Gerichtsurteil

Retouren aus der Apotheke müssen nicht an den liefernden Großhändler zurück

Berlin - 12.12.2019, 12:00 Uhr

Was haben das Flaschenpfandsystem und die Rücknahme von Arzneimitteln durch den Großhandel gemeinsam? ( r / Foto: Noweda)

Was haben das Flaschenpfandsystem und die Rücknahme von Arzneimitteln durch den Großhandel gemeinsam? ( r / Foto: Noweda)


Darf ein pharmazeutischer Großhändler nur Arzneimittel von Apotheken zurücknehmen, die diese auch bei ihm erworben haben? Oder kann er auch Retouren annehmen, die sein Kunde zuvor – möglicherweise günstiger – an anderer Stelle gekauft hat? Darüber hat kürzlich die Noweda mit der Bezirksregierung Düsseldorf gestritten. Nun hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden: Die Rücknahme zuvor nicht selbst gelieferter Packungen verstößt nicht gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen und ist damit auch kein schwerwiegender Mangel oder Fehler.

Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Kunden der Noweda den Hinweis erhalten, dass die betreffende Apotheke „in vielen Fällen günstiger erworbene Wirkstoffpräparate“ an die Noweda „als Retoure für den Originalpreis zurückgeben und sich erstatten lassen konnte“. Das nahm die Aufsichtsbehörde zum Anlass für eine Inspektion mit dem „Schwerpunkt Kundenretoure“ bei der Apothekengenossenschaft.

Im Mai 2017 folgte ein behördlicher Bescheid, mit dem die Noweda aufgefordert wurde, im Inspektionsbericht aufgeführte Mängel zum Umgang mit Retouren spätestens innerhalb von drei Monaten abzustellen und nachzuweisen, dass die Mängel behoben wurden. 

Unter der Überschrift „schwerwiegende Fehler und Mängel“ fand sich diese Feststellung:


Es war nicht sichergestellt, dass die retournierten und in den verkaufsfähigen Bestand übernommenen Arzneimittel im Sinne einer Rücknahme zuvor durch Noweda, Essen, an die Kunden ausgeliefert worden waren. Entgegen den gesetzlichen Regelungen werden Arzneimittel von Apotheken zurückgenommen, welche zuvor nicht vom Zurücknehmenden geliefert worden waren (§ 7b Abs. 1 AM-HandelsV).“

Behördlicher Bescheid vom Mai 2017


Die Bezirksregierung erklärte, die festgestellten Mängel gefährdeten die Arzneimittelsicherheit. Es sei daher notwendig, diese abzustellen.

Noweda: Identität von geliefertem und retourniertem Arzneimittel kann niemand sicherstellen

Im Juni erhob Noweda Klage. Der Großhändler verwies darauf, dass es „objektiv unmöglich“ sei, ausschließlich solche Arzneimittel zurückzunehmen und in den verkaufsfähigen Bestand zu übernehmen, die der jeweilige Arzneimittelgroßhändler selbst an die zurückgebende Apotheke geliefert habe. Es könne durch niemanden sichergestellt werden, dass die zurückgegebenen Arzneimittel mit den zuvor ausgegebenen auch tatsächlich identisch seien. Erschwert werde dies auch dadurch, dass Apotheken oftmals von mehreren pharmazeutischen Großhändlern sowie unmittelbar von pharmazeutischen Unternehmern beliefert würden. So komme es in der Apotheke zu einer Vermischung der gelieferten Arzneimittel. Selbst nachdem mittlerweile die EU-Fälschungsschutz-Richtlinie umgesetzt sei, könne keinesfalls jede Verpackung zweifelsfrei zugeordnet werden. Würde tatsächlich eine Identität zwischen der ausgelieferten und der zurückgenommenen Arzneimittelpackung gefordert, liefe die in der Verordnung über den Großhandel und die Arzneimittelvermittlung (§ 4a Abs. 4 AM-HandelsV) ausdrücklich vorgesehene Rücknahmemöglichkeit ins Leere.

Die Handelsstufe zählt 

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschied nun zugunsten der Noweda. Es ging zwar nicht davon aus, dass es dem Großhändler gänzlich „unmöglich“ sei den Bescheid zu befolgen. Sie könnte Retouren zum Beispiel ganz verweigern. 

Doch aus Sicht des Gerichts sind die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für das behördliches Einschreiten nicht erfüllt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Dafür müsste aber erst einmal gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen verstoßen werden. Das sei aber nicht der Fall, wenn die Klägerin Arzneimittel zurücknehme, von denen nicht sichergestellt ist, dass sie zuvor von ihr ausgeliefert worden sind.

Ein solcher Verstoß ergebe sich nicht aus § 4a Abs. 4 AM-HandelsV. Danach kann der Großhandel unter anderem aus Apotheken Arzneimittel zurücknehmen. Allerdings: „Die Vorschrift regelt mit der Rücknahmemöglichkeit lediglich eine Verhaltensoption, aber keine Verhaltenspflicht“, heißt es im Urteil.

Auch ein Verstoß gegen § 4a Abs. 1 AM-HandelsV, wonach Arzneimittel nur von zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Betrieben erworben werden dürfen, liege nicht vor – schließlich sind andere Großhändler und Apotheken solche berechtigten Betriebe. Ob es sich vorliegend überhaupt um einen „Erwerb“ handele, könne somit  dahinstehen.

Wie sieht es nun mit § 7b Abs. 1 AM-HandelsV aus, auf den sich auch die Behörde stützte? Er lautet:


Nimmt der Betreiber eines Arzneimittelgroßhandels gelieferte Arzneimittel vom Empfänger zurück, so sind diese bis zu einer Entscheidung über ihre weitere Verwendung getrennt von den zur Abgabe bestimmten Beständen zu lagern.“

 § 7b Abs. 1 AM-HandelsV


Auch daraus ergibt sich dem Verwaltungsgericht zufolge keine Vorgabe zur Identität des liefernden und zurücknehmenden Arzneimittelgroßhändlers. Die Vorschrift regle lediglich eine verpflichtende Rechtsfolge nach der Rücknahme. 

§ 7b AM-HandelsV macht in seinem Absatz 3 weitere Vorgaben, wann retournierte Arzneimittel wieder in den Verkaufsbestand genommen werden dürfen. Etwa, wenn der Zurückgebende durch Geschäftsunterlagen wie Lieferscheine oder Rechnungen belegt, dass er sie vom Arzneimittelgroßhandel bezogen hat. Doch auch aus dieser Vorschrift kann das Gericht nicht ableiten, dass die Großhändler identisch sein müssen. Unter einer „Rücknahme“ im Sinne der Norm sei eben nicht die Rücknahme eines bestimmten Händlers, sondern in die Handelsstufe des Arzneimittelgroßhandels zu verstehen. „Das folgt aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, der auf den Bezug ‚vom Arzneimittelgroßhandel‘ abstellt.“ Der Wortsinn des Begriffs der „Rücknahme“ gebiete keine andere Betrachtung, so das Gericht.

Parallele zum Flaschenpfand?

Zur Verdeutlichung machen die Richter dann einen Schlenker zum Flaschenpfandsystem: Auch hier werde der Begriff der Rücknahme in diesem Sinne verstanden. Es sei gängige Praxis, dass eine Flasche nicht an den konkreten Händler zurückgegeben wird, bei dem sie zuvor erworben wurde, sondern an irgendeinen teilnehmenden Händler der vorgelagerten Handelsstufe. Auch bei Elektro- und Elektronikgeräten sei es so, dass die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung durch Vertreiber von Elektrogeräten unabhängig davon ist, ob der konkrete Händler das zurückzunehmende Gerät zuvor ausgegeben hat.

Schließlich verweist das Urteil auch noch auf Sinn und Zweck der Vorschrift des § 7b AM-HandelsV: Sie soll den Arzneimittelverkehr schützen und Gefahren für die menschliche Gesundheit abwenden, indem verhindert wird, dass Arzneimittel in den Verkehr gelangen, die aus Quellen stammen, die keiner Überwachung unterliegen. „Um diesen Zweck zu wahren, ist es nicht erforderlich, dass der Arzneimittelgroßhändler nur solche Arzneimittel zurücknimmt und wieder in den Verkehr bringt, die er selbst zuvor ausgeliefert hat“, stellt das Gericht klar. Da alle Arzneimittelgroßhändler denselben arzneimittelrechtlichen Bestimmungen unterlägen, werde der Normzweck dadurch gewahrt, dass das zurückgenommene und wieder in den verkaufsfähigen Bestand aufgenommene Arzneimittel von (irgendeinem) Großhändler stammt.

Das Urteil ist nach Auskunft des Gerichts mittlerweile rechtskräftig.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 8. Oktober 2019, Az.: 19 K 7581/17



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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