Niederländisches Gericht schmettert Klage ab

Supermarkt darf bei OTC per Video beraten

Remagen - 02.01.2020, 11:30 Uhr

In den knapp 200 Filialen der Lebensmittelkette Albert Heijn werden Medikamente angeboten, deren Abgabe eigentlich auf die Apotheken und Drogerien beschränkt ist. (m / Foto: imago images / Pro Shots)

In den knapp 200 Filialen der Lebensmittelkette Albert Heijn werden Medikamente angeboten, deren Abgabe eigentlich auf die Apotheken und Drogerien beschränkt ist. (m / Foto: imago images / Pro Shots)


OTC-Arzneimittel im Supermarkt ohne die Anwesenheit einer fachkundigen Person, die die Kunden bei Bedarf beraten kann, geht das? Der niederländische Verband der Drogeriebetreiber meint, nein, und hat die Lebensmittelkette Albert Heijn deswegen vor den Kadi gebracht. Das Gericht hat die Klage jedoch abgeschmettert.

Ob ein Supermarkt in den Niederlanden Selbstmedikationsarzneimittel verkaufen darf, hängt von der Kategorie ab. Nach dem Arzneimittelgesetz gibt es drei Gruppen. Während UA-Medikamente nur in einer Apotheke abgegeben werden dürfen, sind AV-Arzneimittel allgemein erhältlich. Die Kategorie dazwischen sind die UAD-Medikamente, deren Abgabe Apotheken und Drogerien vorbehalten ist. Hierzu gehören unter anderem Schmerzmittel wie Diclofenac oder Naproxen. Für die Abgabe der UAD-Arzneimittel in Drogerien gilt, dass eine fachkundige Person für die direkte Ansprache der Kunden anwesend sein muss, und nach dem „Drogerie-Standard“ sollen die Kunden außerdem aktiv nach ihrem Beratungsbedarf gefragt werden.

Beratung auch per Videoanruf

Im September 2016 hatte die Lebensmittelkette Albert Heijn zunächst in einem Pilotprojekt damit begonnen, diese Vorschriften „elegant“ zu umgehen. Heute werden in den knapp 200 Filialen in der Freiwahl UAD-Medikamente angeboten, deren Abgabe eigentlich auf die Apotheken und Drogerien beschränkt ist. Für die Erfüllung der Beratungspflicht ließ der Lebensmittelhändler sich etwas Besonderes einfallen. An den Regalen befindet sich ein Hinweis, wonach die Kunden sich an einen Drogisten wenden können, wenn sie Fragen zu den Medikamenten haben. Nach Angaben der Lebensmittelkette soll in allen Filialen, in denen die Arzneimittelkategorie angeboten wird, mindestens 32 Stunden pro Woche ein Drogist physisch anwesend sein. Das deckt jedoch die Öffnungszeiten lange nicht ab. Zusätzlich ist deswegen an den Regalen ein Tablet angebracht, zusammen mit einem Telefonhörer. Dort sollen die Käufer die gewünschten Informationen nachschlagen können. Außerdem besteht die Möglichkeit, über einen Videoanruf mit einem Drogisten in der Zentrale der Lebensmittelkette Kontakt aufzunehmen. Albert Heijn nennt das Modell „Drogist op afstand“ (DOA), „Fern-Drogist“. Die Zeitung „de Volkskrant“ spricht von einem „Drogeriemarkt, der wie ein Geist aus einer Flasche auf einem Display erscheint“ und von einer billigen Alternative zum Vor-Ort-Drogeriemarkt.

Dachverband der Drogeriebetreiber sieht „inakzeptable Gesundheitsrisiken“ 

Der Dachverband der Drogeriebetreiber (Centraal Bureau voor de Drogisterijbedrijven (CBD), dem diese Praxis von Anfang an ein Dorn im Auge war, drängte auf die Einhaltung der geltenden Regeln des Arzneimittelgesetzes. Der CBD ist der Auffassung, dass die Praxis des Lebensmittelhändlers gesetzwidrig ist, weil vor Ort keine fachkundige Person vorhanden ist und weil nicht geprüft wird, ob der Kunde Beratungsbedarf hat. Außerdem könnten die Kunden unbemerkt mit so vielen Medikamenten, wie sie möchten (z. B. starken Schmerzmitteln) das Geschäft verlassen. Kunden, die um Rat fragen, könnten falsche Ratschläge erhalten, und diejenigen, die nicht um Rat fragen, ohne es zu merken mit den falschen Medikamenten aus dem Laden gehen. „Die Verkaufsmethode von Albert Heijn entspricht nicht der im Arzneimittelgesetz vorgesehenen Sorgfalt bei der Abgabe von Arzneimitteln, die nur in Apotheken und Drogerien erhältlich sein dürfen“, betont Marten Hummel, Geschäftsführer des CBD: „Die geforderte verantwortungsvolle Versorgung birgt inakzeptable Gesundheitsrisiken, wenn die Beratung aus der Ferne erfolgt.“ 

Rückendeckung erhielt der Drogerieverband von der Verbrauchervereinigung und vom Institut für verantwortungsbewussten Einsatz von Arzneimitteln (IVM). Beide wandten sich Anfang Oktober mit einem offenen Brief an die Arzneimittelbehörde MEB und die zuständige Regulierungsbehörde, das Gesundheits-und Jugend-Inspektorat (IGJ), um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen.

Gericht: „Sprach- und Bildverbindung ist gute Alternative zur Vor-Ort-Beratung“

Bereits vor zwei Jahren wollte der CBD mit einem Vollstreckungsantrag erreichen, dass das IGJ Albert Heijn die Verkaufsmethode untersagt. Die Behörde reagierte jedoch nicht und die beantragte Durchsetzungsmaßnahme blieb aus. Gegenüber  „de Volkskrant“ soll ein Sprecher der IGJ die Kombination eines qualifizierten Drogisten und die Bereitstellung von Informationen über einen Bildschirm als ausreichend bewertet haben. Der Dachverband der Drogeriebetreiber ließ jedoch nicht locker und brachte den Fall vor Gericht.

Ende November hat nun die „Rechtbank Midden-Nederland” in Utrecht das Urteil gefällt und einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetzt verneint. Laut Auffassung des Gerichts sollte nach dem Arzneimittelgesetz zwar klar sein, wo ein Kunde Beratung zu UAD-Arzneimitteln erhalten kann. Die Auslegung überlasse der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich dem Sektor selbst. Die Albert Heijn-Infotafel reiche aus, und es sei auch nicht vorgeschrieben, den Kunden aktiv zu fragen, ob er weitere Informationen benötige. Weiterhin meint der Richter, dass 32 Stunden Anwesenheit pro Woche ausreichen sollten, um das Selbstmedikationsregal zu überwachen. Im Zeitalter der digitalen Kommunikation sei eine Sprach- und Bildverbindung mit entferntem Personal eine gute Alternative zu der im Arzneimittelgesetz beschriebenen Verfügbarkeit im Geschäft.

Das Centraal Bureau Drogisterijbedrijven (CBD) hat angekündigt, Berufung gegen das Urteil einlegen zu wollen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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