Nach PRAC-Empfehlung

Tolperison erhält Hinweise zu Überdosierung

Stuttgart - 24.04.2020, 10:44 Uhr

Bei Tolperison muss künftig auf Symptome der Überdosierung hingewiesen werden, ein Antidot gibt es nicht. ( r / Foto: Stada)

Bei Tolperison muss künftig auf Symptome der Überdosierung hingewiesen werden, ein Antidot gibt es nicht. ( r / Foto: Stada)


Tolperisonhaltige Arzneimittel müssen künftig einen Hinweis zu Überdosierung tragen. Das empfahl der PRAC nachdem er die periodischen Sicherheitsberichte überprüft hatte. Das BfArM setzt den CMDh-Beschluss für das bei Spastik nach Schlaganfall eingesetzte Muskelrelaxans nun um.

Die Produktinformationen zu tolperisonhaltigen Arzneimitteln (Mydocalm und Generika) werden ergänzt. Künftig weist Punkt „4.9 Überdosierung“ der Fachinformation auf Symptome einer Überdosierung mit Tolperison hin:


Symptome einer Überdosierung können Somnolenz, gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, epigastrischer Schmerz), Tachykardie, Bluthochdruck, Bradykinesie und Schwindel beinhalten. In schweren Fällen wurde über Krampfanfälle, Atemdepression, Apnoe und Koma berichtet. Es gibt kein spezielles Antidot für Tolperison, eine symptomatische Behandlung wird empfohlen.“

Auszug aus der aktualisierten Fachinformation zu tolperisonhaltigen Arzneimitteln


Auch Patienten werden über die aktualisierte Packungsbeilage auf Symptome einer Überdosierung und die zu ergreifenden Maßnahmen aufgeklärt. Im „Abschnitt 3: Wenn Sie eine größere Menge von X eingenommen haben, als Sie sollten“, erklären die Zulassungsinhaber: 


Symptome einer Überdosierung können Schläfrigkeit, gastrointestinale Symptome (z. B. Unwohlsein, Erbrechen, Schmerzen im oberen Teil des Magens), schneller Herzschlag, hoher Blutdruck, verlangsamte Bewegungen und ein Gefühl von Drehschwindel umfassen. In schweren Fällen wurde über Krampfanfälle, Verlangsamung der Atmung oder Atemstillstand und Koma berichtet. Im Fall einer Überdosierung sollten Sie sich sofort mit Ihrem Arzt oder Apotheker oder einer Notaufnahme in Verbindung setzen.“

Auszug aus der aktualisierten Gebrauchsinformation zu tolperisonhaltigen Arzneimitteln


Fachinformation bisher: „Keine Fälle von Überdosierung berichtet“

Aktuell informiert die Fachinformation noch, dass „keine Fälle von Überdosierung berichtet“ sind, man habe in akuten Toxizitätsstudien bei Tieren Ataxie, tonisch-klonische Krämpfe, Dyspnoe und Atemlähmung bei Dosen höher als die maximal tolerierte Dosis beobachtet. Wahrscheinlich seien die Symptome einer Überdosierung beim Menschen ähnlich. Diese bisherigen Beobachtungen wurden nun revidiert.

Daten aus Schweizer Giftzentrum

Der neue Hinweis ist die Folge eines europäischen, die periodischen Sicherheitsberichte bewertenden Verfahrens. In diesem hat der PRAC auf Basis der Analyse von Daten eines Schweizer Giftzentrums zur Überdosierung von Tolperison – bei Patienten, die Tolperison allein oder in Kombination mit nichtsteroidalen Entzündungshemmern einnahmen, – entschieden. In der Schweiz ist Tolperison zugelassen bei Muskelspasmen bei schmerzhaften Erkrankungen der Skelettmuskulatur, vor allem der Wirbelsäule und der stammnahen Gelenke und kann auch verwendet werden bei erhöhtem Tonus der Skelettmuskulatur bei neurologischen Erkrankungen wie beispielsweise Pyramidenbahnläsionen.

Die Empfehlungen des  Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) wurden sodann von der Koordinierungsgruppe (CMDh, Co-ordination group for Mutual recognition and Decentralised procedures – human) einstimmig beschlossen, auf Länderebene setzt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diesen Beschluss nun um.

Tolperison

Tolperison wird eingesetzt zur symptomatischen Behandlung der Spastizität nach einem Schlaganfall bei Erwachsenen. Die Einzeldosis liegt bei 50 mg bis 150 mg, die Tagesgesamtdosis bei 150 mg bis maximal 450 mg Tolperison. 

Tolperison ist ein zentral wirksames Muskelrelaxans mit Eigenschaften ähnlich denen von Lokalanästhetika, wobei der Wirkmechanismus nicht vollständig geklärt ist. 

Tolperison besitzt der Fachinformation zufolge eine hohe Affinität zu Nervengewebe, die höchsten Anreicherungen finden sich im Hirnstamm, Rückenmark und dem peripheren Nervensystem. Tolperison reduziert dosisabhängig den Einstrom von Natriumionen durch isolierte Nervenmembranen und reduziert Amplitude und Frequenz der Aktionspotenziale. Der Wirkstoff zeigt strukturelle Ähnlichkeit mit dem Lokalanästhetikum Lidocain und wirkt wie Lidocain über seine membranstabilisierende Aktivität („lidocaine like activity“). Weiter wurde eine inhibitorische Wirkung auf spannungsabhängige Ca2+-Kanäle nachgewiesen. Tolperison soll auch die Freisetzung von Neurotransmittern verringern und entfaltet seine Wirkung auf drei Ebenen: peripher, zentral-spinal und zentral-reticular.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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