Werbemaßnahmen der Shop Apotheke vor dem EuGH

Generalanwalt: Würde des Apothekerberufs kann Werbeverbote rechtfertigen

Berlin - 03.03.2020, 17:55 Uhr

Lassen sich Riesen-Versender wie die Shop Apotheke zügeln, um die Würde des Apothekerberufs zu schützen? ( t / Foto: Shop Apotheke)

Lassen sich Riesen-Versender wie die Shop Apotheke zügeln, um die Würde des Apothekerberufs zu schützen? ( t / Foto: Shop Apotheke)


Die forschen Werbemethoden der niederländischen Shop Apotheke in Frankreich könnten möglicherweise bald vom Europäischen Gerichtshof gezügelt werden. Jedenfalls meint der zuständige Generalanwalt in dem Verfahren, dass Werbebeschränkungen eines Mitgliedstaates für EU-ausländische Versender, die den Arzneimittelkonsum kontrollieren und die Würde des Apothekerberufs wahren sollen, durchaus gerechtfertigt sein können. DAZ.online hat bei Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas nachgefragt, wie sich diese Einschätzungen auf deutsche Streitigkeiten mit EU-Versendern auswirken könnten.

Der niederländische Arzneimittelversender Shop-Apotheke bietet in Frankreich über eine französische Internetseite nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel an – der Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist in unserem Nachbarland gar nicht erlaubt. Doch auch die OTC-Werbung läuft in ihrer Art und Weise den französischen Apothekern zuwider. Sie ist groß angelegt, im Internet und in Werbebroschüren, die unter anderem Paketen anderer Unternehmen beigelegt sind. Darin werden ab einem bestimmten Bestellwert Rabatte angeboten. Außerdem nutzt die Shop Apotheke Suchmaschinen, die ihre Sichtbarkeit im Vergleich zu niedergelassenen Apotheken erhöhen – und bezahlt dafür.

Die französischen Apotheker sowie ihre Verbände, die nun gegen die Shop Apotheke klagen, sind überzeugt, dass mit dieser Werbung gegen französisches Recht verstoßen wird. Denn danach ist es Apothekern verboten, mit Vorgehensweisen und Mitteln zu werben, die als nicht vereinbar mit der Würde des Berufs angesehen werden. Ebenso ist es unzulässig, Patienten zu einem missbräuchlichen Konsum von Arzneimitteln zu verleiten und einen kostenpflichtigen Suchmaschinen-Verweis zu nutzen. Mit letzterem Verbot will man in Frankreich verhindern, dass sich die Vermarktung von Arzneimitteln in den Händen großer Online-Apotheken konzentriert, und dafür sorgen, dass eine ausgewogene Verteilung der Apotheken im ganzen Land gewährleistet bleibt. Zudem müssen Patienten nach französischem Recht vor der ersten elektronischen Bestellung von Arzneimitteln einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen, was die Shop Apotheke aber ebenfalls nicht beachtet habe.

Die Shop Apotheke ist davon überzeugt, dass die besagten französischen Vorschriften gar nicht auf sie anwendbar seien. Vielmehr unterliege sie allein den niederländischen Vorschriften, nach denen ihre Werbemaßnahmen zulässig seien. Das sah das französische Gericht in erster Instanz allerdings anders und gab der wettbewerbsrechtlichen Klage der Apotheker statt. Das Verfahren ging daraufhin vor den Cour dʼappel de Paris, das größte Berufungsgericht Frankreichs. Und dieses entschied, vor einem eigenen Urteil, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen (Rs. C-649/18). Die Luxemburger Richter sollen die Frage klären, ob die Anwendung der französischen Vorschriften auf die niederländische Online-Apotheke mit dem Unionsrecht vereinbar ist, insbesondere mit den Vorschriften über den freien Warenverkehr, aber auch mit den Vorgaben des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel.

Am 27. Februar hat nun der Generalanwalt am EuGH, M. Henrik Saugmandsgaard Øe, seine Schlussanträge vorgelegt – diese sind eine Art Empfehlung für die Entscheidung des Gerichts. Häufig, aber keinesfalls immer, folgt der EuGH dem Generalanwalt in seiner Einschätzung. 

Mitgliedstaaten dürfen Apothekenwerbung regulieren

Der Däne Saugmandsgaard Øe befasst sich in seinen Ausführungen zunächst mit der Frage, inwieweit sich die französischen Regelungen für die Werbung von Apotheken an den Vorgaben des Gemeinschaftskodexes für Arzneimittel (Richtlinie 2001/83/EG) messen lassen müssen. Dazu erläutert der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas: „Diese Frage ist insoweit von Interesse, als der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel eine sogenannte abschließende Regelung bildet, d. h. die nationalen Gesetzgeber in den Bereichen, in denen der Gemeinschaftskodex Regelungen vorsieht, nicht berechtigt sind, hier weitergehende, insbesondere strengere Regelungen zu treffen“. Der Generalanwalt kommt hier zu dem Ergebnis, dass die hier in Streit stehenden Regelungen für den Betrieb einer Versandapotheke nicht in den Bereich der im Gemeinschaftskodex harmonisierten Regelungen fallen. Damit ist es den nationalen Gesetzgebern möglich, die Werbung für Apotheken – auch im Hinblick auf das Arzneimittelangebot und den damit verbundenen Absatz – eigenständig zu regeln.

Für Douglas eine gute Botschaft: „Sollte sich der EuGH dieser Auffassung anschließen, wäre hiermit auch in deutschen Verfahren den immer wieder von den ausländischen Versandapotheken erhobenen Einwänden, die Einschränkung der Werbemaßnahmen von Versandapotheken verstieße gegen die Richtlinie, die Grundlage entzogen“. Solche Regelungen wären dann nur noch an den stets zu prüfenden Grundfreiheiten des EU-Vertrages zu messen.

Eingriff in den freien Binnemarkt?

Und diese Prüfung führt der Generalanwalt auch durch. Sein Fazit: Eine nationale Vorschrift, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Apotheke verbietet, in großem Umfang in per Post verschickten Werbeprospekten für Arzneimittel zu werben und ab einem bestimmten Bestellwert Preisnachlässe anzubieten, ist nicht zwingend unvereinbar mit den Regelungen zum freien Binnenmarkt. Besteht kein vollständiges Werbeverbot für die EU-Versender, sondern haben diese noch andere Möglichkeiten, in einem anderen Mitgliedstaat zu werben, könnte es eine schlichte „Verkaufsmodalität“ sein, die ohnehin nicht mit den Binnenmarkts-Prinzipien kollidiert – sofern sie gleichermaßen auf alle Marktteilnehmer Anwendung findet. Selbst wenn eine Werbebeschränkung wie ein faktisches Werbeverbot wirken sollte, könnte diese immer noch gerechtfertigt sein – sie müsste erforderlich und verhältnismäßig sein, um das Ziel des Gesetzgebers umzusetzen, etwa die Würde des Apothekerberufs zu schützen, beziehungsweise dem Ziel dienen, den übermäßigen Arzneimittelkonsum zu verhindern. Beides hält der Generalanwalt für keinesfalls abwegig. Ob es wirklich so ist, habe aber das vorlegende französische Gericht selbst zu prüfen.

Die Sache mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr

Der Generalanwalt macht aber auch klar, dass die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (Art. 3 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2000/31/EG) Mitgliedstaaten an bestimmten Verboten für die Online-Arzneimittelwerbung von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten im eigenen Land hindere – darunter fallen dem Generalanwalt zufolge auch die konkreten französischen Verbote über den Einsatz von bezahlten Suchmaschineneinträgen oder aber die Pflicht, vor der ersten Bestellung einen Gesundheitsfragebogen auszufüllen. Das sei aber nur der Fall, wenn der erste Mitgliedstaat (hier: Frankreich) seine Absicht, besagte Regelung anzuwenden, dem zweiten Mitgliedstaat (hier: Niederlande) sowie der Europäischen Kommission zuvor nicht mitgeteilt hat – auch das müsse das französische Gericht überprüfen. Im vorliegenden Fall lasse sich der Akte nicht entnehmen, ob eine solche Mitteilung stattfand. Gab es eine Mittelung, sei der Mitgliedstaat nicht gehindert, die Regelungen auf einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Online-Anbieter von Arzneimitteln anzuwenden – erneut vorausgesetzt, sie sind geeignet und erforderlich, um die öffentliche Gesundheit zu schützen, was wiederum das vorlegende Gericht zu überprüfen habe.

Wie geht man in Deutschland mit dem Phänomen ausländischer Anbieter um?

Rechtsanwalt Douglas freut dies insoweit, „dass der Prüfungsmaßstab hier – anders als im Verfahren Deutsche Parkinson Vereinigung – wieder auf das sich aus den europäischen Regelungen ergebende Maß zurückgeführt wird. Bei der Frage, ob die Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, wird den nationalen Gesetzgebern durch den Generalanwalt ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt“.

„Grundsätzlich erfreulich“ sei auch, dass der Generalanwalt das Erfordernis des Schutzes der Würde des Apothekerberufs als Rechtfertigungsgrund für übertriebene Werbung anerkannt habe. Es solle sichergestellt werden, dass beim Vertrieb von Arzneimitteln besondere Regelungen gelten können – schließlich handelt es sich nicht um eine beliebige Ware. Allerdings gibt Douglas zu bedenken, dass in Deutschland im Wesentlichen die Apothekerkammern, die entsprechende Regelungen in ihren Berufsordnungen verankern, über solche Regelungen wachen – doch ausländische Apotheken sind für die Kammern nicht zu fassen. Daher müsse nun überlegt werden, wie diese Maßstäbe auch auf ausländische Anbieter angewendet werden können. Douglas: „Hier wird es erforderlich sein, in eine grundlegende Diskussion zu treten, wie mit dem Phänomen ausländischer Anbieter, die es bei Entscheidung für eine Selbstverwaltung durch die Kammern noch nicht gab, umgegangen werden soll“.

Gefahr für die flächendeckende Versorgung – welche Nachweispflichten gelten?

Für Deutschland interessant findet Douglas auch die Frage, inwieweit bezahlte Einträge bei Suchmaschinen, die die Sichtbarkeit bestimmter Apotheken erhöhen, zulässig sind oder nicht. Hier weise der Generalanwalt deutlich darauf hin, dass es anerkannt sei, die Notwendigkeit der ständigen Versorgung eines Mitgliedsstaats mit Arzneimitteln als anerkanntes Schutzgut zu akzeptieren, wodurch sich Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen können. In diesem Zusammenhang ist es nach Auffassung des Generalanwaltes auch nicht erforderlich, einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verbot einerseits und dem Risiko des Verschwindens von Apotheken in ländlichen Gebieten andererseits, nachzuweisen. Vielmehr betont er, dass bei einer Ungewissheit, ob und in welchem Ausmaß Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen, der Mitgliedstaat berechtigt sei, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ohne abwarten zu müssen, bis die Risiken sich verwirklichen. Er bleibe jedoch verpflichtet, das Bestehen des angeblichen Risikos sowie die begründete Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der restriktiven Maßnahme und der Verringerung dieses Risikos nachzuweisen. Hierbei, so Douglas, zeige sich der Generalanwalt jedoch zurückhaltend und deute bereits an, dass die alternativ vonseiten der Kommission und der beklagten Versandapotheke genannten Maßnahmen die verfolgten Ziele nicht ebenso wirksam erreichen können.

Douglas: „Zumindest der Generalanwalt erkennt somit die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln als schützenswertes Gut an, für dessen Wahrung die Warenverkehrsfreiheit eingeschränkt werden kann“. Anders als es der EuGH im Oktober 2016 gefordert habe, stelle der Generalanwalt deutlich geringere Anforderungen an den Nachweis der Erforderlichkeit einer solchen Regelung und nehme dabei auch ausdrücklich Bezug auf die nationale Kompetenz diesem Bereich. Und so blickt sicher nicht nur Douglas mit Spannung auf das kommende Urteil: Wie wird der EuGH diese Schlussanträge zum Erhalt der flächendeckenden Versorgung mit Arzneimitteln umsetzen? „Je nach Ausgang des Verfahrens und je nach Begründung wird dies sicherlich für ein mögliches weiteres Verfahren, das im Anschluss an die im Moment geplante Überführung der Gleichpreisigkeit in das SGB V im Raume steht, von grundlegender Bedeutung sein“ so Douglas.

Allerdings kann es noch ein paar Monate dauern, bis der EuGH entscheidet. Wie es mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz und seiner Gleichpreisigkeit im Sozialrecht weiter geht, ist indessen gänzlich ungewiss.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Schweigen im Wald.

von Roland Mückschel am 04.03.2020 um 17:02 Uhr

Ist hier angesagt.
Aber ihr habt alle recht.
Mich kotzt diese Eu Gerichtsverarscherei
auch an.

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