Erleichterte Quarantäne bei Personalmangel

RKI: Pharmazeutisches Personal essenziell und hochspezialisiert

Stuttgart - 08.04.2020, 07:00 Uhr

Pharmazeutisches Personal essenziell und hochspezialisiert, legt das RKI fest und gehört zum Personal der kritischen Infrastruktur. (t/Foto: imago images / Mint Images)

Pharmazeutisches Personal essenziell und hochspezialisiert, legt das RKI fest und gehört zum Personal der kritischen Infrastruktur. (t/Foto: imago images / Mint Images)


Gelten erleichterte Quarantänemaßnahmen auch für pharmazeutisches Personal? Das Robert Koch-Institut hat nachgebessert, und zwar bei den „Optionen zum Management von Kontaktpersonen unter Personal der kritischen Infrastruktur bei Personalmangel" – und dazu gehört Pharmazeutisches Personal. Zuvor umfassten die Empfehlungen, die verkürzte Quarantäne bei Personalmangel ermöglichen, nur „medizinisches Personal“, selbst das BMG positionierte sich nicht, ob diese zur Aufrechterhaltung der Patientenversorgung auch für Apotheker gelten. Nun ist es eindeutig, aber auch kein Freifahrschein.

Gehören auch Apotheker und PTA zum vom Robert Koch-Institut (RKI) umrissenen „medizinischen Personal“? Diese Frage hatte in der vergangenen Woche für viel Unmut und Unsicherheit in der Apothekerschaft geführt, nachdem das RKI „Optionen zum Management von Kontaktpersonen unter medizinischem Personal bei Personalmangel“ veröffentlicht hatte. Diese sahen unter anderem vor, bei relevantem Personalmangel, wenn die adäquate Versorgung von Patienten nicht mehr gewährleistet werden kann und andere Maßnahmen zur Sicherstellung einer angemessenen Personalbesetzung erschöpft sind, Quarantäneregeln zu lockern oder auch medizinisches Personal mit Erkältungssymptomen einzusetzen. Dadurch sollen die beiden konkurrierenden Ziele

  • Infektionsschutz durch Absonderung von potenziell infiziertem Personal und
  • die Aufrechterhaltung der medizinische Versorgung von Patienten

erreicht werden.

BMG verweist auf Gesundheitsämter

Dass auch Apotheken für die (Arzneimittel-)Versorgung der Bevölkerung essenziell sind, war vielleicht zunächst vergessen worden. Zumindest wollte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Nachfrage von DAZ.online nicht bestätigen, dass die erleichterten RKI-Empfehlungen bei Personalmangel entsprechend auch für Apotheken gelten. Das BMG beschränkte sich stattdessen auf den Hinweis, dass betroffene Apotheken sich mit den zuständigen Gesundheitsämtern besprechen sollten.

Der Apothekerkammer und dem Apothekerverband Nordrhein war dies zu schwammig, sie appellierten dann sogar an die Gesundheitsämter. Sie forderten Klärung – das ist nun geschehen. Das RKI hat nachgebessert und jüngst „Optionen zum Management von Kontaktpersonen unter Personal der kritischen Infrastruktur (KritIS) bei Personalmangel“ veröffentlicht. Pharmazeutisches Personal wird hier explizit erwähnt, als „essenzielles und/ oder hoch spezialisiertes KritIS-Personal“. Allerdings sind die nun möglichen offiziellen Erleichterungen auch kein Freifahrschein für Unvorsichtigkeit, sondern stellen absolute Ausnahmeregelungen dar.

Apotheker sind Personal der kritischen Infrastruktu

Die Handlungsoptionen sollen ausschließlich in Situationen zur Anwendung kommen, in denen ein relevanter KritIS-Personalmangel vorliegt und „alle anderen Maßnahmen zur Sicherstellung einer unverzichtbaren Personalbesetzung ausgeschöpft sind“, erklärt das RKI. Das Robert Koch-Institut begründet, dass die Anwendung der Optionen mit einem erhöhten Risiko der Weiterverbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen einhergehen. Zudem stellt das RKI klar, wer überhaupt auf die Ausnahmeregeln zurückgreifen darf: „Die Anwendung der Ausnahmeregelung muss beschränkt bleiben auf essenzielles und/oder hoch spezialisiertes KritIS-Personal, welches nicht durch Umsetzung oder kurzfristiges Anlernen von Personal aus anderen Bereichen ersetzt werden kann, zum Beispiel Techniker in der Energie- und Wasserversorgung, Fluglotsen, IT-Ingenieure, Veterinärmedizinisches-, Pharmazeutisches- und Laborpersonal.“

Nur in Ausnahmesituationen

Und weiter: „Die Handlungsoptionen sind somit NICHT pauschal auf das gesamte Personal in den KritIS- Sektoren und Branchen anzuwenden.“ In jedem Fall sollte zudem ein betriebliches Konzept mit präventiven Maßnahmen bestehen, beispielsweise mit Festlegung, welche Schutzmaßnahmen an welchem Arbeitsplatz vorzunehmen sind, zum Beispiel Abstandsregelungen, Vereinzelung, Zuordnung fester Teams, um wechselnde Kontakte zu vermeiden et cetera. Hierbei sollte auch berücksichtigt werden, dass bei relevantem Personalmangel einzusetzendes Personal, welches als Kontaktperson eingestuft oder in absoluten Ausnahme-/Notfällen sogar infiziert ist, möglichst keinen unmittelbaren Kontakt mit „gesundem“ Personal hat.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Auf jeden Fall: Kritische Dienstleistung

von Andreas P. Schenkel am 11.04.2020 um 11:39 Uhr

Wir öffentlichen Apotheken erbringen, soviel sei gleich zu Beginn gesagt, kritische Dienstleistungen, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn 2 u. 3 BSI-KritisV.

Nur Apotheken, die in Deutschland ansässig sind, können nach Anhang 5 Nr. 1 Buchst. h BSI-KritisV überhaupt zur kritischen Infrastruktur gezählt werden (wegen Verweis auf Abschnitt 1 ApoG, das nur für deutsche Apotheken komplett rechtswirksam ist).

Daraus ergeben sich zwei Interpretationsmöglichkeiten:

A)
Nur wenige deutsche Apotheken, die stets eine Apotheke als Betriebsstätte haben müssen und eine sehr umfangreiche Versenderei betreiben, könnten als kritische Infrastruktur i.S.d. BSI-KritisV gelten. Alle weiteren deutschen Apotheken gelten als Anlagen, die ein kritische Dienstleistungen erbringen. Alle ausländischen Versandhäuser gelten nicht als Irgendetwas nach BSI-KritisV.

B) (wirkt zunächst, gebe ich zu, etwas exotischer)
Da alle öffentlichen Apotheken Deutschlands für ihren Betriebsablauf und für ihre Betriebsbereitschaft auf die Dienstleistungen der pharmazeutischen Großhandlungen angewiesen sind, ist der "Anlage"-Begriff des § 1 BSI-KritisV auf die Großhandlungen auszuweiten, da sie notwendige Vor-Dienstleistungen erbringen. Ein pharmazeutischer Großhandel erreicht den Schwellenwert nach § 1 BSI-KritisV aus Anlage 5 BSI-KritisV und gilt dementsprechend als kritische Infrastruktur. Da die pharmazeutischen Großhandlungen für sich alleine die kritischen Dienstleistungen jedoch nicht bereitstellen, sondern die öffentlichen Apotheken, ergibt sich aus dieser wechselseitigen strukturell-organisatorischen Abhängigkeit, dass der Gesamtsystemkomplex Großhandlungen-Apotheken insgesamt der kritischen Infrastruktur zuzurechnen sind. Die ist der systemtheoretische Ansatz, wo der Ausfall einer Apotheke oder weniger Apotheken noch unkritisch ist, jedoch nicht genau bestimmbar ist, ab wann es für das Gesamtsystem insgesamt funktionell kritisch wird.

Da uns diese außergewöhnliche Situation zu allerlei neuartigen Verhaltensweisen zwingt, ist die Interpretationsmöglichkeit B dem RKI wohl nicht allzu schwer gefallen, auch wenn es sich direkt aus den Buchstaben der Verordnung und insbsondere des Anhang 5 Teil 3 BSI-KritisV nicht direkt wörtlich erschließt.

Dementsprechend, um dem Erstkommentator, Herrn Kollegen Kast zu antworten: Ja, ich hebe die Hand, ich arbeite in einer öffentlichen Apotheke und gehöre zur kritischen Infrastruktur im Sinne des BSI-KritisV. Sie auch, wir alle!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Ich möchte nicht unken, aber...

von Tobias Kast am 08.04.2020 um 7:34 Uhr

"Eine grundsätzliche Auflistung der Sektoren und Brancheneinteilung der kritischen Infrastruktur findet sich auf der Webseite https://www.kritis.bund.de";

BSI-Kritisverordnung - BSI-KritisV
https://www.gesetze-im-internet.de/bsi-kritisv/BJNR095800016.html

"Anhang 5, Teil 3, Schwellenwerte
Apotheke: abgegebene Packungen/Jahr: 4 650 000"

Wer in einer öffentlichen Apotheke arbeitet und nach dieser RKI Definition zur kritischen Infrakstruktur gehört, hebt bitte die Hand...
Es geht hier nicht um die Öffentlichen... wer hat den Regelschwellenwert von "500 000 versorgten Personen" im Sinne dieser Verordnung? (Tip: Diese Leute packen Päckchen...)

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Ich fürchte, Sie haben Recht!

von Norbert Veicht am 08.04.2020 um 17:38 Uhr

Es wäre schön, wenn ein Jurist das überprüfen könnte. Bis dahin gehe ich davon aus, dass Sie Recht haben.
Wo sind gleich nochmal die Brechschalen?

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