Chance für neuartige antivirale Therapieformen

Wie können Coronaviren Artenschranken überwinden?

Remagen - 18.02.2020, 10:20 Uhr

Artenschranken bei Virusinfektionen: Wie könnten Wirtszellen Coronaviren abwehren? (Foto: creativeneko / stock.adobe.com)

Artenschranken bei Virusinfektionen: Wie könnten Wirtszellen Coronaviren abwehren? (Foto: creativeneko / stock.adobe.com)


Coronaviren sind derzeit in aller Munde. Viele sind zwar relativ harmlos, weil sie nur einfache Erkältungen auslösen, aber es gibt auch hochpathogene Vertreter, wie das SARS-CoV, MERS-CoV und das SARS-CoV-2 (vormals nCoV2019). Es wird angenommen, dass die meisten Coronaviren, die für Menschen gefährlich sind, zunächst nur im Tierreich übertragen werden. Ein EU-Forschungsprojekt untersucht, wie sie davon abgehalten werden können, die Artenschranken zu überwinden.

Laut Welt-Tiergesundheitsorgansiation OIE haben mindestens drei Viertel der neu auftretenden Infektionskrankheiten, wie Ebola oder Influenza einen tierischen Ursprung. 60 Prozent gelten als zoonotisch, das heißt, sie können zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. 

Der genaue Ursprung des neuartigen Coronavirus 2019 ist noch unklar. Die infizierten Personen kamen auf dem Seafood-Markt in Wuhan auch mit Wildtieren in Kontakt, die dort gehandelt werden. Die enge Käfighaltung biete ideale Bedingungen für Krankheitserreger, die sich etwa über Körpersekrete verbreiten, erklärt der World Wildlife Fund. Laut Gesundheitsexperten würden sich durch die Schließung der Wildtiermärkte viele solcher Ausbrüche verhindern lassen.

Das Projekt COV RESTRIC

Das europäische Forschungsprojekt COV RESTRIC untersucht, wie Coronaviren Artenschranken überwinden können, beziehungsweise welche Mechanismen beim Wirt die Übertragung zwischen verschiedenen Arten verhindern. Das Wissenschaftler-Team um Volker Thiel, Projektkoordinator und Professor für Virologie an der Universität Bern, ging von der Hypothese aus, dass Restriktionsfaktoren beim Wirt hierbei eine Rolle spielen. Erst wenn die Viren diese umgehen und ihre Strategien an den neuen Wirt anpassen, wird eine zoonotische Infektion beim Menschen möglich.

Suche nach antiviralen Wirtsproteinen

Für die Suche nach solchen Wirtsproteinen kombinierten die Forscher modernste Technologien mit einem genetischen Screening von mehreren Hundert interferonstimulierten Genen. Diese kodieren für Effektoren, die als virale Restriktionsfaktoren fungieren könnten. Über das Screening fanden sie einige Gene, die die Replikation diverser CoV-Varianten in verschiedenen Wirtszellen hemmen können. Besonders erfolgreich war das Wirtsprotein Lymphozyt Antigen 6 Complex Locus E (LY6E). 

Wirtsprotein LY6E funktioniert bei verschiedenen Arten

Im nächsten Schritt untersuchte das Forschungsteam die Erhaltung von LY6E. Hierzu testete es orthologe Gene von Rhesusaffe, Maus, Fledermaus und Kamel. Damit sind Gene mit einer ähnlichen Nukleotidsequenz in unterschiedlichen Spezies gemeint, die auf ein Gen im letzten gemeinsamen Vorfahr dieser Spezies zurückgehen. Sie stellten fest, dass alle orthologen Varianten dieses Gens die Infektion mit dem menschlichen Coronavirus hemmten. Das deutet ihrer Meinung nach darauf hin, dass die Funktion von LY6E über die Artengrenzen hinweg erhalten bleibt.

Schutz gegen hochpathogene Viren

Weiterhin validierten die Wissenschaftler die antivirale Aktivität von LY6E bei verschiedenen humanen und Mausmodellen der CoV-Infektion. Es zeigte sich, dass das Wirtsprotein Immunzellen vor verschiedenen Viren, darunter MERS-CoV und SARS-CoV, schützen konnte. Tiere, die kein LY6E aufwiesen, waren anfällig für die CoV-Infektion. Davon waren Makrophagen und B-Zellen besonders betroffen. „Unsere Arbeit unterstreicht vor allem, wie wichtig es ist, die Immunzellen vor Virusinfektionen zu schützen“, betont die Projektbeteiligte Stephanie Pfänder. Die Aktivität von LY6E und dessen Wechselwirkung mit den Immunzellen während einer Immunantwort müsse allerdings noch weiter untersucht werden, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler.

Chance für neuartige antivirale Therapieformen

Die neu entdeckte, hemmende Funktion des Gens LY6E gegen hochpathogene Coronaviren könnte auch insgesamt zu neuen Strategien für den Schutz von Immunzellen gegen Infektionen, inklusive SARS-CoV, MERS-CoV oder SARS-CoV-2, führen. Thiel hofft, dass das Wissen über intrinsische Abwehrmechanismen von Wirten, die über die Artengrenzen hinweg erhalten bleiben, Wege zu neuartigen Behandlungsmöglichkeiten für virale Infektionen eröffnet.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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