Operationen, Zytostatikaherstellung, Frühchenversorgung

„Hamsterkäufe gefährden den normalen Klinikbetrieb“

28.02.2020, 07:00 Uhr

Dr. Annette Sattler leitet die Apotheke des Klinikums Nürnberg. (s /Foto: Klinikum Nürnberg)

Dr. Annette Sattler leitet die Apotheke des Klinikums Nürnberg. (s /Foto: Klinikum Nürnberg)


 „Atemschutzmasken haben in normalen Haushalten zum jetzigen Zeitpunkt nichts verloren"

DAZ: Nun gibt es ja Pandemiepläne, die sicher die Schutzkleidung im Blick haben.

Sattler: Selbstverständlich haben wir für den Pandemiefall Schutzkleidung eingelagert. Doch auch diese Vorräte sind begrenzt. Umso wichtiger ist es, mit den vorhandenen Ressourcen klug umzugehen, Atemschutzmasken haben in normalen Haushalten zum jetzigen Zeitpunkt nichts verloren. Wir benötigen sie dringend in den Kliniken. Falsch angewendet stellen sie sogar ein erhöhtes Infektionsrisiko dar.

DAZ: Wir schauen immer auf China, wenn wir Lieferengpässe befürchten. Was bedeutet der Ausbruch in Norditalien denn für die Versorgung?

Sattler: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der noch zu wenig beachtet wird. So werden die für unsere Kardiotechnik notwendigen Verbrauchsmaterialien ausnahmslos in Norditalien produziert. Das wurde offenkundig, als Norditalien von Erdbeben erschüttert wurde und die Produktion zum Erliegen kam. Durch die Abriegelung ganzer Städte in Norditalien wegen des Coronavirusausbruchs besteht das Risiko von Lieferabrissen, daher lagern wir einen Mehrmonatsbedarf ein. Ein Versorgungsengpass wäre eine fatale Situation, zum Beispiel für die Herzchirurgie und die Patienten an Herz-Lungen-Maschinen.

Aber auch die ganz banalen Abstrichtupfer, die wir beispielsweise auch für den Nachweis der Coronaviren benötigen, stammen aus Norditalien. Das ist besonders spannend: Wir haben wegen der Grippesaison sowieso einen erhöhten Bedarf und jetzt gleichzeitig einen Lieferengpass, weil Nachschub aus Norditalien fehlt. Auch hier müssen wir schon improvisieren.


 Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel nützen in der aktuellen Situation Privathaushalten nicht viel, es sei denn jemand ist bereits erkrankt und vermeidet durch eine Atemschutzmaske, seine Viren weiter zu verteilen."

Dr. Annette Sattler, Leiterin der Apotheke des Klinikums Nürnberg


DAZ: Das klingt alles nicht sehr beruhigend. Was ist Ihr Appell an die Kollegen in der öffentlichen Apotheke und die Bevölkerung?

Sattler: Ganz generell: Die verunsicherten Menschen müssen über die brenzlige Situation sinnvoll aufgeklärt werden. Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel nützen in der aktuellen Situation Privathaushalten nicht viel, es sei denn jemand ist bereits erkrankt und vermeidet durch eine Atemschutzmaske, seine Viren weiter zu verteilen. Eine Atemschutzmaske senkt das Infektionsrisiko aber nur bei korrekter Handhabung, und sie schützt gar nicht vor Infektion über die Augenschleimhaut – aber kaum jemandem ist bewusst wie oft man sich ins Gesicht und an die Augen fasst. Andererseits kann man das Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern durch regelmäßiges gründliches Händewaschen erheblich senken, und dafür braucht man kein Händedesinfektionsmittel. Schutzkleidung und Desinfektionsmittel werden aber dringend bei der Versorgung von schwerkranken Menschen und Frühgeborenen benötigt, die besonders infektionsanfällig sind. Es darf nicht passieren, dass mehr Menschen an den Folgen eines durch sinnlose Hamsterkäufe verschärften Versorgungsnotstands sterben müssen als an einer Coronavirus-Infektion.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. 



Dr. Doris Uhl (du), Apothekerin
Chefredaktion DAZ

redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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