DAZ-Jahresrückblick

Die zehn lästigsten Lieferengpässe des Jahres

27.12.2019, 17:45 Uhr

Die massiven Lieferengpässe ließen Apotheker und Patienten oft ratlos zurück. (Foto: Nestor/stoc.adobe.com)

Die massiven Lieferengpässe ließen Apotheker und Patienten oft ratlos zurück. (Foto: Nestor/stoc.adobe.com)


Die Defekte spielen die Apotheken langsam kaputt. Das Problem war 2019 stärker zu spüren denn je, sodass „Lieferengpass“ sogar als Unwort des Jahres vorgeschlagen wurde – von einem Apotheker. Fehlen lebenswichtige Arzneimittel, trifft dies aber vor allem die Patienten. Die Publikumsmedien haben das Thema längst für sich entdeckt, nun wacht auch die Politik auf. Bis es Lösungen gibt, sollte man auf keinen Fall den Humor verlieren, denn er ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt (Joachim Ringelnatz).

„Wie viele Dauerdefekte sind bei Ihnen derzeit gelistet?“ – fragte die Redaktion von DAZ.online Ihre Leser im Mai. Jeder Fünfte gab zwischen 100 und 124 an, jeder Zehnte mehr als 200. Die Situation hat sich im Laufe des Jahres nicht gebessert. Mittlerweile ist eine Rückmeldung von Großhandel ohne Defekte eher die Regel als die Ausnahme. Die Telefone in den Praxen liefen heiß, solange bei jeder Überschreitung des Preisankers Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden musste. Immerhin – dieser Zustand hat sich im Herbst ge­ändert. Zum Jahreswechsel gibt es die Hitliste der Arznei­mittel, die Apothekern 2019 graue Haare bescherten.

Platz 10: Desfesoterodin

Im Mai kündigte sich die Misere an: Ein Produktionsausfall sorgte dafür, dass Apotheken mit dem Blasenspasmolytikum Tovedeso® in der Stärke 3,5 mg leer liefen. Vor allem für Patienten, die nach Tevas eifriger Werbeaktion in Arzt­praxen und Apotheken neu auf Deso­fesoterodin eingestellt waren, war das ein Problem: Die 7-mg-Retardtabletten lassen sich nicht teilen. Zur Überbrückung kam beispielsweise Trospiumchlorid (z. B. Spasmex®) infrage. Doch wegen seiner guten Verträglichkeit drängten die Patienten auf Tovedeso®. Erst sollten sie sich bis zum Spätsommer gedulden. Als dann der Hahn endlich wieder aufgedreht wurde, gab es bereits den ersten Bodenfrost.

Platz 9: Indapamid

Dass die doch eher unscheinbaren Diuretika Indapamid (z. B. Natrilix®, BiPreterax®) und Chlortalidon (z. B. Hygroton®) im Frühjahr 2019 wegen Lieferproblemen negativ auffielen, hatte einen besonderen Grund: Sie traten aus dem Schatten ihrer Leit­substanz Hydrochlorothiazid (HCT), die wegen zweier Registerstudien aus Dänemark in Verruf geraten war. Deren Ergebnisse zeigten einen kumulativen dosisabhängigen Zusammenhang zwischen der Einnahme von HCT und dem Auftreten von Nicht-Melanom-Hautkrebserkrankungen (Basaliomen und Spinaliomen), auch bekannt als weißer Hautkrebs. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) warnte eindringlich davor, HCT aus Angst vor Krebs abzusetzen. Dass aber nicht nur über einen Wechsel auf die als Alternativen empfohlenen Thiazid-Analoga Chlortalidon und Indapamid nachgedacht wurde, spiegelten die Lieferengpässe wider, die zum Glück nur von kurzer Dauer waren.

Platz 8: Aspirin® Complex und Effect

Im Jahr 2018 war noch Aspirin® i.v. das Sorgenkind. In diesem Jahr sorgten seine Geschwister Aspirin® Effect und Aspirin® Complex zum Höhepunkt der Erkältungswelle für Ärger. Terminlieferungen sagte Familie Bayer komplett ab. Der Engpass bei der Erkältungskombi (ASS/Pseudoephedrin) wurde bereits im Herbst 2018 angekündigt und war im Frühjahr 2019 überstanden. Schuld waren „Korrektur- und Modernisierungsmaßnahmen“ am Produktionsstandort Bitterfeld . Aspirin® Effect gibt es schon so lange nicht, dass die Erinnerung daran langsam verblasst und das Gerücht aufkam, es solle vom Markt genommen werden. Bayer wies diese Vermutungen jedoch zurück.

Mehr zum Thema



Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Hintergründe, Folgen und mögliche Alternativen

Die zehn lästigsten Lieferengpässe des Jahres

Wann ist ein Wechsel auf andere Thiazid-Diuretika sinnvoll?

Der Druck auf HCT wächst

FSME, HPV und Gürtelrose

ABDA: Deutsche lassen sich mehr impfen

Neue europäische Hypertonie-Leitlinie empfiehlt initiale Zweifachtherapie

Doppelt senkt besser

Unternehmen stemmt Versorgung fast allein

Valsartan: TAD meldet Lieferengpässe

Blasenspasmolytikum wird bis zum Spätsommer nicht verfügbar sein

Lieferengpass bei Tovedeso

Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht

Hydrocortison 1 Prozent weiterhin nur mit Rezept

Wirkstoff aus chinesischer Produktion mit N-Nitrosodimethylamin verunreinigt

Verunreinigtes Valsartan führt zu Massen-Rückrufen in Europa

CHMP empfiehlt Zulassungserweiterung

Shingrix schon ab 18 Jahren

3 Kommentare

Austauschmedikamente

von Fuss am 30.12.2019 um 14:28 Uhr

!0 mg Wirkstoff sagt noch nichts über seine Partikelgröße(Korngröße) aus.
Z.B 0,0004 mg Korngröße 20 % Wirksamkeit, aber
0,000004 mg Korngröße hat 90 % Wirksamkeit am Erfolgorgan. So hat es mir mal ein Sachverständiger erklärt. Daher ein Preisunterschied, weil es bei der noch kleineren Korngröße ein Patent ins Spiel kommt.
Meine Frage: bei den Generika wird auch dieser Aspekt diskutiert?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Antidepressiva

von Bernd Jas am 28.12.2019 um 10:06 Uhr

Wir haben gestern nach Doxepin xy mg gesucht und sind nur bei einer Stärke und Packungsgröße von Aponal fündig geworden.
Mit dem Wissen und der Kenntnis um die Lieferengpässe angesichts der Absetzproblematik von Antidepressiva, bekommt man schon bei der Verordnung (hier die Arztpraxis) oder der Abgabe (hier die Apotheke) Depressionen.
Hier sind wir die als Deppen gehaltenen Sklaven, die, die Lösungen finden MÜSSEN.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Antidepressiva

von Patrick Mages am 29.12.2019 um 5:48 Uhr

Bei der Lösung der Problematik gilt es mit Kompetenz zu antworten. Natürlich legt uns die Politik strenge Fesseln an, sodass die Endverantwortung doch wieder beim Arzt liegt. Aber auch ich habe Therapieideen ausgesprochen, über die der Patient dann natürlich mit dem Arzt zu sprechen hat, sofern das Problem durch reine Logistik nicht zu lösen ist. Der Umstieg auf andere Wirkstoffe muss ja fast in Betracht gezogen werden, da nach hoher Dosierung innerhalb der Therapie ein völliges Ausbleiben einer Einnahme zu klinikbedürftigen Symptomen führt. Dass Lieferengpässe wiederum einen Einfluss auf die Therapiegestaltung haben ist jedoch ein Umstand sondergleichen und lässt selbst mich ohne Worte zurück.

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.