Arzneimittel-Lieferengpässe

Union und SPD wollen Austauschmöglichkeiten für Apotheker erweitern

Berlin - 14.11.2019, 10:05 Uhr

Blick ins Leere: Union und SPD wollen mit Änderungsanträgen zum Faire-Kassenwahl-Gesetz dafür sorgen, dass Arzneimittel seltener defekt sind. (m / Foto: imago images / Steinert)

Blick ins Leere: Union und SPD wollen mit Änderungsanträgen zum Faire-Kassenwahl-Gesetz dafür sorgen, dass Arzneimittel seltener defekt sind. (m / Foto: imago images / Steinert)


Die Gesundheitspolitiker der Großen Koalition wollen mit gesetzlichen Maßnahmen auf die zunehmenden Arzneimittel-Lieferengpässe reagieren. Nach Informationen von DAZ.online soll an das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) ein Änderungsantrag angehängt werden, der mit verschiedenen Regelungen die Vermeidung und das bessere Management von Defekten vorsieht. Einer der Vorschläge: Wenn Apotheker ein Arzneimittel länger als 24 Stunden nicht beziehen können, sollen sie es gegen ein wirkstoffgleiches Präparat austauschen können.

Union und SPD wollen dafür sorgen, dass sich die Lieferbarkeit von Arzneimitteln verbessert und entstehende Lieferengpässe besser gehandhabt werden können. Als Omnibusgesetz haben sich die Koalitionäre dafür offenbar das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz ausgesucht, mit dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hauptsächlich die GKV-Finanzierung reformieren will. DAZ.online liegt eine sogenannte Formulierungshilfe aus der Großen Koalition vor, in der es um Arzneimittel-Lieferengpässe geht. Dem Vernehmen nach sind die Vorschläge innerhalb der Koalition noch nicht vollständig konsentiert – noch in dieser Woche könnten sie aber intern beraten und dann an das Gesetz angehängt werden.

Um diese Ideen geht es:

  • Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll mehrere neue Kompetenzen im Management von Lieferengpässen bekommen. Zunächst soll die Behörde den Herstellern nach deren Antrag den Vertrieb des Arzneimittels aus dem Ausland gestatten können, wenn ein „versorgungsrelevanter“ Lieferengpass droht oder besteht. Befristet soll es so möglich sein, dass sowohl die Packungen als auch die Packungsbeilagen in einer Fremdsprache in den Vertrieb gehen. Dies gilt allerdings nur bei Arzneimitteln, die von Ärzten und Zahnärzten direkt am Patienten angewendet werden. Bisher war das Bundesgesundheitsministerium in diesen Ablauf eingebunden: Das BMG muss derzeit offiziell einen Versorgungsengpass feststellen. Erst dann können die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder von regulatorischen Vorgaben abweichen.
  • Der Jour Fixe zu Lieferengpässen wird rechtlich verankert: Beim BfArM soll ein neuer „Beirat“ eingerichtet werden, der die Versorgungslage mit Arzneimitteln kontinuierlich beobachtet und bewertet. Diesem Gremium sollen unter anderem die schon im Jour Fixe vertretenen Verbände und Organisationen der Ärzte, Apotheker, Großhändler und der Hersteller angehören. Der Beirat soll im Arzneimittelgesetz verankert werden. Im Rahmen des Jour Fixes hatten sich bislang unter anderem die Hersteller, Großhändler, Ärzte, Apotheker, das BMG gemeinsam mit BfArM und PEI über Lieferengpässe ausgetauscht. Im neuen Beirat sollen nun auch Kassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung integriert werden.
  • Das BfArM soll nach Anhörung dieses Beirats bei drohenden oder bestehenden Engpässen „geeignete Maßnahmen zu dessen Abwendung oder Abmilderung“ ergreifen dürfen. Was das genau bedeutet, wird erst in der Begründung deutlich. „Im Einzelfall“ soll das BfArM gegenüber Herstellern und Großhändlern „zum Beispiel“ Anordnungen zur Lagerhaltung treffen.
  • Für die Großhändler soll es eine neue Pflicht geben, Daten zu den verfügbaren Beständen und der Absatzmenge von Arzneimitteln an das BfArM zu melden. Damit soll die Behörde einen besseren Überblick über Restbestände bekommen. Der Überblick sei erforderlich, um die Versorgungslage einzuschätzen, heißt es zur Begründung.
  • Für die Apotheker ist eine Regelung zur Erweiterung der Austauschmöglichkeit von großer Bedeutung. Demnach soll die bedarfsgerechte Versorgung mit Rabattarzneimittel sichergestellt werden, heißt es in dem Antrag. „Nach Ablauf von 24 Stunden“ soll es für Apotheker daher möglich sein, ein anderes, wirkstoffgleiches, nicht rabattiertes und lieferbares Präparat abzugeben. Dieses darf allerdings den Preis des verordneten Arzneimittels nicht überschreiten. Und: Näheres zu dieser Regelung sollen Kassen und Apotheker im Rahmenvertrag festlegen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das derzeitige Verfahren zur Abgabe von Rabattarzneimitteln für die Apotheker belastend ist. Wörtlich:

Das derzeitige Verfahren zur Abgabe rabattierter und preisgünstiger Arzneimittel kann zu einer erheblichen Belastung der Apotheken führen. Der Zeitaufwand, der mit der wiederholten Verfügbarkeitsabfrage durch die Apotheken beim pharmazeutischen Großhandel verbunden ist, kann auch eine verzögerte Versorgung der Patientinnen und Patienten zur Folge haben. Nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden werden deshalb die Apotheken berechtigt, ein anderes wirkstoffgleiches, auch nicht rabattiertes  Arzneimittel abzugeben. Das abzugebende Arzneimittel darf nicht teurer sein als das verordnete Arzneimittel.“

Begründung des Änderungsantrages




Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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6 Kommentare

Wo ist die Verbesserung?

von Christian Becker am 15.11.2019 um 9:34 Uhr

Wir dürfen bisher schon bei Nichtlieferbarkeit was anderes Abgeben.

Eine wirkliche Verbesserung wäre:
Streichung des Passus: "nicht teurer als das Verordnete"
Erweiterung: "nach 24h Nichtlieferbarkeit darf das günstigste lieferbare AM abgegeben werden, ohne dass der Patient Mehrkosten tragen muss"

Problem ist ja oft nicht direkt, dass es GAR nichts gibt, sondern dass es nichts gibt, was die Kunden auch bezahlen können/ wollen.
Die teils enormen Mehrkosten bei den (noch) lieferbaren Originalen, sind für viele Menschen nicht tragbar, insbesondere nicht für solche, die wegen ihrer geringen Mittel ohnehin von der Zuzahlung befreit sind.

So wäre es dann möglich, einen "normalen" Austausch wie bisher auszuführen und wenn da nichts zu machen ist, nach 24h ein Original abzugeben, ohne den Kunden zu belasten.

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Verbesserung?

von H. Schulte am 14.11.2019 um 18:01 Uhr

Was genau soll dieser Vorschlag an den bisherigen Regelungen des Rahmenvertrages verbessern? Zur Zeit machen wir eine online Verfügbarkeitsanfrage bei zwei Großhändlern und können dann bei Nichtverfügbarkeit des Medikaments mit Alternativen (falls verfügbar) beliefern. Mit diesem Vorschlag wird alles schlechter. Liebes DAZ online Team: Bitte erklärt doch unseren Gesundheitspolitikern nochmal den zur Zeit gültigen Rahmenvertrag.

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Wie?

von Thomas Kerlag am 14.11.2019 um 16:13 Uhr

Jetzt bin ich trotz allem Wissen über deren Unfähigkeit doch geschockt.
Wann dürfen wieder Fachleute an neuralgischen Schaltstellen sitzen?

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AW: Nie

von ratatosk am 14.11.2019 um 17:21 Uhr

Kompetenz ist offensichtlich ein Ausschlußkritierium für wichtige politische Fragen geworden, nicht nur hier, sondern fast überall. Also werden nur noch Parteiapparatschicks solche Posten bekommen.

Ein weiteres Zeichen der absoluten Unfähigkeit !

von ratatosk am 14.11.2019 um 11:24 Uhr

Hier könnte nur ein weiterer Baustein für die Retaxorgien der GKV gelegt werden !!
Keine Register oder bürokratische Spielchen sind nötig, sondern Produktionskapazität.
Daß es immer öfter gar nichts mehr zum Tauschen gibt, haben die Politik und GKV noch nicht überrissen, ist bei Leuten wir Lauterbach, Glaeske oder den Funktionären auch nicht verwunderlich, wenn man ihre absurden Aussagen mal auswertet.
Andere Länder haben diese aufgebaut ( China und Indien ), deutsche Politik und GKV bewußt vernichtet, so einfach ist das im Kern. Alles andere ist das typische politik und Bürokratengeschwätz, wo eh keiner verantwortlich ist.

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Offensichtlich...

von Tobias Kast am 14.11.2019 um 10:28 Uhr

...ist der Politik der neue Rahmenvertrag nicht bekannt...
...oder sie hat den Umfang des Problems nicht erkannt...

...als wäre es ein Problem, dass nur Rabattarzneimittel nicht lieferbar sind...

Sry, aber das liest sich für die Offizin wie ein Rückschritt.
24h warten vor der Patientenversorgung... vollkommen realitätsfremd... was für eine Katastrophe...

(Oder darf ich dann auch statt 320 mg (nix lieferbar - und nichts heisst kein Hersteller... haha Rabatt) 160 mg wirkstoffgleich abgeben und sagen "nehmen sie 2" - die Packung reicht aber nur ne halb so lang? ... aktuell mache ich das gleiche, nerve aber vorher den Arzt am Telefon ...)

Und die GH Bestand und Absatzmengen melden zu lassen... halte ich für am Kern des Problems vorbei.

Auch als als GH würde mich dagegen mit Händen und Füßen wehren... da gibt es Wege, die weniger in das Geschäftsgeheimnis eingreifen...
Lasst doch die Anzahl und Artikel der nicht belieferbaren MSV3 Abfragen (!nicht Bestellungen!) melden (wobei auch das aus meiner Sicht eigentlich Geschäftsgeheimnis ist...)...

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