Prämedikation in der Tumortherapie

Ranitidin fehlt – oder doch nicht?

Stuttgart - 24.10.2019, 08:59 Uhr

Fehlen H2-Antihistaminika in parenteraler Darreichungsform? ( r / Foto: Chanintorn.v / stock.adobe.com)

Fehlen H2-Antihistaminika in parenteraler Darreichungsform? ( r / Foto: Chanintorn.v / stock.adobe.com)


Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. hat am 11. Oktober Empfehlungen zum „Versorgungsengpass bei Ranitidin“ veröffentlicht: Erstens soll auf Ranitidin verzichtet werden, zweitens soll alternativ Famotidin zum Einsatz kommen. Denn die DGHO meint: Eine kritische Überprüfung des Einsatzes von Ranitidin ist – im Kontext der aktuell diskutierten Nitrosamin-Verunreinigung – erforderlich.

Wer regelmäßig in der Apotheke steht, der vermisst Ranitidin – trotz der zahlreichen Rückrufe in jüngerer Vergangenheit – im Alltag nicht wirklich, oder? Auch die Verordnungszahlen sprechen, verglichen mit Protonenpumpeninhibitoren, dafür, dass Ranitidin im Alltag einer öffentlichen Apotheke kaum zum Einsatz kommt. Ein wenig anders sieht das in Krankenhausapotheken aus, wie aus einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO) vom 11. Oktober hervorgeht.

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Denn für manche in der Onkologie eingesetzten Arzneimittel empfehlen die zugehörigen Fachinformationen Ranitidin explizit als Prämedikation vor einer medikamentösen Tumortherapie. Und in diesem Zusammenhang spricht die DGHO tatsächlich von einem Versorgungsengpass:


Nach dem Nachweis des potenziell human karzinogenen N-Nitrosodimethylamin (NDMA) hat die EMA im September 2019 ein Verfahren zur Überprüfung ranitidinhaltiger Präparate eingeleitet. Der dadurch entstandene Versorgungspass und das ungeklärte Risiko der Kanzerogenität sind Anlass zu diesen Empfehlungen zum aktuellen Einsatz von Ranitidin in der Prämedikation.“

Aus der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO) vom 11. Oktober 2019


Evidenz für den Einsatz von Ranitidin ist dünn

Ranitidin ist also knapp, aber so richtig vermisst wird es dann doch nicht. Denn die erste Empfehlung der DGHO lautet, dass auf Ranitidin verzichtet werden soll. Die Evidenz für den Einsatz von H2-Rezeptor-Antagonisten als Prämedikation in der medikamentösen Tumortherapie sei insgesamt dünn: „Wir empfehlen allen Onkologen, ihre Therapieschemata kritisch auf den Einsatz von Ranitidin durchzusehen und beim Fehlen belastbarer Evidenz für die jeweilige Indikation auf diese Prämedikation zu verzichten.“

Statt Ranitidin: Warum Famotidin und nicht Cimetidin?

Laut der Mitteilung der DGHO kommt Ranitidin in der medikamentösen Tumortherapie zur Prophylaxe und Therapie von Hypersensitivitätsreaktionen außerhalb der Zulassung zum Einsatz. (Ranitidin i.v. ist beispielsweise zur Narkosevorbehandlung vor größeren operativen Eingriffen zur Verhütung der Säureaspiration oder zur Prophylaxe stressbedingter Blutungen von Magen und Duodenum bei schwerkranken Patienten zugelassen). 

Allerdings gibt es Arzneimittel, bei denen Ranitidin Bestandteil der Fachinformation ist (Cabazitaxel, Elotuzumab und lösungsmittelhaltiges Paclitaxel). So ergibt sich eine andere Situation und eine weitere Empfehlung der DGHO: Hier könne Ranitidin durch Famotidin ersetzt werden.

Allerdings steht Famotidin nicht als intravenöse Injektion zur Verfügung. Bei Einsatz in der Prämedikation sei eine orale Gabe 90 Minuten vor dem onkologischen Wirkstoff sinnvoll.

Ranitidin in den Fachinformationen

  • Cabazitaxel: Ranitidin oder ein vergleichbarer H2-Antagonist
  • Elotuzumab: Ranitidin oder ein äquivalentes H2-Antihistaminikum
  • Paclitaxel, lösungsmittelhaltig: Cimetidin oder Ranitidin

Cimetidin wird zwar explizit in den Fachinformationen von lösungsmittelhaltigem Paclitaxel genannt und wäre auch i.v. verfügbar, es ist aber ein Inhibitor mehrerer Isoenzyme von Cytochrom P450 und beinhalte damit ein erhöhtes Risiko für relevante Arzneimittel-Interaktionen, schreibt die DGHO.

Besser Dexamethason als Ranitidin?

Auch bei anderen Arzneimitteln außerhalb der Tumortherapie – wie monoklonalen Antikörpern oder Anti-T-Lymphozytenglobulin – werde in den Fachinformationen eine Prämedikation mit Antihistaminika empfohlen, allerdings nicht explizit mit H2-Blockern und nicht explizit mit Ranitidin. Darüber hinaus werde Ranitidin in vielen Institutionen als Bestandteil der Prämedikation von solchen Arzneimitteln eingesetzt, bei denen es gehäuft zu infusionsbedingten Reaktionen kommt (Standarddosierungen sind 50 mg i.v. oder 150 mg p.o.).

Auch die Leitlinien sind vage

In der S2k-Leitlinie der AWMF „Anaphylaxie, Akuttherapie und Management“ von 2013 findet sich beispielsweise diese Formulierung: „Wir empfehlen die zusätzliche Anwendung von H2-Rezeptorantagonisten bei schweren und therapieresistenten Anaphylaxien, weil sie zwar nur eine geringe Evidenz für eine Wirkung, aber auch keine wesentlichen Nebenwirkungen aufweisen.“ Auch die „Guideline der European Academy of Allergy and Clinical Immunology“ empfiehlt den kombinierten Einsatz von H1- und H2-Antihistaminika. Diese könnten bei einigen allergischen Hautbeschwerden zusätzliche Linderung verschaffen.

In der ESMO Clinical Practice Guideline „Management of infusion reactions to systemic anticancer therapy“ werde zwischen einer mutmaßlichen Anaphylaxie und einem Tumorlyse-Syndrom als Ursache einer infusionsbedingten Reaktion differenziert: Bei beiden Ursachen werde eine sofortige Behandlung mit einem H1- und H2-Antagonist empfohlen, konkret mit Diphenhydramin 50 mg i. v. plus Ranitidin 50 mg i. v..

Die klinischen Erfahrungen aus der Tumortherapie sollen andeuten, dass die gleichzeitige Gabe hochdosierter Steroide wie Dexamethason möglicherweise einen stärkeren Einfluss auf die Prophylaxe von Hypersensitivitätsreaktionen als Ranitidin hat. Die DGHO empfiehlt daher allen Onkologen, ihre Therapieschemata kritisch auf den Einsatz von Ranitidin durchzusehen und beim Fehlen belastbarer Evidenz auf diese Prämedikation zu verzichten. Bei Umstellung der Routineverfahren wird ein besonders engmaschiges Monitoring empfohlen, um mögliche Symptome einer infusionsbedingten Reaktion frühzeitig zu erkennen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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