„Historische Apotheken – neu betrachtet“ – Teil 5

„Moderne Center-Apotheke wäre nicht authentisch“

Berlin - 06.01.2020, 09:00 Uhr

Die Marien-Apotheke in Rothenburg ob der Tauber wurde im Jahre 1812 gegründet – und ist die letzte Apotheke, die sich in der historischen Altstadt behaupten kann. (Foto: Marien-Apotheke) 

Die Marien-Apotheke in Rothenburg ob der Tauber wurde im Jahre 1812 gegründet – und ist die letzte Apotheke, die sich in der historischen Altstadt behaupten kann. (Foto: Marien-Apotheke) 


Historische Städte wie Rothenburg ob der Tauber sind beliebte touristische Ziele. Der Tourismus ist willkommen, beeinflusst aber auch ein Stück weit das Leben in der Stadt. Im Altstadtkern Rothenburgs gibt es seit 2016 nur noch eine Apotheke. Wie kann sie dort bestehen? Was sind die Strategien für die Zukunft? Wie historisch kann oder muss eine solche Apotheke sein? Teil 5 der DAZ-Serie: die Marien-Apotheke in Rothenburg ob der Tauber – moderne Technik im historischen Gebäude und ganz viel Service.

Tourismus ist in Rothenburg ob der Tauber groß geschrieben. Er ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die mittelfränkische Kleinstadt mit ihren knapp 11.000 Einwohnern. Über eine halbe Millionen Übernachtungen und geschätzte 1,7 Millionen Tagesbesucher pro Jahr sind wichtige Eckdaten des Rothenburg-Tourismus. Besonders ausländischen Touristen erscheint die Stadt als Idealbild einer mittelalterlichen Stadt. Am Marktplatz liegt die inzwischen einzig verbliebene Apotheke innerhalb der historischen Altstadt, die Marien-Apotheke von Dr. Benedikt Stegmann.

Gründung 1812 – mehr als 200 Jahre Apothekengeschichte

Die Marien-Apotheke kann auf mehr als 200 Jahre Apothekengeschichte zurückblicken. Benedikt Stegmann leitet die historische Apotheke seit Anfang 2016. Übernommen hat er sie damals von seinem Vater, der zunächst als Pächter und später als Inhaber die Geschicke der alteingesessenen Apotheke gelenkt hatte. Die Marien-Apotheke wird als Filialapotheke neben der außerhalb der Altstadt angesiedelten Reichsstadt-Apotheke geführt – eine Neugründung aus dem Jahre 2010, die sich in den ebenfalls historischen Gemäuern des ehemaligen Amtsgerichtes befindet.

Gegründet wurde die Marien-Apotheke im Jahre 1812 durch den Apotheker und Chemiker Johann Michael Schiller (1763-1825). Für Schiller war die Marien-Apotheke bereits die dritte Apotheke. 1785 soll er zunächst die aus dem Jahre 1600 stammende Mohrenapotheke geführt haben. Ab 1809 übernahm er die Löwen-Apotheke aus dem Jahre 1374, bevor er schließlich die Marien-Apotheke gründete. Sowohl Mohren- als auch Löwen-Apotheke existieren heutzutage nicht mehr.

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Apotheke im ehemaligen Rathaus aus der Stauferzeit

Die Geschichte der Marien-Apotheke reicht ins 19. Jahrhundert zurück. Wesentlich älter ist jedoch das Gebäude. Apotheker Stegmann verweist auf heimatkundliche Aufzeichnungen aus den 1950er-Jahren, die auf der Homepage der Apotheke einzusehen sind. Darin heißt es unter anderem: „Das Haus reicht mit seinem Grundbau bzw. seinem Keller nicht bloß tief in die Erde, sondern in die Tiefe der Jahrhunderte, bis zu jener Frühzeit, als Friedrich Barbarossa 1172 Rothenburg das Stadtrecht verlieh.“

Am Marktplatz 10 – mitten im historischen Zentrum von Rothenburg ob der Tauber – befindet sich seit 1812 die Marien-Apotheke. Die Kellergewölbe des Apothekengebäudes reichen bis ins 12. Jahrhundert in die Stauferzeit zurück. (Foto: Marien-Apotheke) 

Weiterhin wird ausgeführt, dass das Gebäude in der Stauferzeit, die vom 11. bis zum 13. Jahrhundert andauerte, als Rathaus diente. Dieses Rathaus sei das älteste Rathaus von Rothenburg. Geblieben sind allerdings nur die Kellermauern. Das Gebäude an sich fiel – laut Überlieferung – einem Stadtbrand im Jahre 1240 zum Opfer. Wieder aufgebaut fungierte es neben einem großzügigeren Neubau bis Ende des 14. Jahrhunderts weiterhin als „altes Rathaus“.

Historie und Charme des Gebäudes bewahren

Heutzutage präsentiert sich die Marien-Apotheke als eine moderne Apotheke, die sich dem historischen Ambiente verpflichtet fühlt: „Wir haben ein sehr historisches Ambiente. Das gilt es natürlich auch zu wahren. Auf der einen Seite haben wir die Herausforderung moderner Betriebsführung, die natürlich effizient sein muss. Auf der anderen Seite muss man natürlich sehen, in welchen Gemäuern man sich aufhält und dem natürlich auch entsprechenden Respekt zollen“, erläutert Stegmann.

Die Offizin nach Umbau im Jahre 2006 vereint moderne Technik mit historischem Charme – zu sehen unter anderem an dem historischen HV-Bereich. (Foto: Marien-Apotheke)

Für Stegmann wäre es zudem absolut unvorstellbar, eine moderne Center-Apotheke in dieses historische Gebäude zu integrieren. Das empfände er als nicht authentisch. Entsprechend behutsam sei im Jahre 2006 in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz ein den Charme des Gebäudes bewahrender Umbau erfolgt. Unter anderem seien Teile der historischen Apothekeneinrichtung wie ein alter HV-Tisch und alte Standgefäße erhalten geblieben. Seitdem vereine die Apotheke Technik mit Historie – und das komme sehr gut bei den Kunden an, so Stegmann.

Apotheke und Tourismus – Wie funktioniert das?

Wie es in einer Stadt wie Rothenburg ob der Tauber nicht anders sein kann, spielt der Tourismus auch für die Marien-Apotheke eine gewisse Rolle. Apotheker Stegmann berichtet von der generellen Bedeutung des Besucherandrangs in der Altstadt: „Der Einzelhandel ist ein Stück weit auf den Tourismus ausgerichtet. Wir als Apotheke versuchen, uns davon abzuheben. Wir bieten natürlich ein gewisses Sortiment an, das auf den Tourismus zugeschnitten ist. Wir legen aber auch Wert darauf, dass wir von der einheimischen Bevölkerung nach wie vor als vollsortierte Apotheke wahrgenommen werden.“

Historische Details finden sich an mehreren Stellen in der Offizin. (Foto: Marien-Apotheke)

Der Tourismus bringe von Zeit zu Zeit auch Amüsantes mit sich, muss Stegmann zugeben. „Die meisten, also gerade Amerikaner und Asiaten, sind immer sehr angetan, machen Fotos und möchten auch den Apotheker im Kittel dazuhaben. Dann muss man mit denen gemeinsam Fotos machen. Natürlich sind auch die Standgefäße immer wieder sehr interessant zu fotografieren“, schmunzelt der Rothenburger Apotheker.

„Wir sind genauso digital wie Versandapotheken“

Benedikt Stegmann sieht seine Apotheke gut gerüstet für die Zukunft. Es sei allerdings keinesfalls möglich, allein durch den Tourismus zu existieren. Ein ausreichend hoher Rezeptanteil und entsprechender Stammkundenanteil seien unausweichlich für den wirtschaftlichen Erfolg. Natürlich bereite die Lage in der Altstadt mit ihren Parkplatzproblemen und einer Abnahme der Arztdichte gewisse Probleme. Andererseits sei wie anderen Ortes auch eine allgemeine Marktkonsolidierung zu beobachten, die letztlich mit dazu geführt habe, dass die Marien-Apotheke die letzte Apotheke im historischen Zentrum sei.

Alte Standgefäße und ein historischer Schubladenschrank schaffen die Verbindung zur Geschichte der Apotheke. (Foto: Marien-Apotheke)

Stegmann ergänzt: „Wir sind die Einzigen, aber das alleine ist keine Garantie dafür, dass man überlebt, sondern man muss natürlich auch einen entsprechenden Service mitbringen.“ Und den biete die Apotheke neben einer guten Beratungsqualität. Eine moderne Technik mit Kommissionier-Automat, Reinraumlabor zur Zytostatikaherstellung gehörten genauso dazu wie die Klinikversorgung und die selbstverständliche Lieferung der Arzneimittel in den gesamten Landkreis, so Stegmann.

Im Hintergrund der historischen Apotheke arbeitet modernste Technik – wie zum Beispiel ein Kommissionier-Automat. (Foto: Marien-Apotheke)

Auch angesichts der Herausforderungen der sich ändernden Apothekenlandschaft sieht er die Apotheke gut aufgestellt: „Wir sind genauso digital wie Versandapotheken.“ Zudem seien Vor-Ort-Apotheken generell in mehreren Punkten im Vorteil: Qualität und Transparenz bei der Arzneimittelversorgung, sichere Vertriebswege, Einhaltung der vorgeschriebenen Temperaturbedingungen, Geschwindigkeit und Qualität der Beratung – da ist sich Stegmann sicher.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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