EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne)

„Wahrscheinlich ruft DocMorris einfach bei der EU-Kommission an“

Berlin - 22.10.2019, 07:00 Uhr

Die EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne) sitzt seit einigen Wochen im EU-Parlament. Im DAZ.online-Interview spricht die Apothekerin über den Versandhandelskonflikt, Lieferengpässe und darüber, warum aus ihrer Sicht die Europäischen Verträge geändert werden sollten. (s / Foto: Paulus)

Die EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne) sitzt seit einigen Wochen im EU-Parlament. Im DAZ.online-Interview spricht die Apothekerin über den Versandhandelskonflikt, Lieferengpässe und darüber, warum aus ihrer Sicht die Europäischen Verträge geändert werden sollten. (s / Foto: Paulus)


Im Gegensatz zur neuen EU-Kommission ist das neue EU-Parlament schon konstituiert und arbeitet. Deutschland entsendet in dieser Legislaturperiode auch eine Apothekerin: die Grünen-Politikerin Jutta Paulus. DAZ.online hat mit Paulus über ihre Aufgaben, ihren Werdegang und die für sie wichtigsten politischen Themen gesprochen. Paulus erklärt, warum sie kurzzeitig aus ihrer Partei ausgetreten war und stellt klar: Das EU-Parlament ist am Verfahren rund um das Rx-Boni-Verbot nicht beteiligt – wagt aber eine kleine Prognose, wie es ausgeht.

DAZ.online: Frau Paulus, Sie sitzen als Apothekerin im Europa-Parlament, in der Fraktion der Grünen. Wie nah sind Sie denn noch dran am Geschehen in der Apotheke und den apothekenpolitischen Diskussionen?

Paulus: Nicht mehr so nah. Aus meiner Zeit in der Apotheke habe ich noch einige Freundinnen, mit denen ich mich öfters über aktuelle Entwicklungen austausche. Aber sowohl privat als auch beruflich, also politisch, habe ich nicht mehr viel mit der Apotheke zu tun.

DAZ.online: Sie haben Pharmazie in Marburg studiert. Wie lange haben Sie denn nach dem Studium überhaupt als Apothekerin gearbeitet?

Paulus: Während der Familiengründung In den 1990er-Jahren war es wichtig, ein gesichertes Einkommen zu haben. Und so arbeitete ich nach 1991 für ein paar Jahre als angestellte Apothekerin. Gleichzeitig haben wir dann aber schon in diesen Jahren eine eigene Firma gegründet, einen Laborbetrieb. Ende der 1990er-Jahre wechselte ich dann komplett ins Labor. Da ging es um Schadstoffanalytik, Ökotoxikologie sowie die Bewertung von Chemikalien.

DAZ.online: Haben Sie gerne in der Apotheke gearbeitet?

Paulus: Wie bei jedem Job gab es schöne, aber auch nicht so schöne Seiten. Ich mochte die Beratung, den Kontakt zu den Menschen, mir gefiel es, meine im Studium erlernten Kompetenzen in Beratungsgesprächen an den Mann oder die Frau zu bringen. Auch alle Labortätigkeiten machten mir Spaß. So wie wahrscheinlich jeder Apotheker war ich von den bürokratischen Belastungen im Alltag, also Zuzahlungen oder Rabattverträge erklären und verwalten, nicht so begeistert.

Zur Person

Jutta Paulus wurde 1967 im hessischen Gießen geboren. Sie studierte Pharmazie in Marburg und zog dann ins rheinland-pfälzische Neustadt an der Weinstraße, wo sie zunächst mehrere Jahre in einer Vor-Ort-Apotheke arbeitete. Später gründete sie gemeinsam mit Chemikern eine Labor-Gemeinschaft, wechselte aber 2015 in den Krankenhausbereich als Qualitätsmanagerin. Seit 1987 ist sie Grünen-Mitglied, trat aber Anfang der 2000er-Jahre aus der Partei aus, um wenige Jahre danach wieder einzutreten. 2013 kandidierte sie als Direktkandidatin im Wahlbezirk Neustadt-Speyer, sie verpasste aber den Einzug ins Parlament. 2016 wirkte sie bei den Grünen in der Verhandlungskommission der Koalitionsverhandlungen zur Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz mit. Ein Jahr später wurde sie dann Landes-Chefin der Grünen in Rheinland-Pfalz. Seit Januar 2018 ist sie außerdem im 16-köpfigen Parteirat der Grünen. Im vergangenen Jahr wurde sie auf die Liste zur Europawahl auf Platz 11 gewählt. Die Grünen entsenden insgesamt 21 Abgeordnete (von insgesamt 96 deutschen Abgeordneten) ins EU-Parlament.

DAZ.online: Bei einem Blick in Ihre politische Karriere ist mir aufgefallen, dass Sie zwischendurch kurz aus Ihrer Partei ausgetreten sind…

Paulus: Richtig. Meine politische Laufbahn begann schon in den 1980er-Jahren im Marburger Stadtparlament. Während der 1990er-Jahre war ich weniger aktiv, auch aus Zeitgründen. Als es im Bund dann zu Rot-Grün kam, war ich eine Zeit lang richtig enttäuscht von meiner Partei. Damals wurden viele falsche Entscheidungen getroffen, wie etwa die militärische Einbindung im Kosovo oder die Einführung von Hartz IV mit den damit verbundenen Sanktionen.

Paulus: Gesundheitswesen nicht mit dem Binnenmarkt konterkarieren!

DAZ.online: Sie traten wieder ein und wurden dann insbesondere auf Landesebene in Rheinland-Pfalz eine wichtige Mitspielerin…

Paulus: Beruflich war ich mittlerweile im Qualitätsmanagement in einer Klinik tätig, also nicht mehr so stark eingebunden wie als Selbstständige. Aber 2013 packte mich die Politik wieder, ich kandidierte als Direktkandidatin zur Bundestagswahl, wobei mir klar war, dass ich als grüne Kandidatin in einem ländlich geprägten Wahlkreis keine Chance hatte. Inhaltlich arbeitete ich aber viel mit in der Partei, insbesondere in den Bereichen Umwelt- und Energiepolitik. 2016 war ich unter anderem Teil des grünen Verhandlungsteams bei den Koalitionsverhandlungen der derzeitigen Landesregierung.

DAZ.online: Zur Gesundheitspolitik haben Sie gar keinen Kontakt mehr?

Paulus: Doch natürlich, ich bin ja jetzt Mitglied des Gesundheitsausschusses im EU-Parlament. Während meiner Klinikzeit hatte ich auch immer wieder mit politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen im Krankenhausbereich zu tun. Bei meiner jetzigen Arbeit konzentriere ich mich allerdings auf das Zusammenspiel der Umwelt-, Energie- und Gesundheitspolitik, also beispielsweise die Verschmutzung öffentlicher Gewässer mit Chemikalien und Arzneimitteln sowie dem Thema Umweltbelastung durch Luftverschmutzung oder Pestizide.

DAZ.online: Die Apotheker schauen ja in den vergangenen Jahren des Öfteren auch in die EU, weil dort wichtige Entscheidungen gefällt werden, die auch sie betreffen. Diese apothekenpolitischen Entwicklungen sind also nicht Teil Ihrer Arbeit?

Paulus: Bei uns gibt es ja keine Sprecher-Funktionen, wie im Bundestag. Deswegen kann sich theoretisch jeder zu jedem Thema äußern. Die von Ihnen angesprochenen Themen liegen allerdings noch nicht einmal im Gesundheitsausschuss, hier sind die Kommission und der Ausschuss für den Binnenmarkt zuständig. Leider.

DAZ.online: Wieso leider? Finden Sie auch, dass etwa die Frage der Arzneimittel-Preisbindung in gesundheitspolitische Hände gehört?

Paulus: Definitiv. Ich halte es für keine gute Idee, die Gesundheitssektoren der Mitgliedsstaaten andauernd mit dem EU-Binnenmarkt zu konterkarieren. Die Gesundheitspolitik sollte den Patienten dienen und nicht dem Binnenmarkt oder irgendwelchen Unternehmen und deren Wettbewerb. Ich glaube, dass es da ein generelles Problem mit der Subsidiarität und der Binnenmarktsdirektion gibt.

„Ich finde, die Europäischen Verträge sollten geändert werden“

DAZ.online: Welches denn?

Paulus: Die Europäischen Verträge enthalten zwar die klare Aussage, dass die Gesundheitssektoren der Mitgliedstaaten der Subsidiarität unterliegen. Jedoch gilt grundsätzlich, dass der Binnenmarkt allen Unternehmen gleichermaßen offen stehen muss. Die öffentliche Daseinsvorsorge ist leider nur unzureichend definiert. Der Apothekenmarkt, aber auch die Versorgung der Bevölkerung mit Ärzten und anderen wichtigen Einrichtungen gehören für mich zur Daseinsvorsorge und sollten nicht vollständig dem EU-Wettbewerbsrecht unterliegen. Ich finde, die Europäischen Verträge sollten dahingehend geändert werden. Allerdings gibt es dafür aufgrund der aktuellen politischen Lage keine Mehrheiten – es herrscht eine grundsätzliche Zurückhaltung bei der Änderung der Verträge.

DAZ.online: Was sagen Sie denn zur konkreten, aktuellen Situation? Wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit seinem Rx-Boni-Verbot in Brüssel durchkommen?

Paulus: Das Parlament ist in dieser Frage komplett außen vor, Vertragsverletzungsverfahren sind eine Angelegenheit zwischen der Kommission als Hüterin der Verträge und dem betroffenen Mitgliedsstaat. Deswegen bin ich da fachlich nicht involviert. Ich habe aber meine Zweifel, dass es hält. Wahrscheinlich ist doch eher, dass DocMorris einmal bei der Kommission anruft und dann kippt diese Regelung. Ich sehe das Problem auch auf einer anderen Ebene: Es geht grundsätzlich um die Strukturschwäche des ländlichen Raumes, die nicht nur Apotheken betrifft. Wir sollten daher darüber nachdenken, wie wir den Strukturaufbau unterstützen. Bei den Präsenzapotheken könnte man ja über eine Art Grundfinanzierung nachdenken, die je nach Lage variiert.

Paulus: Die Produktionsauflagen in Fernost müssen steigen

DAZ.online: Der Apothekenmarkt ist nicht das einzige Problemfeld in der EU-Arzneimittelpolitik. Große Fragen werfen auch die in allen Ländern immer schlimmer werdenden Lieferengpässe auf. Sollte es auf europäischer Ebene nicht viel größere Bemühungen geben, dieses Problem zu lösen?

Paulus: Unbedingt. Das ist aber eine Frage, die von mehreren Kommissaren behandelt werden muss, hier ist nicht nur die Gesundheitspolitik gefragt. Für mich ist klar: Die Pharmaindustrie hat einen Versorgungsauftrag, an den man sie auch gerne erinnern kann. Allerdings kann man die Unternehmen nicht zwingen, ihre Standorte zurück nach Europa zu verlegen. Vielmehr wäre es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass die Produktions- und Umweltauflagen in Fernost steigen und besser kontrolliert werden.

DAZ.online: Frau Paulus, wir danken Ihnen für das Gespräch!



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Apothekerin bei der EU?

von Heiko Barz am 22.10.2019 um 12:28 Uhr

Da macht sich Kompetenz sehr schnell vom Acker. Das ständigeGestammel von der Offenheit des EU-Binnenmarktes ist eineinziger Widerspruch. Über 80% unserer Arbeit ist die Beratungstätigkeit, die seit über 15 Jahren ohne Wettbewerbs nötige Angleichungen unter jeden erträglichen Wert gesunken ist. Wer kümmert sich denn noch um die „gleichlangen Spieße“, die , wenn sie Punkt für Punkt beschlossen würden, die holländischen AMPiraten in ihre Schranken weisen würden und sie dabei gegen UNS keine Chance hätten. Daher werden die bekannten hollandunterstützenden Protagonisten diese „gleichlangen Spieße“ in hohem Maße zu verhindern suchen.
Alles das wissen Spahn und Altmeyer, deren Politik ist rein taktisch geprägt und in „unserem Fall“ leider nicht zum Vorteil der Deutschen Bürgers, für deren Wohl beide einen öffentlichen Eid vor dem Bundespräsidenten abgelegt haben. Ich betone ausdrücklich, dass das Wort Korruption in diesem Fall nicht erwähnt wurde!

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Doc Morris

von Conny am 22.10.2019 um 9:56 Uhr

Guter Satz: Doc Morris ruft kurz an und alles Spahnische Gemache fällt zusammen. Genauso wirds kommen an alle Träumer !

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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