BÄK und KBV

Lieferengpässe: Ärzte sprechen in Brüssel vor

Berlin - 23.01.2020, 16:15 Uhr

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen ist gemeinsam mit Vertretern der BÄK und der AkdÄ nach Brüssel gereist, um sich gegenüber EU-Politikern für ein europäisches Melderegister für Lieferengpässe auszusprechen. (c / Foto: imago images / tagesspiegel)

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen ist gemeinsam mit Vertretern der BÄK und der AkdÄ nach Brüssel gereist, um sich gegenüber EU-Politikern für ein europäisches Melderegister für Lieferengpässe auszusprechen. (c / Foto: imago images / tagesspiegel)


Arzneimittel-Lieferengpässe stellen nicht nur Apotheker und Patienten vor große Herausforderungen, auch die Ärzte sind betroffen. Häufig brauchen Patienten wegen Nicht-Lieferfähigkeit ein neues Präparat – die Mediziner müssen dann überlegen, wie sie die Therapie möglichst adäquat umstellen. Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sind nun tätig geworden und haben sich in Brüssel mit Vertretern der EU-Kommission zusammengesetzt. Ihr Ziel ist, mit europäischen Lösungen Engpässe zu reduzieren.

Am heutigen Donnerstag haben sich Vertreter der Bundesärztekammer (BÄK) und der KBV mit Vertretern der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und der Ärzteschaft sowie Generikaherstellern und Krankenkassen in Brüssel getroffen. In einer gemeinsamen Pressemitteilung gehen BÄK und Kassenärztliche Bundesvereinigung auf die in den vergangenen Monaten in den EU-Mitgliedstaaten verabschiedeten Maßnahmen gegen Lieferengpässe ein. In den Niederlanden soll es beispielsweise eine erweiterte Lagerhaltung und eine Arzneimittelreserve geben, in Belgien wurde ein Exportverbot verabschiedet, das inzwischen allerdings vom Verfassungsgerichtshof kassiert wurde.

BÄK und KBV meinen, dass solche nationalen Regelungen nicht geeignet sind, um das Problem der Engpässe zu beseitigen. „Einseitige nationale Maßnahmen drohen die Versorgungslage in anderen europäischen Mitgliedstaaten zu verschlechtern, ohne die Verfügbarkeit insgesamt zu verbessern“, teilen die Kammer und die KBV mit. BÄK-Präsident, Dr. Klaus Reinhardt, spricht sich daher dafür aus, die Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen nach Europa zurückzuholen. „Dies würde die Lieferwege verkürzen und die Überwachung der Arzneimittelherstellung erleichtern“, erklärt er. Außerdem könne so sichergestellt werden, dass europäische Standards, etwa bei Umweltschutz, Produktionssicherheit und Arbeitsbedingungen, eingehalten werden.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, warnt in der Debatte vor gegenseitigen Schuldzuweisungen: „Die Lieferengpässe eröffnen der EU die Chance, ihre Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und gleichzeitig einen echten Mehrwert für die Mitgliedstaaten zu schaffen.“ Die KBV-Vertreter, Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvorsitzender) und Dr. Stephan Hofmeister (stellvertretender Vorstandsvorsitzender), schlagen vor, die Wirkstoffproduktion künftig auf möglichst viele Hersteller zu verteilen. „Außerdem sollte für die Hersteller eine Meldeverpflichtung im Falle von Engpässen bestehen. Eine Task Force auf EU-Ebene könnte Vorschläge erarbeiten, wie eine solche Verpflichtung aussehen soll“, führt Hofmeister aus.

Ärzte fordern europäisches Meldesystem

Grundsätzlich fordern die Ärzte ein „koordiniertes Handeln“ auf EU-Ebene. Es müsse eine europäische Strategie geben, die sowohl Vorschläge zur Vermeidung von Engpässen als auch zum Umgang mit solchen beinhaltet, so die Forderung. Die EU-Kommission solle „kurzfristig wirksame und realisierbare Maßnahmen“ vorschlagen. Konkret fordern die Mediziner, dass die schon geltenden Meldepflichten für Hersteller bei Lieferengpässen sowie bei beabsichtigter Einstellung der Produktion konsequenter umgesetzt und gegebenenfalls in der entsprechenden EU-Richtlinie „konkretisiert“ werden.

Außerdem müsse es ein europäisches Meldesystem für Lieferengpässe geben. Basierend auf einer europäischen Liste versorgungsrelevanter Arzneimittel sollte im Falle bestehender oder absehbarer Engpässe eine Meldung an die zuständigen nationalen Stellen und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) verpflichtend gemacht werden. Die Ärzte wünschen sich hierfür ein einheitliches elektronisches Format. Meldungen sollten an alle nationalen Stellen weitergeleitet werden, damit diese die geeigneten Maßnahmen ergreifen können. Diese Meldungen müssten sinnvoll aufbereitet auch für Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker zugänglich sein, damit diese sich rechtzeitig über drohende Engpässe informieren und darauf einstellen könnten, heißt es in der Mitteilung.

Ein ähnliches System wird derzeit auf nationaler Ebene in Deutschland diskutiert. Der Großhändler AEP hatte im vergangenen Jahr vorgeschlagen, dass die Großhändler kontinuierlich alle Daten über drohende und bestehende Engpässe sammeln und diese Informationen an eine Behörde weitergeben, damit dort ein konstantes Monitoring der Liefersituation stattfinden kann. Die Grünen hatten sich dieser Idee angeschlossen und in einem Autorinnenpapier erklärt, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Daten der Großhändler auswerten und den Akteuren in der Lieferkette zur Verfügung stellen solle.

Union und SPD planen im Rahmen des GKV-Faire-Kassenwettbewerb-Gesetzes derzeit einige Neuregelungen zur Verbesserung der Liefersituation. Beim BfArM soll es künftig einen neuen Beirat geben, der im Engpassfall Maßnahmen anordnen kann, wie etwa eine verlängerte Lagerhaltung oder auch die Lieferung von Daten. Die Apotheker sollen 24 Stunden nach Aufkommen eines Engpasses unter gewissen Umständen auch nicht-rabattierte Arzneimittel abgeben dürfen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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