OLG Naumburg zu Rx-Boni für Privatversicherte

„Kein Anreiz, eine Versandapotheke zu wählen“

Berlin - 27.11.2019, 15:15 Uhr

DocMorris lässt nichts unversucht, Kunden zu ködern. Aber was nutzen Privatversicherten Boni, wenn sie diese an ihre Versicherung durchreichen müssen? (b/Foto: DocMorris)

DocMorris lässt nichts unversucht, Kunden zu ködern. Aber was nutzen Privatversicherten Boni, wenn sie diese an ihre Versicherung durchreichen müssen? (b/Foto: DocMorris)


Das Oberlandesgericht Naumburg hat kürzlich entschieden, dass DocMorris keine Unterlagen über Arzneimittel ausstellen darf, die zur Vorlage bei einer privaten Krankenversicherung geeignet sind und zugleich gewährte Boni verschweigen. Jetzt liegen die Urteilsgründe vor. Mit einer etwaigen Beteiligung an einem Betrug setzt sich das Gericht – anders als die Vorinstanz – nicht auseinander. Es ist jedoch ebenfalls überzeugt, dass DocMorris mit seinem Vorgehen gegen die unternehmerische Sorgfalt verstößt. Rechtskräftig ist das Urteil nicht – die Richter haben die Revision zugelassen.

Es ist ein Urteil, das auch der Bundesgesundheitsminister mit Interesse zur Kenntnis nehmen wird. Es geht um die Boni, die der niederländische Versender DocMorris Privatversicherten für den Erwerb von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gewährt. Also in einer Konstellation, in der der Kunde zunächst selbst für das Arzneimittel zahlt, den Preis aber von seiner Versicherung erstattet bekommt, wenn er die Rechnung einreicht. Wie ist es nun, wenn DocMorris Privatpatienten einen Bonus für Rx-Arzneimittel in Höhe von 2,50 Euro pro Rezept, bei mehreren Verschreibungen bis zu 15 Euro, verspricht? Oder einen Sofortkundenbonus von 10 Euro – auch bei der Rx-Bestellung? Ist es rechtens, wenn dieser Bonus der Versicherung verschwiegen wird?

Das fragte sich 2017 ein Apotheker aus Tangerhütte in Sachsen-Anhalt. Er veranlasste zwei privat versicherte Testkäufer – Vater und Sohn – zu verschiedenen Bestellungen. Ihre Testkäufe belegten: DocMorris macht es den Kunden einfach. Sie bekommen eine Rezeptkopie zur Vorlage bei der privaten Versicherung, die den Bonus – anders als eine ebenfalls beigefügte Rechnung – nicht ausweist. Theoretisch hätten die Testkäufer diese Kopien einreichen können – und dann den dort ausgewiesenen Betrag erstattet bekommen. Aber so weit gingen die Testkäufer nicht.

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Der Apotheker aus Tangerhütte zog mit diesen Belegen vor Gericht und machte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend. Dabei ging es nicht nur um besagte Rezeptkopien, sondern auch um personenübergreifende Kundenkonten, die ermöglichen, dass erlangte Boni beispielsweise zwischen Familienmitgliedern verschoben werden können. Hier vermisste der klagende Apotheker die Einholung von Einwilligungserklärungen.

Das Landgericht Stendal bejahte die beiden Unterlassungsansprüche. Es setzte sich in seinem Urteil auch mit einer möglichen Beihilfe durch DocMorris an einem Betrug der Besteller zulasten ihrer Versicherung auseinander. Doch letztlich verneinte es eine solche Teilnahmehandlung – denn der Betrug war von den Testkäufern nicht ausgeführt worden. Und eine Teilnahme an einem möglicherweise lediglich versuchten Betrug ist nicht strafbar. Doch das Landgericht sah einen Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt (§ 3 Abs. 2 UWG).

Dass die PKV nichts gegen Boni hat, ändert die Rechtslage nicht

DocMorris legte gegen das Urteil aus Stendal Berufung ein – und kam damit nicht weiter. Das Oberlandesgericht Naumburg bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. In den jetzt vorliegenden Urteilsgründen führen die Richter aus, dass es auf eine mögliche Strafbarkeit der Kunden bei Einreichung des Rezepts bei ihrer privaten Krankenversicherung nicht ankomme. Hingegen sehen auch die Naumburger Richter einen Verstoß gegen § 3 Abs. 2 UWG. Diese Norm besagt:


Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen“.

 § 3 Abs. 2 UWG


Und diese Voraussetzungen halten die Richter für erfüllt: „Als ‚unternehmerische Sorgfalt‘ gilt der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmen ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält“, heißt es im Urteil. Selbst bei einer – hier strittigen – Zulässigkeit von Rabatten auf Arzneimittel unterlägen entsprechende Angebote der Missbrauchskontrolle, wenn die Interessen dritter Personen zu wahren sind. Mit seinem Vorgehen gegenüber Privatpatienten wahre DocMorris solche Interessen Dritter – nämlich der privaten Krankenversicherung – nicht.

Kunde hat nur dann einen Vorteil, wenn er den Bonus nicht offenlegt

Das Gericht stellt klar: Bei hundertprozentigem Versicherungsschutz kann einem Privatversicherten – soweit bereits alle Zuzahlungen geleistet sind – kein Bonus für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel gewährt werden. „Denn ein niedrigerer Preis führt zu einer niedrigeren Erstattung“. Einen Vorteil erhalte der Kunde nur, wenn er das Rezept mit dem Listenpreis ohne Offenlegung des Bonus einreicht. Und dann übersteige die Erstattung der PKV die Aufwendungen des Kunden. Das wiederum verstoße gegen das versicherungsrechtliche Prinzip der konkreten Bedarfsdeckung. Der Versicherungsschutz erstrecke sich nämlich nur auf die vom Versicherungsnehmer tatsächlich erbrachten Aufwendungen, sodass Preisnachlässe die Leistungspflicht des Versicherers mindern. Das Argument von DocMorris, die privaten Krankenversicherungen hätten sich bisher nicht gegen diese Praxis gewehrt, ändere nichts an dieser Rechtslage.

Die Naumburger Richter machen auch deutlich, dass Rx-Boni für Privatversicherte damit aus ihrer Sicht sinnlos sind: Verhält sich der Kunde rechtmäßig und zeigt seiner Versicherung den Bonus an, hat er keinen wirtschaftlichen Vorteil. „Es besteht bei dieser Praxis also gerade kein Anreiz, eine Versandapotheke zu wählen“.

Sie verweisen zudem auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart, das sich mit Quittungen für GKV-Versicherte auseinandergesetzt hat: Demnach besteht überdies die Möglichkeit einer missbräuchlichen Verwendung der so gestalteten Rezepte gegenüber den Finanzbehörden.

Mit seiner Verfahrensweise beeinflusse DocMorris auch das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher. DocMorris habe selbst ausgeführt, dass die Bonusgewährung dazu diene, den erhöhten Aufwand des Kunden bei Einschaltung einer Versandapotheke auszugleichen. „Er soll damit bewegt werden, statt bei einer Präsenz­apotheke bei einer Versandapotheke zu kaufen“. Ein solcher Anreiz entstehe allerdings nur, wenn er das Rezept einreicht, ohne den gewährten Bonus offenzulegen.

Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung

Was die personenübergreifenden Kundenkonten betrifft, in denen neben den Daten der Adressaten auch die weiterer Patienten/Familienangehöriger ohne vorherige Einwilligung verarbeitet und wiedergegeben sind, so sieht das Gericht einen Verstoß gegen Datenschutzrecht.

Wie schon in seinen Urteilen zum Arzneimittelverkauf über den Amazon Marketplace stellt der 9. Senat des Oberlandesgerichts zunächst klar, dass aus seiner Sicht, Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Marktverhaltensregeln im Sinne des Lauterkeitsrechts sein können – höchstrichterlich geklärt ist diese Frage noch nicht. Damit können auch Mitbewerber Verstöße gegen die Verordnung geltend machen.

Für die Naumburger Richter steht fest: DocMorris hat die personenübergreifenden Kundenkonten zur Förderung des Absatzes geführt. Denn nicht aufgebrauchte Boni stünden auch den anderen in dem Kundenkonto erfassten Personen zur Verfügung. „Dies schafft einen Anreiz zu weiteren Bestellungen“. Das Problem: Es handele sich um Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO – und wer diese verarbeiten will, bedarf dazu der Einwilligung – die hatte der Versender aber von keinem der Test-Besteller eingeholt.

Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung

Ebenfalls wie im Amazon-Fall ließen die Naumburger Richter auch hier die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. So sei zum einen klärungsbedürftig, ob die Regeln der DSGVO im Einzelfall als Marktverhaltensregeln im Sinne des § 3 a UWG anzusehen sind. Zum anderen dürfte wegen „der wirtschaftlichen Bedeutung der hier involvierten Versandapotheke“ ein „abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der Klärung der Frage bestehen, unter welchen Voraussetzungen die Gewährung von Boni an privatkrankenversicherte Personen beim Kauf in einer Versandapotheke möglich ist“.

Tatsächlich dürfte dies nicht zuletzt Minister Jens Spahn (CDU) interessieren. Schließlich hat er den PKV-Bereich ausgeklammert, als er im Entwurf für das Apotheken-Stärkungsgesetz ein im Sozialrecht verankertes Rx-Boni-Verbot vorlegte. Ob diese Regelung tatsächlich so kommt, ist ohnehin unklar. Spahn will zunächst die Meinung der EU-Kommission zu seinem Vorhaben einholen – doch die wurde erst am heutigen Mittwoch vom EU-Parlament bestätigt.

Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. November 2019, Az.: 9 U 24/19



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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