Virus-Epidemie

USA und Indien befürchten Wirkstoff-Lieferengpässe wegen Corona

Remagen - 04.02.2020, 10:15 Uhr

Rund sechzig Wirkstoffe sollen zum Teil in der vom Coronavirus betroffenen Region hergestellt werden. Auch ein Blick auf Google Maps verrät, dass sich viel der chinesischen Arzneimittelrohstoffproduktion auf die zentralchinesische Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan konzentriert. (b/Foto: Screenshot / Google Maps)

Rund sechzig Wirkstoffe sollen zum Teil in der vom Coronavirus betroffenen Region hergestellt werden. Auch ein Blick auf Google Maps verrät, dass sich viel der chinesischen Arzneimittelrohstoffproduktion auf die zentralchinesische Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan konzentriert. (b/Foto: Screenshot / Google Maps)


In den letzten zehn Jahren hat sich China zu einem führenden Akteur auf dem Markt für pharmazeutische Wirkstoffe entwickelt. Angesichts der Auswirkungen des Coronavirus auf die Produktion im Land machen sich die USA und Indien nun ernsthaft Sorgen wegen etwaiger großflächiger Lieferengpässe. Aktuell gibt es kein verlässliches Bild der Lage, und die möglichen Folgen für die Versorgung in Europa lassen sich ebenfalls schwer abschätzen.

Seit einigen Tagen mehren sich vor allem in den USA Presseberichte über etwaige drohende Lieferengpässe von Arzneimittelwirkstoffen aus China aufgrund der Coronavirus-Epidemie. Nach Angaben der Food and Drug Administration (FDA) sind dort inzwischen 13 Prozent aller Ausgangsstoff-Produzenten für Arzneimittel ansässig, die in den USA verkauft werden. Ungefähr 80 Prozent der Wirkstoffe in US-Fertigarzneimitteln sollen aus China stammen. 

„Risiko epischen Ausmaßes“

Die Gesundheits- und Patientensicherheitsexpertin am Hastings Center in Garrison, New York, Rosemary Gibson, eine starke Verfechterin des Wiederaufbaus inländischer Produktionskapazitäten, hält die Abhängigkeit von Inhaltsstoffen aus China für besorgniserregend. Und das neuartige Coronavirus könnte das Problem ihrer Meinung nach noch verschärfen, wenn China die Vorräte für sich behält oder den Export bestimmter Arzneimittel einstellt, um größere Lagerbestände für das eigene Gesundheitssystem aufzubauen. „Dies ist eine Warnung an die Vereinigten Staaten und andere Länder“, meint Gibson. „Wenn man eine Lieferkette hat, die sich auf ein einzelnes Land konzentriert, egal in welchem Land, dann ist das ein Risiko epischen Ausmaßes.“

Stränge von Zulieferern völlig intransparent

Im Moment soll es in den USA aber laut Auskunft der FDA keine Meldungen von Herstellern über Verknappungen aufgrund des aktuellen Ausbruchs des Coronavirus geben. Es könnte allerdings Monate dauern, bis die Störungen das Angebot beeinträchtigen, meint Erin Fox, Apothekerin und Expertin für Arzneimittelverknappungen an der University of Utah Health. Leider gebe es keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, welcher Teil von welchen kritischen Arzneimitteln aus China stamme und wo sich diese Fabriken befänden, sagt sie. Pharmaunternehmen betrachteten solche Informationen als geheim. „Eine der großen Unbekannten ist, für wie viele Produkte es tatsächlich nur einen Hersteller gibt“, fügt Fox an. 

Indische Generikaproduktion ebenfalls auf China angewiesen

Und noch eine Verflechtung ist dabei zu bedenken: In den USA, wo Generika einen riesigen Verordnungsanteil haben, werden 40 Prozent der Nachahmerprodukte aus Indien importiert. Der volumenmäßig drittgrößte Arzneimittelhersteller der Welt importiert nach einem aktuellen Bericht in der Economic Times of India wiederum 70 Prozent seiner Rohstoffe aus dem Reich der Mitte. Diese würden unter anderem bei der Herstellung von Antibiotika, Paracetamol sowie Diabetes und Herz-Kreislauf-Präparaten eingesetzt. 

Unternehmen wie Lupin, Sun Pharmaceuticals, Glenmark, Mankind, Dr Reddy's, Torrent, Aurobindo Pharma und Abbott seien stark von chinesischen Importen abhängig. Etwa 90 Prozent des Bedarfs der Antibiotikahersteller in Indien soll aus China stammen. Das Problem für die indische Industrie verschärfe sich durch die Tatsache, dass ein Großteil der chinesischen Arzneimittelrohstoffproduktion auf die zentralchinesische Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan konzentriert sei.

Welche Gefahren sieht die Wirkstoff-Branche?

Das internationale Netzwerk für den Kauf und Verkauf von Wirkstoffen, Vitaminen und anderen Zusatzstoffen für Pharma-, Lebens- und Futtermittelindustrien „Kemiex“ hat unter knapp einhundert Life-Sciences-Unternehmen (Käufern, Händlern und Produzenten) eine Umfrage zu den möglichen Auswirkungen des Coronavirus auf den Handel mit Inhaltsstoffen durchgeführt. Nach dem Rücklauf erwarten 35 Prozent starke, 50 Prozent geringe und 15 Prozent gar keine Auswirkungen auf das Angebot. Die größten Beeinträchtigungen werden durch die Verlängerung der chinesischen Neujahrsfeiertage bis zum 9. Februar und den verzögerten Produktionsstart erwartet. Reedereien wie Maersk und andere sollen mitgeteilt haben, dass sie einen verlängerten Zwangsurlaub verhängt hätten, um die Sicherheit von Mitarbeitern und Kunden zu gewährleisten.

Welche Substanzen könnten betroffen sein?

Eine erste Impact-Analyse von Kemiex auf der Grundlage vorläufiger Informationen zeigt, dass eventuell nur bestimmte ausgewählte Produkte wie Aminosäuren, einige Vitamine und andere Wirk- und Zusatzstoffe betroffen sein könnten. Europäische und andere Lieferanten haben laut Kemiex Lieferbereitschaft und Lagerbestände gemeldet, mit denen die Versorgung während der Unterbrechungen in China bzw. einigen seiner Distrikte gesichert werden könnte. Eine aufschlussreiche Landkarte auf der Website von Kemiex gibt einen aktuellen Überblick über die Erzeuger und Produkte in den am stärksten betroffenen Regionen. Dort findet sich eine Auflistung von rund sechzig Wirkstoffen, die zum Teil in der betroffenen Region hergestellt werden. 

Nach Recherchen von DAZ.online gibt es in Deutschland aktuell keine konkreten Anhaltspunkte für drohende Verknappungen aufgrund der Coronavirus-Epidemie.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Kündigt sich hier eine rein zufällige oder schon gelenkte Entglobalisierung an ... und wer war es nicht?

von Christian Timme am 14.02.2020 um 5:37 Uhr

Haben wir zum Jahreswechsel fast "unbemerkt" einer Entwicklung folgen dürfen ... die in Form einer neuen Eskalationstufe das Ende der uns bekannten Globalisierungsbestrebungen einleiten wird?. Zeitpunkt, Ort, Auslöser, Umfeld und existierende Systemschwächen bilden zusammen eine außergewöhnliche und sich selbst stabilisierende Komponentenzusammensetzung ... die selten anzutreffen ist ... oder ist es nur der "Zeitgeist" ... dem wir über die Schulter blicken dürfen ...

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