Nikotinersatzpräparate, Schutzwirkung

Rauchen und Covid-19 – eine Debatte zwischen Emotionen und Fakten

Düssledorf - 29.04.2020, 12:45 Uhr

Gibt es für Raucher sogar eine mögliche Schutzwirkung gegen das Coronavirus? Oder sind das Fake-News? Wie ist die Datenlage? (Foto: imago images / ZUMA)

Gibt es für Raucher sogar eine mögliche Schutzwirkung gegen das Coronavirus? Oder sind das Fake-News? Wie ist die Datenlage? (Foto: imago images / ZUMA)


Nachdem eine einzelne französische Studie jetzt vorsichtig über den Zusammenhang einer möglichen Schutzwirkung von Nikotin gegen eine Covid-19-Infektion spekuliert hat, startete eine Debatte von Interessenvertretern der Raucher wie der Nichtraucher über Fakten und „Fake-News“. Und ähnlich wie bei den Vermutungen zur Covid-19-Heilwirkung des Malariamittels Chloroquin gab es auch bereits einen ersten Run auf vorgeblich schützende Nikotinersatzpräparate.

Ziemlich sicher ist eigentlich nur, dass weltweit das Thema Rauchen eines der am stärksten mit Emotionen behafteten ist. Entweder man heißt es gut oder man lehnt es ab – ein echtes Dazwischen scheint es nicht zu geben. Auch im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie gibt es Meldungen zum Thema Rauchen aus der Wissenschaft, die sich anscheinend diametral gegenüber stehen – und mit der Wucht von Überzeugungen und Emotionen stürzen sich Interessenvertreter von Seiten der Nichtraucher wie auch der Raucher auf jede Meldung, die belegen soll, das Rauchen schädlich sei oder sogar heilsam.

Der neueste Hype in Medien und Bevölkerung mit spürbaren Folgen in der Offizin fußt nun auf einer jetzt veröffentlichten Studie, die die französischen Forscher um den Erstautor Makoto Miyara aus dem Institut des Professors für Innere Medizin Zahir Amoura an der Sorbonne in Paris jetzt als Preview ohne den bei anderen Publikationen üblichen Peer-Review im Online-Portal Qeios veröffentlichten. Dabei war den Forschern eine mögliche Diskrepanz zwischen dem statistisch erhobenen Anteil an Rauchern in der Gesamtbevölkerung zu dem Anteil an Rauchern unter den Covid-19-Patienten aus China und den USA, erhoben in mehreren Studien, aufgefallen.

Augenscheinlich weniger Raucher unter befragten Covid-19-Patienten als erwartet

Mittels einer Befragung von rund 500 stationären und ambulanten Covid-19-Patienten des zur Sorbonne gehörenden Universitätskrankenhauses „APHP Pitié-Salpêtrière Hospital“ in Paris wollten die Forscher der Frage nachgehen, ob „Rauchen verhindert, dass das Virus SARS-CoV-2 eine Infektion verursacht- oder die Schwere der Erkrankung beeinflusst“. Dazu erhoben sie von den Befragten, ob sie (tägliche) Raucher seien, oder nicht. Die Wissenschaftler kamen auf einen Anteil von 4,4 Prozent Rauchern unter den 139 ambulanten und 5,3 Prozent unter den 343 stationären positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Patienten. Diese Zahlen verglichen sie mit den zuletzt 2018 erhobenen Zahlen der französischen Gesamtbevölkerung, in der der Raucher-Anteil bei 25,4 Prozent liegt.

Recht sachlich gaben die Forscher ihrem Artikel den Titel „Low incidence of daily active tobacco smoking in patients with symptomatic COVID-19“ und spekulierten, dass Nikotin somit einen Effekt auf die Expression von ACE2 haben könne – dem membranständigen Rezeptorprotein „Angiotensin konvertierendes Enzym 2“ unter anderem im Lungengewebe, das das Virus als Haupteintrittspforte in die Zellen benutzt. Es könne unter Umständen den Rezeptor blockieren und so vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützen.

„Unsere Ergebnisse sollten vorsichtig interpretiert werden und wir sind uns der Beschränkungen bewusst“, schreiben die Forscher – was allerdings diverse Medien nicht von Überschriften wie „Schützt Rauchen vor Covid-19“, „Hilft Nikotin gegen Corona“ oder auch das „Netzwerk Rauchen e.V.“ nicht vor der Übertitelung ihrer Pressemitteilung mit „Raucher seltener durch Corona krank - Netzwerk Rauchen gegen Fake News “ abhielt.

Ansturm auf Nikotin-Ersatzpräparate

Als ein Ergebnis stürmten zunächst in Frankreich viele die Apotheken und verlangten nach Nikotin-Ersatzpräparaten wie Pflaster und ähnlichem. Einen ähnlichen Effekt hatte es bereits gegeben, als spekuliert wurde, das Malaria-Arzneimittel Chloroquin könne einen virustatischen Effekt auf SARS-CoV-2 haben – und wie in dem Fall schritt die französische Arzneimittelbehörde schnell ein und regulierte den Verkauf der Präparate. Nikotin-Ersatzpräparate werden nun nur noch an Personen im Rahmen einer Rauchentwöhnung mengenbeschränkt auf einen Monatsbedarf abgegeben, der Verkauf im Internet wurde untersagt. Nikotinersatz solle nicht zur Vorbeugung oder Behandlung einer Covid-19-Infektion verwendet werden, erklärte die Behörde und warnte vor schweren Nebenwirkungen durch Nikotin vor allem bei Nichtrauchern.

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Die Forscher schränkten allerdings selbst ein, dass es eine erste Studie mit nur wenigen Teilnehmern sei und dass man schwer betroffene Covid-19-Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden, nicht habe befragen können. Ferner würden in den Studien aus China und den USA viele Daten unter anderem in manchen Fällen zum Rauchstatus fehlen. Nichtsdestotrotz schlägt Professor Amoura vor, Studien zur schützenden Wirkung von Nikotinpflastern etwa bei Pflegekräften durchzuführen.

Nikotin könnte laut anderer Studien auch für schwereren Verlauf sorgen

Unterdessen kommen andere Forscher zum Teil aus den gleichen zugrunde liegenden Daten vor allem der Erhebungen aus China zu ganz anderen Schlüssen. So stellen etwa die Forscher James Olds und Nadine Kabbani von der George Mason University in Fairfax in den USA einen ganz anderen Zusammenhang zwischen Nikotin und Covid-19 dar. Laut ihrem Review, den sie im Fachmagazin The FEBS Journal der Federation of European Biochemical Societies Mitte März veröffentlichten, führten mehrere Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Nikotin die Expression von ACE2 in der Lunge hochreguliert. Dies, so schließen die Forscher, führe zu einem möglichen schweren Verlauf der Covid-19-Infektion bei Rauchern.

Zu einem ähnlichen Schluss kamen auch kanadische Forscher. Die Forscher um Janice Leung von der Universität von British Columbia und dem St. Paul's Hospital in Vancouver haben die Expression des Proteins ACE2 im Lungengewebe bei Rauchern und COPD- (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) Patienten mit der von Nichtrauchern verglichen – und fanden eine deutliche Erhöhung. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im European Respiratory Journal. Sie kamen zu dem Schluss, dies könne die Ursache für einen graviererenden Verlauf der Infektion bei Rauchern sein.

Raucher erkranken meist schwerer

Verschiedene Meta-Analysen, die in den Fachportalen „Tobacco induced diseases“ und „MedRxiv“ veröffentlicht wurden, bewerteten zumindest das Risiko für Raucher, schwerer an Covid-19 zu erkranken bis hin zu intensivmedizinscher Indikation oder einem tödlichen Verlauf, als signifikant höher.

Grundlage der meisten bislang veröffentlichten Reviews und Studien sind Ergebnisse aus China zu Beginn der Pandemie, bei der Patientendaten mehrerer Tausend Covid-19-Betroffener erhoben wurden – unter anderem eine Auswertung, veröffentlicht im New England Journal of Medicine. Zum Teil unterscheiden sich die Daten aber methodisch, stationäre und ambulante Patienten wurden zu Teil gemischt, Geschlecht, Alter oder Rauchstatus nicht immer erhoben oder differenziert. Alle Arbeiten betonen, dass mehr Daten erhoben werden müssten und Schlüsse nur vorläufig seien.

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Dass Rauchen wissenschaftlich unzweifelhaft nicht gesundheitsfördernd ist, steht indes fest. Die über 4000 verschiedenen Substanzen im Tabakrauch neben dem Nikotin haben verschiedene schädigende Wirkungen von krebserregend über entzündungsfördernd bis hin zu direkten Vergiftungserscheinungen etwa durch enthaltene Blausäure und Kohlenmonoxid, die die Sauerstoffsättigung im Blut herabsetzen.

Raucher als Risikogruppe eingestuft

Professor Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und Leiter der Pneumologie am Universitätsklinikum Regensburg, erklärt im Webportal Lungenärzte im Netz, dass Raucher wohl grundsätzlich ein höheres Risiko hätten, an Virusinfektionen zu erkranken. Ein Grund dafür ist auch die herabgesetzte Funktion der Flimmerhärchen in den Bronchien von Rauchern.

„Wir wissen, dass jede Art von Lungenerkrankung bei Rauchern häufiger und meist schwerer auftritt“, sagte auch  Professor Dr. Stefan Andreas, Ärztlicher Leiter der Lungenfachklinik Immenhausen und Leiter des Bereichs Pneumologie an der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Uniklinik Göttingen, als Experte für die Deutsche Lungenstiftung kürzlich gegenüber DAZ online.

Das Robert-Koch-Institut hat Raucher jedenfalls zur Risikogruppe für eine Covid-19-Infektion subsumiert.



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

räuchern

von Peter Weingärtner am 03.05.2020 um 21:24 Uhr

Sonderbarerweise habe ich (Raucher, 54) voriges Jahr, bei Einführung eines flächendeckenden Rauchverbots in (österreichischen) Gastronomie und Nachtclubs, Discos (!) zu mehreren meiner Freunde gesagt: "Mit dem Rauchverbot kommen die Pandemien, denn seit der Mensch in Behausungen wohnt, räuchert er diese aus."

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: räuchern

von ANGELIKA ELISABETH BIRSCHEL-AMMANN am 18.05.2020 um 1:25 Uhr

KLASSE
ICH RAUCHE 49 JAHRE
UND LEBE GESUND

MEIN IMMU SYSTEM IST TOP!!!!
BIN EINZELGÄNGER UND EINZELKÄMPFER‼️‼️‼️

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