Operationen, Zytostatikaherstellung, Frühchenversorgung

„Hamsterkäufe gefährden den normalen Klinikbetrieb“

28.02.2020, 07:00 Uhr

Dr. Annette Sattler leitet die Apotheke des Klinikums Nürnberg. (s /Foto: Klinikum Nürnberg)

Dr. Annette Sattler leitet die Apotheke des Klinikums Nürnberg. (s /Foto: Klinikum Nürnberg)


Die Sorge vor einer Coronavirus-Epidemie versetzt immer mehr Menschen in Angst und Panik – und stellt die ärztliche Versorgung vor allem in Kliniken vor unvorhergesehene Probleme. Hamsterkäufe von Mundschutz, Atemmasken und Desinfektionsmitteln führen dazu, dass diese dort knapp werden, wo sie dringend gebraucht werden: in Kliniken, Arztpraxen und auch in Apotheken, die für die Zytostatikaversorgung und parenterale Ernährung zuständig sind. Dr. Annette Sattler, Leiterin der Apotheke des Klinikums Nürnberg, hat deshalb auch weniger Angst vor dem Coronavirus als davor, dass Schutzkleidung für die Sterilherstellung fehlt und beispielsweise Operationen aus diesem Grund nicht durchgeführt werden können.

Frau Dr. Annette Sattler ist als Leiterin der Apotheke des Klinikums Nürnberg für die Versorgung eines Krankenhauses der Maximalversorgung verantwortlich. Mit dem Management von Lieferengpässen ist sie bestens vertraut. Doch was bedeutet die drohende Coronavirusepidemie für die Klinikversorgung? Darüber haben wir mit Frau Dr. Sattler gesprochen.

DAZ: Frau Dr. Sattler, die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Bereitet Ihnen das Sorge?

Sattler: Eine bevorstehende Coronavirus-Epidemie bereitet mir zur Zeit weniger Sorge als die Panikreaktionen der Menschen, die nun Atemmasken, Mundschutz und Desinfektionsmittel in großen Mengen aufkaufen und horten, ohne dass dies für den Einzelnen sinnvoll ist. Diese Hamsterkäufe können dazu führen, dass diese wichtigen für den Klinikbetrieb essenziellen Hilfsmittel fehlen. Meine große Sorge ist daher, dass so der Klinikbetrieb zum Erliegen kommt, Operationen nicht mehr durchgeführt werden können, Frühchen und Intensivpatienten, die vor Infektionen geschützt werden müssen, wegen fehlender Schutzkleidung nicht mehr ordnungsgemäß versorgt werden können und einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt werden.

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DAZ: Nun scheint ja in der Tat Schutzkleidung weltweit knapp zu sein, Desinfektionsmittel sind in deutschen Apotheken immer wieder nicht lieferbar, Atemschutzmasken nahezu ausverkauft. Wie sieht die Situation in Ihrer Klinik aus?

Sattler: Momentan sind wir noch ganz gut gerüstet. Doch auch wir verzeichnen Lieferengpässe zum Beispiel bei Desinfektionsmitteln und Atemschutzmasken, dem wir durch verstärkten Einkauf entgegen wirken. Wir haben unsere Vorräte hochgefahren, doch das hat Grenzen. So müssen wir die ethanolischen und damit brennbaren Desinfektionsmittel gesondert lagern, hierzu benötigen wir geeignete Räumlichkeiten.


Meine große Sorge ist, [...] dass Frühchen und Intensivpatienten, die vor Infektionen geschützt werden müssen, wegen fehlender Schutzkleidung nicht mehr ordnungsgemäß versorgt werden können [...].“

Dr. Annette Sattler, Leiterin der Apotheke des Klinikums Nürnberg


DAZ: Nun sind wir ja nicht nur in der Wirkstoffproduktion in hohem Maß von China abhängig. Schutzkleidung oder auch nur das Vlies für Atemschutzmasken wird dort produziert.

Sattler: Das ist ein großes Problem, doch im Arzneimittelbereich kämpfen wir ja schon lange damit. Momentan können wir zwar im Arzneimittelbereich noch kaum zusätzliche Verknappung feststellen, doch mittelfristig müssen wir aufgrund der eingeschränkten Produktion in China, aber auch dem eingeschränkten Transport damit rechnen.

 „Atemschutzmasken haben in normalen Haushalten zum jetzigen Zeitpunkt nichts verloren"

DAZ: Nun gibt es ja Pandemiepläne, die sicher die Schutzkleidung im Blick haben.

Sattler: Selbstverständlich haben wir für den Pandemiefall Schutzkleidung eingelagert. Doch auch diese Vorräte sind begrenzt. Umso wichtiger ist es, mit den vorhandenen Ressourcen klug umzugehen, Atemschutzmasken haben in normalen Haushalten zum jetzigen Zeitpunkt nichts verloren. Wir benötigen sie dringend in den Kliniken. Falsch angewendet stellen sie sogar ein erhöhtes Infektionsrisiko dar.

DAZ: Wir schauen immer auf China, wenn wir Lieferengpässe befürchten. Was bedeutet der Ausbruch in Norditalien denn für die Versorgung?

Sattler: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der noch zu wenig beachtet wird. So werden die für unsere Kardiotechnik notwendigen Verbrauchsmaterialien ausnahmslos in Norditalien produziert. Das wurde offenkundig, als Norditalien von Erdbeben erschüttert wurde und die Produktion zum Erliegen kam. Durch die Abriegelung ganzer Städte in Norditalien wegen des Coronavirusausbruchs besteht das Risiko von Lieferabrissen, daher lagern wir einen Mehrmonatsbedarf ein. Ein Versorgungsengpass wäre eine fatale Situation, zum Beispiel für die Herzchirurgie und die Patienten an Herz-Lungen-Maschinen.

Aber auch die ganz banalen Abstrichtupfer, die wir beispielsweise auch für den Nachweis der Coronaviren benötigen, stammen aus Norditalien. Das ist besonders spannend: Wir haben wegen der Grippesaison sowieso einen erhöhten Bedarf und jetzt gleichzeitig einen Lieferengpass, weil Nachschub aus Norditalien fehlt. Auch hier müssen wir schon improvisieren.


 Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel nützen in der aktuellen Situation Privathaushalten nicht viel, es sei denn jemand ist bereits erkrankt und vermeidet durch eine Atemschutzmaske, seine Viren weiter zu verteilen."

Dr. Annette Sattler, Leiterin der Apotheke des Klinikums Nürnberg


DAZ: Das klingt alles nicht sehr beruhigend. Was ist Ihr Appell an die Kollegen in der öffentlichen Apotheke und die Bevölkerung?

Sattler: Ganz generell: Die verunsicherten Menschen müssen über die brenzlige Situation sinnvoll aufgeklärt werden. Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel nützen in der aktuellen Situation Privathaushalten nicht viel, es sei denn jemand ist bereits erkrankt und vermeidet durch eine Atemschutzmaske, seine Viren weiter zu verteilen. Eine Atemschutzmaske senkt das Infektionsrisiko aber nur bei korrekter Handhabung, und sie schützt gar nicht vor Infektion über die Augenschleimhaut – aber kaum jemandem ist bewusst wie oft man sich ins Gesicht und an die Augen fasst. Andererseits kann man das Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern durch regelmäßiges gründliches Händewaschen erheblich senken, und dafür braucht man kein Händedesinfektionsmittel. Schutzkleidung und Desinfektionsmittel werden aber dringend bei der Versorgung von schwerkranken Menschen und Frühgeborenen benötigt, die besonders infektionsanfällig sind. Es darf nicht passieren, dass mehr Menschen an den Folgen eines durch sinnlose Hamsterkäufe verschärften Versorgungsnotstands sterben müssen als an einer Coronavirus-Infektion.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. 



Dr. Doris Uhl (du), Apothekerin
Chefredaktion DAZ

redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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