bei Einlösung eines Rezepts unaufgefordert beraten zu werden, etwa im Hinblick auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Die vom Kunden zu treffende Entscheidung für eine stationäre Apotheke oder eine Versandapotheke sei daher für seine Gesundheit relevant, so das Berufungsgericht. Und eben diese Entscheidung sieht es durch das Gewinnspiel unsachlich beeinflusst.

BGH: Es spricht viel dafür!

Aber ist dies auch durch die Zwecke des Gemeinschaftskodex gedeckt? Diese spezielle Frage ist bislang nicht in Luxemburg beantwortet worden. „Nach Ansicht des Senats spricht vieles dafür, dass eine Werbung mit vom Zufall abhängigen Gewinnchancen beim Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel als unsachliche Beeinflussung der angesprochenen potentiellen Kunden der Beklagten anzusehen und aus diesem Grund die in Rede stehende Werbung zu untersagen ist“, heißt es in der Vorlage des BGH an den EuGH.

Entschieden hat der EuGH bereits, dass eine Öffentlichkeitswerbung in Form von Auslosungen für ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel kaum hinnehmbar ist. Und zwar unter anderem mit Verweis auf einen Erwägungsgrund (45) des Richtlinie 2001/83/EG: Demnach ist eine übertriebene und unvernünftige Werbung, die sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken könnte, verboten. Bei solchen Verlosungen werde nämlich der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung dieses (ausgelobten oder verschenkten) Arzneimittels Vorschub geleistet (Urteil des EuGH vom 8. November 2007 – Gintec).

Hier liegt der Fall jedoch anders: Es geht um kein konkretes Arzneimittel – und ein solches ist auch nicht ausgelobt. Dennoch findet der BGH: Der Patient wird durch die Gewinnaussichten verleitet, auf eine objektiv in seinem Interesse liegende Beratung in der stationären Apotheke zu verzichten – und das könne unvernünftig sein. Und so heißt es abschließend in seinem Beschluss: „Die Entscheidung des Patienten für den Bezug eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels bei einer in- oder ausländischen Versandapotheke statt bei einer stationären Apotheke, die eine objektiv benötigte Beratung leisten kann,  sollte nach Ansicht des Senats auf sachlichen Gründen beruhen und nicht durch aleatorische Reize beeinflusst werden“.

Wie der EuGH die Sache sieht, muss sich nun zeigen.

Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2020, Az.: I ZR 214/18



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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