Interview Tim Steimle (TK)

Woran arbeitet die TK bei den pharmazeutischen Dienstleistungen?

Berlin - 13.02.2020, 07:00 Uhr

TK-Arzneimittelchef Tim Steimle erklärt im DAZ.online-Interview die Pläne seiner Kasse zu den pharmazeutischen Dienstleistungen. (s / Foto: TK)

TK-Arzneimittelchef Tim Steimle erklärt im DAZ.online-Interview die Pläne seiner Kasse zu den pharmazeutischen Dienstleistungen. (s / Foto: TK)


Aus dem Apothekerlager hört man derzeit immer öfter, dass die Techniker Krankenkasse (TK) mit einzelnen Pharmazeuten Workshops zu pharmazeutischen Dienstleistungen veranstaltet. Offenbar entwirft die Kasse mit Apothekern und Patienten gemeinsam Versorgungsmodelle, die im Falle einer gesetzlichen Etablierung der Dienstleistungen umgesetzt werden sollen. Doch gegenüber DAZ.online wollte sich kein teilnehmender Apotheker zu diesen Gesprächen äußern. Tim Steimle, Chef der TK-Arzneimittelabteilung, bringt nun etwas Licht ins Dunkel und erklärt im Interview, worum es der Kasse geht.

Die pharmazeutischen Dienstleistungen sind derzeit noch ein Wunschtraum der Apotheker. Denn die bisherigen Versuche von Kammern und Verbänden, mit Kassen Verträge abzuschließen, in denen ausschließlich Apotheker besondere Kompetenzen in die Versorgung einbringen, scheiterten an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Es gibt schlicht keine Rechtsgrundlage: Pharmazeuten sind in selektiven Versorgungsverträgen nur als Drittpartner – zumeist neben den Ärzten – zugelassen. Und pharmazeutische Dienstleistungen sind auch nicht als eine „Pflichtleistung“ der Kassen im Sozialgesetzbuch, 5. Buch aufgeführt.

Die Apotheker hoffen daher auf das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz, das derzeit allerdings in einer Abstimmung zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und der EU-Kommission festhängt. Denn laut dem Entwurf sollen die Kassen verpflichtet werden, mit dem Deutschen Apothekerverband Kollektivverträge zu den Dienstleistungen aufzusetzen. Einzelverträge zwischen mehreren Apotheken und einer einzelnen Kasse sind dort allerdings auch nicht vorgesehen. Der TK-Arzneimittelabteilungsleiter Tim Steimle will das gerne ändern. Schon Ende Januar erklärte Steimle, der selbst Apotheker ist, auf dem NZW-Kongress in Hamburg, dass seine Kasse gerne Selektivverträge zu einzelnen Leistungen mit Apothekern abschließen würde.

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Im DAZ.online-Interview erklärt Steimle, warum seine Kasse schon im vergangenen Jahr damit begonnen hat, solche Dienstleistungen zu entwerfen – obwohl eine echte Umsetzung derzeit noch nicht möglich scheint.

DAZ.online: Herr Steimle, mehrere Apotheker berichten uns derzeit von „vertraulichen und mysteriösen Workshops“, bei denen sie gemeinsam mit der TK pharmazeutische Dienstleistungen konzipieren, die dann später in selektivvertraglichen Versorgungsmodellen zur Anwendung kommen sollen. Was ist da dran?

Steimle: Es gibt diese Workshops, sie sind aber kein bisschen mysteriös. Richtig ist, dass wir mit ausgewählten Apothekern aus Verbänden, Kammern, aber auch mit angestellten Apothekern, solche Workshops im vergangenen Jahr gestartet haben. Natürlich kann ich Ihnen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht sagen, wer genau daran teilnimmt. Und auch die bislang diskutierten Ideen kann ich noch nicht preisgeben, weil sie erstens noch nicht fertig und zweitens noch nicht abgestimmt sind. Die Arbeitsweise und das Ziel dieser Treffen sind aber nicht geheim.

DAZ.online: Wie funktioniert denn die Arbeitsweise?

Steimle: Wir wenden das Prinzip des „design thinkings“ an, das ursprünglich aus der Entwicklung von IT-Produkten stammt und inzwischen in der Produktentwicklung vieler Branchen angewendet wird. Dabei geht es um ein übliches Verfahren, bei dem innovative Leistungen oder Produkte entworfen werden. Diese Ideen legen wir dann einem ausgewählten Kundenkreis vor, der unsere Vorschläge bewertet, sodass wir nachbessern können. Es geht darum, Ideen gemeinsam zu entwickeln und auch die mit einzubeziehen, die die Dienstleistungen später nutzen sollen – eben die Kunden. Diese Apothekenkunden wurden nach bestimmten Mustern ausgewählt, dabei sind beispielsweise Chroniker, aber auch Patienten, die die Apotheker nur selten aufsuchen.

Steimle: Alle TK-Versicherten sollen von Dienstleistungen profitieren

DAZ.online: Und was ist das Ziel dieser Arbeit?

Steimle: Wir denken, dass es wichtig ist, bei der Entwicklung der pharmazeutischen Dienstleistungen von vornherein den Kundenwunsch zu integrieren. Zudem ist unser Ziel, die politische Diskussion rund um die pharmazeutischen Dienstleistungen erneut zu führen. Denn im Moment sind die Dienstleistungen nur als Vertragsinhalt zwischen GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband vorgesehen. Wir würden uns aber wünschen, dass auch die Einzelkassenebene miteinbezogen wird und wir als TK mit Apothekern Verträge über bestimmte Dienstleistungen abschließen können.

DAZ.online: Warum haben Sie Probleme mit dem Kollektivvertragssystem?

Steimle: Ich habe keine grundsätzlichen Probleme mit Kollektivverträgen. Ich bin mir sicher, dass der DAV und der GKV-Spitzenverband, sollte das Apotheken-Stärkungsgesetz verabschiedet werden, gute und sinnvolle Versorgungskonzepte vereinbaren. Daneben wünschen wir uns aber, dass der Gesetzgeber auch den Weg frei macht für einzelvertragliche Lösungen zwischen Kassen und Apothekern. Denn bislang ist es nur möglich, dass Apotheken als Vertragspartner in Selektivverträgen auftreten, wenn auch Ärzte beteiligt sind. Und insbesondere bei den pharmazeutischen Dienstleistungen stellt sich die Frage, warum noch eine dritte Partei beteiligt werden sollte. Uns als Einzelkasse stehen einfach mehr Vertragsmöglichkeiten zur Verfügung als dies in Kollektivverträgen möglich ist.

DAZ.online: Aber sollte der Ansatz der pharmazeutischen Dienstleistungen nicht sein, dass alle Patienten davon profitieren können? Das funktioniert ja nur, wenn auch alle Apotheken die Leistungen anbieten können. Wenn Sie mit einigen ausgewählten Apotheken, die sich das zeitlich und finanziell leisten können, Verträge abschließen, kommen die Dienstleistungen ja nicht wirklich in der Versorgung an…

Steimle: Es geht uns nicht um einzelne Apotheken. Auch unser Ziel ist es, dass möglichst alle TK-Versicherten in ganz Deutschland von den Dienstleistungen profitieren können. Deswegen sind die von uns mit den Apothekern entworfenen Ideen auch nicht elitär und auch nicht spezialisierend – jede Apotheke soll diese Leistungen grundsätzlich anbieten können. Wir haben ja mit dem TK-ArzneiCoach vor einigen Jahren schon bewiesen, dass es uns nicht um Inselprojekte geht, sondern dass wir die Therapietreue und Arzneimittelberatung für TK-Versicherte im ganzen Land verbessern wollen.

Warum entwirft eine Krankenkasse pharmazeutische Dienstleistungen?

DAZ.online: Viele unserer Leserinnen und Leser werden sich zudem fragen, warum Sie als Krankenkasse nun innovativ und erfinderisch tätig werden bei den pharmazeutischen Dienstleistungen. Schließlich haben Sie nicht nur versorgerische sondern auch finanzielle Interessen…

Steimle: Genau deswegen arbeiten wir ja nicht alleine an der Konzeption der Dienstleistungen, sondern holen uns die Expertise vieler erfahrener Apotheker und der Kunden hinzu. Außerdem arbeitet doch auch die Standesvertretung der Apotheker an pharmazeutischen Dienstleistungen. Auch wenn wir die Ideen der ABDA noch nicht kennen, bin ich mir sicher, dass wir auch da tolle Vorschläge sehen. Ich würde mir nur manchmal mehr Emanzipation und Selbstbewusstsein von unserem Berufsstand wünschen.

DAZ.online: Wie meinen Sie das?

Steimle: Den Apothekern sollte es darum gehen, die pharmazeutischen Dienstleistungen selbstbewusst im Markt zu etablieren und sie dort zu behaupten.

DAZ.online: Wie Sie eben richtig festgestellt haben, gibt es allerdings für solche selektivvertraglich geregelten pharmazeutischen Dienstleistungen derzeit noch gar keine gesetzliche Grundlage. Sind die Bemühungen rund um die Apotheker-Workshops somit also umsonst gewesen?

Steimle: Nein. Erstens appellieren wir weiterhin an die Politik, den Einzelkassen mehr Vertragsmöglichkeiten einzuräumen. Zweitens ist es uns wichtig, Ideen und Innovationen nicht wegen Bedenken aufzuhalten, sondern ihnen erst einmal freien Lauf zu lassen – nur so entstehen gute, neue Versorgungsmodelle.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

Selektivverträge und Missbrauch von Macht

von Reinhard Rodiger am 13.02.2020 um 20:12 Uhr

Selektivverträge sind ein beliebtes Mittel, um Leistungsträger gegeneinander auszuspielen."Der Nachbar machts billiger".
Das geschieht bei Ärzten schon lange.Woher soll denn die Glaubwürdigkeit für Derartiges kommen? Solange das Machtungleichgewicht besteht und KK das schamlos ausnutzen, ist die Politik gut beraten, den KK nicht die Tore zu weiterer Erpressung zu öffnen.Die ist natürlich gut gemeint.

Offenkundig hat die Entwicklung eigener Kassenprojekte in ihrer Dimension ungekannte Priorität, der sich andere unterordnen oder anschliessen können.KK sollten sich auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen.Die ist nicht, selbst die Aufgabe der Leistungsträger zu übernehmen oder sie zu erpressen.
Es bleibt der Kampf eines nicht kontrollierten Budgets gegen
Einzelkämpfer.

Die Alltagspraxis der KK beweist, dass Fairness nicht in ihrem Einzugsbereich liegt. Das sollte die Politik zuerst verstehen.Ebenso ist die Verdecktheit der Absichten nicht glaubwürdigkeitsfördernd. Paralellentwicklungen, wo das Interesse zum Aufsaugen von Ideen potentiell grösser ist als Praktizierung erlebbarer Fairness im Alltag, sind substantiell kontraproduktiv.

Ein glaubwürdiger Ansatz wäre, die heutigen Leistungen anzuerkennen, was kassenstrukturell nicht geschieht. Dazu gehört anständige Honorierung für Kasseninduzierte Mehrarbeit und all das, was längst getan wird aus der Situation heraus.Wer Anstand hat, hilft in Notsituationen oder verhindert sie.Er darf nur die KK nicht um Bezahlung angehen.Das regeln Selektivverträge? Richten sich die Situationen danach?

langer rede kurzer Sinn: Krankenkassen haben Nachholbedarf in Sachen Fairness, glaubwürdigem patienteninteresse und angemessener Honorierung heutiger-danach gerne zusätzliche-
Leistungen.

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AW: !!!!LÖSCHEN!!!!!!!!!!1

von Stefan Haydn am 13.02.2020 um 19:49 Uhr

Kann das mal bitte jemand löschen!!!!!!!!

?

von Anita Peter am 13.02.2020 um 8:26 Uhr

"Den Apothekern sollte es darum gehen, die pharmazeutischen Dienstleistungen selbstbewusst im Markt zu etablieren und sie dort zu behaupten."

Wir erbringen pharmazeutische Dienstleistungen schon lange. Nur werden diese nicht bezahlt. Man muss diese Dienstleistungen also gar nicht erfinden, sondern nur bezahlen!

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