Interview Thomas Preis (AVNR)

„Das Aussetzen der Rabattverträge würde Patienten schützen und Apotheker entlasten“

Berlin - 16.03.2020, 09:00 Uhr

Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, fordert aufgrund der Coronakrise das sofortige Aussetzen der Rabattverträge. (c / Foto: AVNR)

Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, fordert aufgrund der Coronakrise das sofortige Aussetzen der Rabattverträge. (c / Foto: AVNR)


Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, ist sich sicher: Die Arbeitslast aber auch die Bedeutung der Apotheken für die Primärversorgung werden in den kommenden Wochen zunehmen. Damit die Pharmazeuten und ihre Mitarbeiter in der Coronakrise entlastet werden, fordert Preis das sofortige Aussetzen der Rabattverträge und der Importförderklausel. Der Verbandschef meint im Interview mit DAZ.online: In dieser Zeit ist es wichtig, die Anzahl der Kundenbesuche in der Apotheke zu verringern.

DAZ.online: Herr Preis, die Situation in vielen Apotheken ist angespannt. Man merkt die zunehmende Angst in der Bevölkerung. Wie sieht es in den Apotheken in Ihrem Verbandsgebiet aus?

Preis: Die Apotheken in unserem Land sind voll. Viele Kunden und Patienten versorgen sich in dieser aktuellen pandemischen Ausnahmesituation jetzt noch intensiver mit Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten. Um dieser Aufgabe nachhaltig nachkommen zu können, brauchen die Apotheken jetzt praktische und sofort wirksame Entlastungen und wirksame Unterstützung.

DAZ.online: Was schwebt Ihnen vor?

Preis: Es ist wichtig Umstellungen zu finden, die die Patienten und Apotheker gleichermaßen entlasten und schützen. Eine solche Maßnahme wäre das sofortige Aussetzen aller Rabattverträge und Importregelungen.

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DAZ.online: Was versprechen Sie sich davon?

Preis: Es ist aktuell unverantwortlich, Patienten wiederholt in die Apotheke zu bitten, nur weil das Rabattarzneimittel oder ein bestimmtes laut Rahmenvertrag vorgeschriebenes Medikament beim ersten Besuch nicht auf Lager war. Der Apotheker sollte die Präparate abgeben dürfen, die er gerade auf Lager hat. Ist das abgegebene Arzneimittel teurer als der Festbetrag, muss die Krankenkasse die Mehrkosten tragen. Auch zeitraubende Rücksprachen in Arztpraxen könnten für eine Entlastung sowohl bei Apotheken und Arztpraxen sorgen. Weniger Wartezeiten in den Apotheken sind jetzt dringend notwendig.

Somit würden Patienten und Apothekenpersonal auch viel besser vor potentieller Ansteckung geschützt. Und die Apotheken, die eine wichtige Rolle in der Primärversorgung während der Krise spielen, entlastet. In unseren Apotheken sollten in dieser Zeit der Pandemie auch nur noch wirklich notwendige Kundenkontakte stattfinden, das werden sowieso weiterhin sehr viele sein. Der Mehrfachbesuch, nur um die Rabattverträgen einzuhalten, gehört sicher nicht dazu.

DAZ.online: Die Rabattverträge bringen den Kassen pro Jahr etwa 4 Milliarden Euro ein. Woher soll dieses Geld genommen werden?

Preis: Die dafür benötigten Gelder könnten entweder aus dem von der EU geplanten Wirtschaftsfonds kommen oder von der Bundesregierung bereitgestellt werden. Gleiches gilt für die schon in normalen Zeiten oft unsinnigen und extrem bürokratielastigen Genehmigungsverfahren bei Hilfsmitteln und Diätetika. Auch für die Kassen hätte das übrigens Vorteile.

Preis: Auch die Kassen würden profitieren

DAZ.online: Warum?

Preis: Auch bei den Krankenkassen wird es aufgrund der aktuellen Situation und absehbaren Personalengpässen sehr schnell zu Genehmigungsengpässen kommen. So könnte dort auch für notwendige Entlastung gesorgt werden, Apotheken könnten sich auf ihre Kernaufgaben besser konzentrieren und betroffene Patienten müssten nicht unnötig oft in die Apotheke kommen müssen.

DAZ.online: Kommen denn derzeit noch alle Stammkunden in die Apotheke?

Preis: Wir stellen aktuell eine stark steigende Zahl an Botendienstfahrten fest. Gerade die besondere Risikogruppe der älteren Menschen und der chronisch Kranken geht nicht mehr aus dem Haus. Und das wird in den nächsten Wochen kontinuierlich zunehmen. Menschen in Quarantäne müssen sowieso zu Hause bleiben. Wenn sie dann selber keine Angehörigen oder Freunde haben die sie versorgen muss die Apotheke mit dem Boten einspringen. Die Apotheken werden da ihre Kapazitäten da jetzt erhöhen. Dafür ist aber auch eine finanzielle Beteiligung der Krankenkassen notwendig.

DAZ.online: Wie soll das ablaufen?

Preis: Wir brauchen da ein einfaches unbürokratisches Verfahren. Das wäre zum Beispiel die deutliche Anhebung der Notdienstpauschale für die Zeit der Pandemie. Dann würde das Geld auch so verteilt sein, wie es den lokalen Bedürfnissen entspricht. In Regionen wo viel Notdienst gemacht wird, sind die lokalen Verhältnisse so, dass Botenfahrten jetzt noch öfter vorkommen werden. Und die Fahrten sind länger und weiter.

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DAZ.online: Wie sieht es eigentlich mit der Personalsituation in den Apotheken aus? Sorgen Sie sich, dass die Personaldecke noch dünner werden könnte?

Preis: Ab dieser Woche schließen Schulen und Kindergärten und viele berufstätige Eltern haben ein Betreuungsproblem. Es ist dringend notwendig, dass  in allen Bundesländern klar definiert wird, dass auch Apotheken zu den versorgungsrelevanten Bereichen gehören, für die eine Kinderbetreuung organisiert wird.

DAZ.online: Herr Schmidt hat ja das Thema Honorarerhöhung angebracht wegen des Corona-Mehraufwands. Was sagen Sie zu diesem Thema?

Preis: Jetzt pauschal Honorarforderungen anzumelden ist der falsche Zeitpunkt. Aber jetzt schnell für konkrete und sofort umsetzbare Entlastungen für Apotheken zur besseren Patientenversorgung zu sorgen, ist das Gebot der Stunde. Dazu gehört übrigens auch, dass Apotheken die durch Schließung von Arztpraxen, die über Wochen unter Quarantäne gestellt wurden, und dadurch nachweislich in eine wirtschaftliche Schieflage kommen, durch unseren Staat finanzielle Unterstützung erhalten – wie das bei anderen Branchen auch geschieht. Es kann nicht sein, dass durch diese Krise, die ja zeigt, wie wichtig jetzt ein funktionierendes Apothekennetz ist, die flächendeckende Versorgung weiter Schaden nimmt.

Forderungen nach Entlastungen und finanziellen Unterstützungen für jetzt konkret notwendige und erbrachte Mehrleistungen der Apotheken zu fordern, ist notwendig - für Apotheken und Patienten gleichermaßen. Ich bin mir sehr sicher, dass diese Forderungen bei der Politik Gehör finden, wenn dies jetzt sofort von der ABDA nachhaltig weiterverfolgt wird. Eine pauschale Forderung hingegen wie jüngst im  RND berichtet, wird uns, den Apotheken vor Ort, zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiterhelfen. Sogar eher schaden.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Rabattverträge aussetzen

von Mr. T am 16.03.2020 um 21:26 Uhr

Nehmen wir doch Herrn Lauterbach in seinem heutigen Interview mit t-online beim Wort. Er sagte sinngemäß, dass sich etwas ändern müsste in unserem Gesundheitssystem. Das Aussetzen wäre doch ein guter Anfang.

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Preisanker

von Birgit Möllenkamp am 16.03.2020 um 20:49 Uhr

Im Regelfall würde es schon genügen, diesen unsäglichen Preisanker auszusetzen, damit würde der Aufwand sich schon deutlich reduzieren!
Außerdem wäre es hilfreich, wenn uns endlich keine unnötigen Rezepturen wie: Zinkoxid in wirkungslose Grundlage einarbeiten, obsolete Nasensalben oder einfach Varianten von lieferbaren Fertigarzneimitteln (z.B. Metronidazolcremes, Kortisonlotionen oder Antimykotikum plus Kortikoid als Creme oder Tinkturen gegen Haarausfall) die Kapazitäten in der Rezeptur blockieren würden.

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Selten eine so klare und in sich konsistente Argumentation gelesen ...

von Christian Timme am 16.03.2020 um 11:23 Uhr

Sich in "diesen Zeiten" mit einer deratig stimmigen Argumentation voraussichtlich mit den "üblichen Phrasen" abspreisen zu lassen ... man stelle sich vor, das würde so umgesetzt ... und die Kassen könten danach nicht mehr zurück ins "Knebel-Paradies" ... weil wir durch Corona "aufgewacht" sind ???

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Rabattverträge

von Conny am 16.03.2020 um 9:34 Uhr

Vollkommen richtig ! Aber bevor die Kassen freiwilig die Rabattverträge ruhenlassen , ist es wahrscheinlicher das in Syrien Frieden herrscht.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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