Corona-Berechnungen aus London

„Shutdown“ dürfte bereits Zehntausende Tote in Europa verhindert haben

Berlin - 06.04.2020, 09:00 Uhr

Forscher des Imperial College London haben berechnet, dass der „Shutdown“ in Europa bereits mehrere Zehntausend Todesfälle verhindert habe. (s / Foto: imago images / Emmanuele Contini)

Forscher des Imperial College London haben berechnet, dass der „Shutdown“ in Europa bereits mehrere Zehntausend Todesfälle verhindert habe. (s / Foto: imago images / Emmanuele Contini)


Basierend auf Daten des European Centre of Disease Control (ECDC) hat die Arbeitsgruppe um den Epidemiologen Neil Ferguson am Imperial College London die aktuelle Ausbreitung des Coronavirus in elf europäischen Ländern modelliert. Den Berechnungen zufolge dürfte der „Shutdown“ bereits zehntausende Todesfälle in Europa verhindert haben. Ein Ende sei noch nicht in Sicht, da der Anteil der Infizierten an der Bevölkerung noch viel zu gering sei, um eine Herdenimmunität aufzubauen.

In einer gemeinsamen Initiative haben das Department of Infectious Disease Epidemiology und das Department of Mathematics am Imperial College in London die aktuelle Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Europa modelliert und berechnet. Für ihre Auswertung bezogen die Forscher Daten des European Centre of Disease Control (ECDC) bis zum 28. März 2020 aus elf europäischen Ländern ein, die aktuell von Epidemien betroffen sind.

Die Forscher kalkulieren die tatsächlichen Infektionszahlen deutlich höher als die gemeldeten Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) oder der Johns-Hopkins-Universität – was sehr wahrscheinlich an Infektionen, die nur mit milden oder sogar gänzlich ohne Symptome verlaufen, sowie begrenzten Testkapazitäten liegt. Während die Johns-Hopkins-Universität für den 28. März 54.268 Infektionen für Deutschland meldete, rechneten die Londoner Forscher mit 600.000 infizierten Menschen (95-Prozent-Vertrauensintervall: 240.000-1.500.000). Auch dies entspricht „nur“ einem Bevölkerungsanteil von 0,7 Prozent – im europäischen Vergleich einer der niedrigsten Werte. Noch niedriger kam nur Norwegen mit 0,41 Prozent. Dahingegen liegt Spanien mit 15 Prozent noch weit vor Italien mit 9,8 Prozent.

Reproduktionszahl deutlich reduziert

Das RKI verortet die Basisreproduktionszahl R0 aufgrund verschiedener Studien zwischen 2,4 und 3,3. Das heißt: Ein Infektionsfall löst durchschnittlich drei weitere aus. Nach den Berechnungen der englischen Forscher habe sich die Nettoreproduktionszahl Rt als Konsequenz der kombinierten nicht-pharmazeutischen Maßnahmen mittlerweile in allen betrachteten Ländern reduziert. Im Durchschnitt schätzen die Forscher diese auf 1,43. Für Deutschland ermittelten sie eine Rt von 0,97 (0,14-2,14) jedoch mit erheblichen Unsicherheiten. Allerdings meldete am Freitag auch das RKI, dass Deutschland eine Rt von 1 erreicht habe. Ein Grund für Entwarnung sei dies allerdings nicht, erklärte RKI-Präsident Lothar Wieler.

Zeitliche Entwicklung der berechneten Reproduktionszahl für Deutschland (Foto: Imperial College COVID-19 Response Team)

Rund 59.000 verhinderte Todesfälle

Denn aktuell retten die Maßnahmen Leben: Die Forscher stellten die nach ihrem Modell vorhergesagten Todeszahlen für den 31. März den Zahlen eines alternativen Modells gegenüber, bei dem davon ausgegangen wird, dass keine Maßnahmen getroffen wurden und die Rt also nach wie vor bei R0 läge. Den Berechnungen zufolge wurden in den elf europäischen Ländern so bis Ende März 59.000 Todesfälle (21.000-120.000) verhindert. Die meisten davon in Italien (38.000; 13.000-84,000) und Spanien (16.000; 5.400-35.000). In Deutschland hätte es ohne die Maßnahmen im gleichen Zeitraum immerhin 550 (91-1.800) Todesfälle mehr gegeben.

Ein Ende sei noch nicht in Sicht

Ohne die aktuellen Maßnahmen sei es jedoch sehr wahrscheinlich, dass sich das Virus wieder schnell ausbreite, da der Großteil der Bevölkerung – ohne eine Infektion durchgestanden zu haben und ohne verfügbaren Impfstoff – nicht immunisiert ist. Der Anteil der Infizierten an der Bevölkerung sei in den elf Ländern mit 4,9 Prozent noch viel zu niedrig, um eine Herdenimmunität zu entwickeln. Die Forscher gehen davon aus, dass zwischen 50 bis 75 Prozent der Bevölkerung eine Immunität erworben haben müssten, damit es zu einem natürlichen Ende der Epidemie komme.

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Svea Türschmann
redaktion@daz.online


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