Kommentierende Analyse

Valsartan, Ranitidin, Metformin – und jetzt?

Stuttgart - 06.12.2019, 17:45 Uhr

Nitrosamine: In welchen Arzneimitteln können sie als Verunreinigung vorkommen? (s / Foto: Slavko Sereda / stock.adobe.com) 

Nitrosamine: In welchen Arzneimitteln können sie als Verunreinigung vorkommen? (s / Foto: Slavko Sereda / stock.adobe.com) 


Im Sommer 2018 hat er begonnen, der Valsartan-Skandal. Viele weitere Sartan-Rückrufe folgten. Heute wissen wir, dass sich die Nitrosamin-Verunreinigungen nicht auf diese Wirkstoffgruppe beschränken. Und so wurde aus dem Valsartan-Skandal ein Nitrosamin-Skandal – auch wenn bislang kein weiterer Wirkstoff im gleichen Umfang wie die Sartane zurückgerufen wurde. Jetzt ist mit Metformin ein Wirkstoff unter Verdacht geraten, der in der Diabetes-Therapie einen kaum zu ersetzenden Stellenwert hat. Als Apotheker oder PTA darf man sich fragen: Wo führt das noch hin?

Die verschiedenen Arzneimittelbehörden der Welt werden – seit im Sommer 2018 der Nitrosamin-Skandal bekannt wurde – nicht müde, zu betonen, dass ein Absetzen betroffener Arzneimittel schlimmere Konsequenzen haben kann, als ihre weitere Einnahme. Zu Recht, wie man als Apotheker/-in weiß. Dennoch ist die Angelegenheit ein zweischneidiges Schwert – das kommt auch immer wieder in der Art der Kommunikation der Behörden zum Ausdruck. Einerseits müssen sie warnen, weil Nitrosamine in Arzneimitteln, egal in welcher Dosis, einfach nichts zu suchen haben. Andererseits dürfen und wollen sie keine Panik schüren, die am Ende einen größeren Schaden verursacht, als die jahrelange Einnahme von mit Nitrosaminen verunreinigten Arzneimitteln.

Dennoch wirft der Nitrosamin-Skandal nicht nur bei den Patienten viele Fragen auf. Auch Apotheker fragen sich, wo das noch hinführen soll. Einerseits müssen sie die Patienten in den Apotheken beruhigen, andererseits können sie das selbst nur mit Hilfe der äußerst begrenzten Informationen, die von den Behörden zur Verfügung gestellt werden. Transparenz fühlt sich anders an.

Die Dimension des Nitrosamin-Skandals

Was das Ausmaß der Rückrufe angeht, so ist die Wirkstoffgruppe der Sartane bislang trauriger Spitzenreiter. Dennoch zeichnete sich bereits 2018 ab, dass auch weitere Wirkstoffe betroffen sein könnten. Erstmals konkret wurde das im April 2019. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte im Rahmen ihrer weitergehenden Untersuchungen das Antidiabetikum Pioglitazon als Risikowirkstoff identifiziert. Geringe Konzentrationen des Nitrosamins NDMA seien in einigen Pioglitazon-Chargen des Herstellers Hetero Labs aus Indien gefunden worden, hieß es damals. Rückrufe oder weitere öffentliche Konsequenzen zog das jedoch nicht nach sich.

Wieder an Fahrt aufgenommen hat der Nitrosamin-Skandal dann im September 2019: Eine US-amerikanische Versandapotheke, die in einem angeschlossenen Labor ihre Arzneimittel prüft, veröffentlichte medienwirksam, dass auch das Antazidum Ranitidin (und Nizatidin, in Deutschland nicht erhältlich) mit Nitrosaminen verunreinigt sein kann. An der Aufklärung dieses Falls arbeiten die Behörden derzeit noch. Dennoch gab es bereits weltweit zahlreiche Rückrufe.

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Ranitidin fehlt – oder doch nicht?

Im Unterschied zu den Sartanen war Ranitidin auch ohne Rezept erhältlich und es gibt einige bessere Alternativen, die man den Patienten empfehlen kann. Mittlerweile sind aber auch in diesem Fall die ersten Lieferengpassmeldungen zum alternativen Wirkstoff Famotidin eingegangen. 

Zumindest in deutschen Apotheken waren die Ranitidin-Rückrufe deutlich leichter zu verkraften, als die der Sartane. Die Dimension des Nitrosamin-Skandals hat damit dennoch immer größere Züge angenommen. Das brachte auch die EMA öffentlich zum Ausdruck, als sie ebenfalls noch im September 2019 bekannt gab, dass von nun an alle chemischen Wirkstoffe auf Nitrosamine geprüft werden müssen. Dazu gab sie den Herstellern sechs Monate Zeit. Es soll zudem geprüft werden, ob in Zukunft auch für nicht chemisch synthetisierte Arzneimittel entsprechende Leitlinien erstellt werden.

Was kommt als nächstes?

Seitdem wartet die pharmazeutische Gemeinschaft gespannt auf die Ergebnisse. Am Mittwoch folgte dann die Meldung, dass – bislang nur in Singapur – drei Metformin-Präparate aufgrund einer Verunreinigung mit NDMA lokal zurückgerufen wurden. Zwar gebe es derzeit keine Hinweise dafür, dass die Arzneimittel in die EU gelangt seien, hieß es von Seiten der EMA. In der Berufsgruppe der Apotheker hat die Meldung dennoch bereits ihre Spuren hinterlassen, sei es in Form von Resignation oder Sorge vor dem nächsten Rückruf-Chaos.

Auch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat sich vergangenen Donnerstag offiziell zu dem Fall geäußert. Auch sie hat noch keine Rückrufe bekannt gegeben. Sie betont aber, was Apotheker schon wissen: Es gibt keine direkten Alternativen zu Metformin. Kurz zuvor hatte die FDA übrigens erweiterte Testanforderungen für Ranitidin-Hersteller angekündigt. 

Keine Überraschung?

Gänzlich neu ist das Problem der „genotoxischen Verunreinigungen“ laut der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA jedenfalls nicht: Im August 2019 schrieb sie in einer öffentlichen Mitteilung, dass das Problem „genotoxischer Verunreinigungen“ bei den Arzneimittelbehörden nicht erst seit dem Valsartan-Skandal auf der Agenda steht, sondern bereits seit einigen Jahren. Ausgerechnet im März 2018, kurz vor dem Bekanntwerden des Valsartan-Skandals, sei eine entsprechende Leitlinie veröffentlicht worden. 

Dass solche Untersuchungen, wie im aktuellen Fall zu Metformin Zeit brauchen, erklärt sich von selbst – das betonte auch der Pressesprecher der FDA gegenüber dem Nachrichtenportal FiercePharma am vergangenen Donnerstag. Angesichts der mangelnden Transparenz in der Kommunikation fragen sich die Apotheker aber dennoch: Was wissen die Behörden schon?

Weil die EMA den Unternehmen für die Bewertung aller chemischen Wirkstoffe gar nicht so viel Zeit gibt, nämlich sechs Monate, soll mit den Wirkstoffen begonnen werden, deren Verunreinigung am wahrscheinlichsten ist, schrieb sie im September. Doch welche sind das? Wäre es nicht an der Zeit, die Fachöffentlichkeit hierüber genauer zu informieren?

Diese Arzneimittel könnten betroffen sein

DAZ.online liegt eine wissenschaftliche Arbeit vom November 2018 vor, die sich eigentlich mit den möglichen Analysemethoden zu NDMA auseinandersetzt (https://doi.org/10.1016/j.jpba.2018.11.010, Journal of Pharmaceutical and Biomedical Analysis 164 (2019) 536–549) – denn dazu gab und gibt es offenbar viel Forschungsbedarf. Doch bereits im Abstract wird auch darauf eingegangen, dass schon seit mehreren Jahren wissenschaftliche Literatur existiert, die von NDMA als Verunreinigung mehrerer anderer Arzneimittel (neben Sartanen) berichtet. In der Arbeit selbst werden dann auch Namen genannt.

So sind dort beispielsweise verschiedene Cephalosporine oder Metronidazol erwähnt. Aber auch niedermolekulare Heparine oder chemisch synthetisierte Proteine. Und dann folgt eine ganze Liste von Wirkstoffen ohne weitere Erläuterung, die mit NDMA verunreinigt sein könnten. Darunter sind unter anderem Amitriptylin, Azithromycin, Benzalkoniumchlorid, Chlorphenamin (z.B. in Grippostad C), Citalopram, Clarithromycin, Dimenhydrinat (z.B. in Vomex), Diltiazem, Diphenhydramin (z.B. in Vivinox), Doxepin, Doxylamin (z.B. in Hoggar Night), Erythromycin, Escitalopram, Sumatriptan, Tramadol und Venlafaxin. 

Klar ist: Bei den genannten Namen handelt es sich bislang lediglich um eine unbestätigte Hypothese, die direkt nach dem Valsartan-Skandal entstand.

Venlafaxin – war da nicht was?

Ein Lieferengpass, der derzeit in allen Apotheken sehr präsent ist, ist der von Venlafaxin. Hier äußerte sich zumindest Stada gegenüber DAZ.online im Oktober, dass dieser Engpass nichts mit Nitrosamin-Verunreinigungen zu tun hat: „Dieser ist vielmehr auf die bekannte Problematik der seit Jahren andauernden Reduzierung und somit Konzentration von Wirkstoffherstellern zurückzuführen, die den entsprechenden Bedarf zum Teil nicht mehr decken können.“

Auch die Hennig Arzneimittel GmbH & Co. KG  schrieb Ende Oktober an DAZ.online: „Die eingeschränkte Lieferfähigkeit beruht keinesfalls auf einer Verunreinigung des von uns eingesetzten Wirkstoffs Venlafaxin und einer daraus resultierenden Marktrücknahme.“ 

Die oben aufgeführte Liste ist nicht vollständig, DAZ.online hat hier nur einige bekannte Namen beispielhaft genannt. Insbesondere drei Namen, die die Hypothese eher noch stützen, werden in der wissenschaftlichen Arbeit zusätzlich genannt: Ranitidin, Nizatidin und Metformin. 

Weitere Hinweise: Erythromycin und Metronidazol

Hinzu kommt, dass sowohl für Metronidazol als auch Eryhtromycin die Gültigkeit der CEP-Zertifikate erst im November 2019 ausgesetzt wurde. Diese Zertifikate haben auch durch den Fall Valsartan an Bekanntheit erlangt; sie bescheinigen, dass eine Prüfung nach Arzneibuch ausreicht. Nun besteht allein durch diese Tatsachen auch hier zwar kein offensichtlicher Zusammenhang zu einer Nitrosamin-Verunreinigung. Allerdings verrät ein Blick in die EudraGMDP-Datenbank, dass zu eben diesen beiden letztgenannten Fällen auch zwei verschiedene Berichte über die GMP-non-compliance vorliegen: Beide Hersteller wurden unter Beteiligung des EDQM inspiziert. Bei Metronidazol in Kooperation mit Swissmedic – und dort erinnern die berichteten Mängel stark an den Fall Valsartan. So geht es beispielsweise um Kreuzkontamination, Lösungsmittelrückgewinnung und eine Verunreinigung.

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Am Ende wird man sich fragen müssen, ob man bei der Suche nach Nitrosaminen überhaupt wirklich (nach Wirkstoffen) priorisieren kann. Denn die Möglichkeiten, wie Nitrosamine in Arzneimittel gelangen können, reichen vom Syntheseweg, über Kreuzkontaminationen bis hin zur Verpackung. Auch die FDA betont in ihrem jüngsten Statement, dass es mehrere Wege gibt, wie NDMA in Arzneimittel gelangen kann. Die Untersuchungen laufen also – und werden wohl nicht so schnell abgeschlossen sein.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Systematische Krise

von ratatosk am 09.12.2019 um 9:07 Uhr

Immer billiger nur zum Nutzen führt zwagsläufig zu solchen Problemen. Qualität kostet, weiß´eigentlich jeder ( außer Politik und die sog. Experte ) . Diese Qualität darf keine Luftpreise kosten, wenn aber diese aber realiter nicht belohnt wird, bekommt man, was man bestellt. Allem Politik und Kassengelaber zum Trotz. Aber Boni für KV , Lasten für Versicherte, da ist das Ergebnis in D klar.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Systematische Krise

von dipfel am 11.12.2019 um 7:42 Uhr

Ja, sehe ich genauso. Als Patient hätte ich lieber ein paar Cent pro Tablette extra dazubezahlt, als über viele Jahre verunreinigtes Valsartan einzunehmen. Viel mehr als ein paar Cent am Tag pro Tablette wären es bei sauberer Produktion vermutlich gar nicht gewesen.
Das Risiko durch die Nitrosamine wird auch noch kleingeredet. Finde ich dreist.
Für eine vertrauenswürdige Produktion lebensnotwendiger Medikamente in einem europäischen Land ist kein Geld da, aber für die Erstattung der Kosten für homöopathische Arzneimittel schon.
Gibt es überhaupt noch einen Antibiotika Hersteller in Deutschland oder wenigstens Europa?
Wenn irgendwann mal alles nur noch in China, Indien, Russland, USA produziert wird, schafft man doch auch ungute Abhängigkeiten.

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