Neuartige Kooperation in UK zu Inclisiran

Novartis und NHS wollen LDL-Cholesterinsenker schneller verfügbar machen

Stuttgart - 16.01.2020, 09:00 Uhr

NHS und Novartis planen eine Zusammenarbeit, um den LDL-Cholesterinsenker Inclisiran Patienten schnellstmöglich verfügbar zu machen. Bislang befindet sich der Wirkstoff noch in Phase-III der klinischen Entwicklung. (Foto: imago images / CHROMORANGE)

NHS und Novartis planen eine Zusammenarbeit, um den LDL-Cholesterinsenker Inclisiran Patienten schnellstmöglich verfügbar zu machen. Bislang befindet sich der Wirkstoff noch in Phase-III der klinischen Entwicklung. (Foto: imago images / CHROMORANGE)


Die britische Regierung arbeitet zusammen mit Novartis an einer bahnbrechenden Vereinbarung, um den vielversprechenden LDL-Cholesterinsenker Inclisiran nach der für dieses Jahr erwarteten Zulassung für die Patienten in Großbritannien direkt anbieten zu können. Die breite Anwendung könnte dort in den nächsten zehn Jahren bis zu 30.000 Menschenleben retten, so die Hoffnung.

Herzkrankheiten sind die weltweit häufigste Todesursache und die zweithäufigste in Großbritannien. Über drei Millionen Menschen leiden dort an arteriosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und zweieinhalb Millionen sind derzeit auf Statine angewiesen, um ihren Cholesterinspiegel zu senken. Dieses Problem will der NHS England nun mit einer neuartigen Kooperation mit Novartis angehen, an der außerdem das National Institute for Health Research (NIHR) und die Universität Oxford beteiligt sind. Laut NHS England handelt es sich um einen „innovativen Ansatz zur Bewältigung wichtiger Probleme der öffentlichen Gesundheit“.

Inclisiran in der klinischen Phase III

Gegenstand der Zusammenarbeit ist der LDL-Cholesterinsenker Inclisiran, der erste und bisher einzige cholesterinsenkende Wirkstoff in der Klasse der siRNAs (Small Interfering RNAs). Inclisiran nutzt den körpereigenen Prozess der RNA-Interferenz, um die Produktion des PCSK9-Proteins in der Leber gezielt zu verhindern. Dies fördert die Fähigkeit der Leber, LDL-Cholesterin (LDL-C) aus dem Blutstrom zu entfernen und senkt dadurch den LDL-C-Spiegel. Der Wirkstoff befindet sich derzeit in der klinischen Phase III-Entwicklung, die von The Medicines Company im Rahmen des „Orion Programms“ betrieben wird. 

Novartis hatte das amerikanische Biopharma-Unternehmen Ende November letzten Jahres für 9,7 Milliarden US-Dollar gekauft und sich damit auch Inclisiran „einverleibt“. Inclirisan ist bislang noch nirgendwo in der Welt zugelassen.

Anhaltende LDL-Cholesterinsenkung auf die Hälfte

In der ORION-11-Studie, der ersten placebokontrollierten Phase-III-Studie konnte die starke und anhaltende cholesterinsenkende Wirkung von Inclisiran bereits gezeigt werden.

In die Studie waren 1617 Patienten mit atherosklerotischen Gefäßerkrankungen oder erhöhtem kardiovaskulären Risiko eingeschlossen, die trotz Behandlung mit Statinen zu hohe LDL-Cholesterinwerte hatten. Die Patienten in der Inclisiran-Gruppe bekamen den Wirkstoff nach der Erstinjektion zunächst wieder nach drei Monaten und danach alle sechs Monate subkutan appliziert. 17 Monate nach der ersten Verabreichung lag der mittlere LDL-C-Spiegel in der Verum-Gruppe um 54 Prozent niedriger als in der Placebo-Gruppe. Zwischen dem dritten und 18. Monat wurde im zeitlichen Durchschnitt eine LDL-C-Reduktion um die Hälfte gemessen. Weitere Studien (Orion 9 und Orion 10) wurden ebenfalls schon mit Erfolg abgeschlossen. Nach Unternehmensangaben soll für Inclisiran noch im ersten Quartal 2020 als vorbeugende Zusatzbehandlung zu Statinen bei Patienten, bei denen bereits eine Herz-Kreislauf-Erkrankung diagnostiziert wurde, die Zulassung beantragt werden.

„Einmalige Gelegenheit für einen innovativen populationsbasierten Ansatz“

Damit der neue Cholesterinsenker den Patienten auf der britischen Insel nach der Genehmigung so bald wie möglich zur Verfügung steht, soll Inclisiran gemäß der neuen Kooperation im Rahmen einer groß angelegten klinischen Studie an britischen Patienten untersucht werden, die voraussichtlich noch in diesem Jahr beginnen wird. Für die Auswahl geeigneter Patienten werden NHS-Daten genutzt, was die Kosten für die Selektion der Studienpopulation senkt. Die Studie unter Beteiligung der Universität Oxford wird vom National Institute for Health Research (NIHR) unterstützt, dem landesweit größten Geldgeber für Gesundheits- und Versorgungsforschung, der vom Ministerium für Gesundheit und Soziales finanziert wird. „Novartis hat mit Inclisiran die einmalige Gelegenheit, innovative populationsbasierte Ansätze zu nutzen, um ein neues Kapitel für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzuschlagen, der weltweit führenden Ursache für Mortalität und Behinderung“, kommentiert CEO von Novartis Vas Narasimhan den Studienansatz.

Auch die Kosten sollen gleich geregelt werden

Zum frühestmöglichen Zeitpunkt soll auch das Zulassungsverfahren beim National Institute for Health and Care Excellence (NICE) angestoßen werden, um die Kostenübernahme durch den NHS England zu gewährleisten. Außerdem will NHS England mit dem Unternehmen eine kommerzielle Vereinbarung auf Bevölkerungsebene treffen, um den Patienten Inclisiran ab 2021 umfassend zur Verfügung stellen zu können. Die Kooperation soll damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Verpflichtung des NHS-Langzeitplans zur Vorbeugung von 150.000 kardiovaskulären Todesfällen über einen Zeitraum von zehn Jahren leisten. Erste Ergebnisse aus klinischen Studien legen laut NHS England nahe, dass die Gabe von Inclisiran an jährlich 300.000 Patienten zur Vorbeugung von 55.000 Herzinfarkten und Schlaganfällen beitragen und in den nächsten zehn Jahren 30.000 Menschenleben retten könnte.

Werbetrommel für den Gesundheits-Forschungsstandort UK

Anlässlich der Bekanntmachung nutzen die Offiziellen aber auch die Gelegenheit, kräftig die Werbetrommel für den Forschungsstandort Großbritannien als demnächst Nicht EU-Land zu rühren. Die Studie soll nämlich nicht nur ein zuverlässiger Test für die Wirksamkeit und Sicherheit von Inclisiran mit einem bevölkerungsbasierten Ansatz sein, sondern auch als Vorbild für zukünftige Versuche mit anderen Behandlungen in Großbritannien dienen „Diese Partnerschaft ist eine fantastische Neuigkeit und ein großer Fortschritt, um das zu erreichen“, sagt Gesundheitsminister Matt Hancock. „Sie ist auch ein Beweis dafür, dass Großbritannien nach wie vor der weltweit führende Ort für eine revolutionäre Gesundheitsversorgung ist.“

„Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die britische Life Sciences-Strategie sowohl NHS-Patienten als auch der gesamten Wirtschaft helfen kann“, ergänzt Lord Prior, Vorsitzender des NHS England. „Es zeigt, dass Großbritannien das Zentrum eines dynamischen Ökosystems der Biowissenschaften sein kann und gleichzeitig eine hervorragende Versorgung bietet.“

Dass neue Modell wird wegweisend für innovative Ansätze sein, um die großen Herausforderungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu meistern, hofft der NHS England. Ähnliche Geschäfte könnten auch für andere Arzneimittelentwicklungsprojekte dieser Größenordnung abgeschlossen werden.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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