Interessengemeinschaft der Heilberufe

Freie Heilberufler sorgen sich um Einflüsse von Kapitalinvestoren

Kiel - 01.11.2019, 15:30 Uhr

Der amtierende IDH-Vorsitzende Dr. Henrik Herrmann (r.) begrüßte für den Vortrag zum IDH-Thementag Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel. (Foto: tmb/DAZ.online)

Der amtierende IDH-Vorsitzende Dr. Henrik Herrmann (r.) begrüßte für den Vortrag zum IDH-Thementag Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel. (Foto: tmb/DAZ.online)


Beim Thementag der Interessengemeinschaft der Heilberufe in Schleswig-Holstein ging es um den Schutz der Freiberuflichkeit vor Kapitaleinfluss. Festredner Prof. Nagel regte eine Begrenzung für das Gewinnstreben im Gesundheitswesen an. In der Diskussion dominierte die Sorge vor Rosinenpickerei. Letztlich fordern die Heilberufler ein klares Bekenntnis der Politik zum erfolgreichen Konzept der Freiberuflichkeit.

Die Interessengemeinschaft der Heilberufe in Schleswig-Holstein (IDH) ist eine bundesweit einmalige Gemeinschaftsorganisation der akademischen Heilberufe. Die IDH veranstaltete diese Woche Mittwoch in Kiel einen Thementag zum Schutz der Freiberuflichkeit vor Kapitaleinfluss zum Wohl der Patienten. Dort beschrieb Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und turnusmäßiger IDH-Vorsitzender, die Freiberuflichkeit und die Selbstverwaltung der Heilberufe als Grundlagen des deutschen Gesundheitssystems. Damit stehe das Patientenwohl an oberster Stelle. Doch die Kommerzialisierung durch berufsfremde Kapitalgeber führe zu Zerrissenheit zwischen dem Berufsethos und betriebswirtschaftlichem Erfolg.

Angriff des Kapitalmarktes auf Freiberuflichkeit

Darum ging es auch im Vortrag von Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth, über den „Angriff des Kapitalmarktes auf die Freiberuflichkeit“. Nagel erklärte die wichtige Funktion des Kapitalmarktes, der finanzielle Mittel für Unternehmen zur Verfügung stellt. Die Investoren seien primär an der Rendite interessiert. Dies liege in der Natur der Sache und unterscheide sie von einer unternehmerischen Sicht, die Kunden, Mitarbeiter, Forschung und Entwicklung und erst danach den Gewinn betrachte. Die Freiberuflichkeit beschrieb Nagel als weisungsunabhängige, freie und künstlerische Arbeit. Diese Stellung der freien Berufe ergebe sich aus dem Grundgesetz. Wenn sie angegriffen werde, sei das auch eine „Verfassungskrise“. Für die Heilberufe komme die Besonderheit hinzu, dass Patienten nicht souverän wie Kunden, sondern den Rahmenbedingungen ausgeliefert seien.

Geldverdienen mit Krankheit: ja, aber begrenzt

Das Gesundheitswesen habe sich innerhalb von 25 Jahren vollständig verändert. Während früher alle Kosten getragen wurden, sei inzwischen viel rationalisiert worden. Dieses „vernünftige Handeln“ sei sinnvoll und wichtig gegen Verschwendung angesichts begrenzter Ressourcen. Doch es dürfe nicht zur Rationierung von Gesundheitsleistungen kommen. Auch die freie Wahl der Patienten unter den Leistungserbringern müsse erhalten bleiben. Nagel verwies zudem auf den großen Anteil des Gesundheitswesens an der Wirtschaftsleistung und auf die Bedeutung der solidarischen Gestaltung für die Gesellschaft. Es sollte möglich sein, mit der Krankheit anderer Geld zu verdienen, um einen Anreiz für diese Arbeit zu geben. Doch Nagel vertrag auch die These, dass die Gewinnerwartungen im Gesundheitswesen begrenzt sein sollten, weil die Gewinne von der Solidargemeinschaft finanziert werden. Auch die Investoren müssten diese Sozialpflichtigkeit anerkennen.

Kapitalinvestoren bei Zahn- und Tierärzten

Die Vertreter der Heilberufe beschrieben anschließend ihre Erfahrungen mit berufsfremden Investoren. Dr. Michael Brandt, Präsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein, erklärte Medizinische Versorgungszentren mit Zahnärzten seien besonders in Ballungsräumen aktiv. Die zahnärztliche Tätigkeit sei für Investoren attraktiv, weil es dort vielfältige Versorgungsformen gibt, die auch auf Ästhetik und Komfort zielen. Dr. Michael Diercks, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, ergänzte, dass größere Einheiten tendenziell höhere Fallwerte abrechnen. Dr. Evelin Stampa, Präsidentin der Tierärztekammer Schleswig-Holstein, berichtete über skandinavische Tierarztketten, die auch in Deutschland tätig sind. Die Tierärztekammer Schleswig-Holstein müsse jede Praxisübernahme genehmigen und mache dabei stets eine tierärztliche Leitung zur Auflage. Doch Stampa befürchtet steigende Behandlungskosten für die Tierhalter.

Sorgen vor Rosinenpickern

Dr. Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, erklärte, die Humanmediziner müssten bei ihren Abrechnungen keine Auskünfte über die Herkunft ihres Kapitals geben. Daher würden Daten zu dem Thema fehlen. In der Diskussion wurden Befürchtungen geäußert, dass Medizinische Versorgungszentren in den Händen berufsfremder Investoren als „Rosinenpicker“ an besonderen Standorten lukrative Leistungen anbieten, sodass die flächendeckende Versorgung leidet. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus beschrieb dies am Beispiel zahnärztlicher Versorgungszentren, die sich auf Implantologie spezialisieren, aber den Versorgungsauftrag nicht wahrnehmen würden. Die schwankende Haltung der FDP zum Fremdbesitzverbot bei Apotheken wurde jedoch nicht angesprochen. Erst am Ende der Diskussion verwies Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, auf die europäische Dimension des Themas. Der Wettbewerb sei europäisch und ausländische Kapitalgeber würden das Thema offensiv in die Politik tragen. Außerdem werde die digitale Disruption „geradezu zur Religion erklärt“. Darum solle die Politik „nicht hin- und hereiern“, forderte Froese. Vielmehr sollten sich die Politiker im Interesse der Patienten klar zu den Heilberuflern bekennen und nicht mit einem kapitalgetriebenen System liebäugeln.

Bekenntnis der Politik gefordert

Auch in ihrer Pressemitteilung zum Thementag fordert die IDH die politischen Entscheidungsträger auf, sich stärker für den Erhalt und die Stärkung der freien Heilberufe einzusetzen. Sie seien aus der Gemeinnützigkeit entstanden und würden einen essentiellen Teil des solidarischen Gesundheitssystems Deutschlands darstellen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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