Bewältigung von Lieferengpässen

Exportverbote für Großhandlungen in Belgien aufgehoben

Remagen - 21.10.2019, 15:15 Uhr

Zur Verhinderung vermeidbarer Lieferengpässe bei Arzneimitteln hatte unser Nachbarland Belgien im Frühjahr Exportverbote für Arzneimittelgroßhändler verhängt. (Foto: imago images / Reporters)

Zur Verhinderung vermeidbarer Lieferengpässe bei Arzneimitteln hatte unser Nachbarland Belgien im Frühjahr Exportverbote für Arzneimittelgroßhändler verhängt. (Foto: imago images / Reporters)


In Belgien war im Frühjahr ein gesetzliches Exportverbot für Arzneimittelgroßhändler verfügt worden. Damit sollten die Lieferengpässe bei Arzneimitteln begrenzt werden. Jetzt hat der belgische Verfassungsgerichtshof das umstrittene Gesetz endgültig gekippt.  

Zur Verhinderung vermeidbarer Lieferengpässe bei Arzneimitteln hatte unser Nachbarland Belgien im Frühjahr Exportverbote für Arzneimittelgroßhändler verhängt. Zum Hintergrund: Das belgische Arzneimittelgesetz unterscheidet bei Großhandelsgenehmigungen zwei Kategorien, einerseits den „normalen“ Großhändler (grossiste „ordinaire“), und andererseits den Großhandelsverteiler (grossiste-répartiteur), dem das Gesetz die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung zur bedarfsgerechten Versorgung eines geografisch bestimmten Gebiets auferlegt. Das Änderungsgesetz zum belgischen Arzneimittelgesetz vom 7. April 2019 sah vor, dass Großhandelsverteiler nur Offizin-und Krankenhausapotheken sowie andere Großhandelsverteiler in Belgien mit Humanarzneimitteln beliefern dürfen. Der Vertrieb ins Ausland oder an „Grossisten“ wurde untersagt. Die einzige Ausnahme bildete die Lieferung an Grossisten im Rahmen klinischer Studien, sofern auf dem Gebiet des Großhandelsverteilers kein Risiko für die Lieferung des Arzneimittels bestand.

Exportverbot ausgesetzt

Bereits im Sommer hatte sich der belgische Verfassungsgerichtshof mit der betreffenden neuen Verbotsvorschrift in Artikel 3.2 des Änderungsgesetzes befasst, nachdem mehrere Anträge von Großhandelsunternehmen auf Aussetzung und Nichtigkeitserklärung des Artikels eingegangen waren. Das Gericht untersuchte, ob die Beschränkungen gegen europäisches Recht verstoßen und setzte den neuen Artikel 3.2 mit seinem Urteil vom 18. Juli 2019 zunächst aus. 

Infolgedessen sind belgische Großhandelsverteiler seitdem nicht länger dazu gezwungen, ihre Produkte nur an andere belgische Großhandelsverteiler, Apotheken oder Krankenhausapotheken zu vertreiben, und sie dürfen jederzeit einen Teil ihrer Lieferungen ausführen, wie dies nach den früheren Rechtsvorschriften zulässig war. 

Nun hat der Verfassungsgerichtshof am 17. Oktober 2019 einen Schlusspunkt gesetzt und endgültig über die Aufhebung (Nichtigkeit) von Artikel 3.2 entschieden.

Verstoß gegen EU-Recht festgestellt

Die Kläger hatten unter anderem geltend gemacht, dass die angefochtene Bestimmung die Freiheit des Handels und des Unternehmertums missachte. Außerdem habe der Gesetzgeber mit der Maßnahme das für das angestrebte Ziel erforderliche Maß überschritten. Die Ausfuhr bleibe den Großhändlern auch dann untersagt, wenn sie ihrer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung in Belgien nachkämen und lediglich „überschüssige“ Arzneimittel exportierten. Außerdem monieren sie, dass die angefochtene Bestimmung hinsichtlich der Großhandelsgenehmigung gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoße. Der Großhändler habe schließlich für die Gültigkeitsdauer seiner Genehmigung und unter Berufung auf deren Verlängerung in Gebäude, Ausrüstung und Personal investiert. 

Ungleichbehandlung und fehlende Notifizierung

Darüber hinaus führen sie eine Ungleichbehandlung zu den Großhändlern in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ins Feld, die nicht mit solchen Exportverboten konfrontiert würden. Schließlich bemängeln sie auch, dass die belgische Regierung es versäumt habe, die Regelung einem europäischen Notifizierungsverfahren (Richtlinie (EU) 2015/1535) zu unterwerfen. Hiernach hätte die Gesetzesänderung ihrer Auffassung zufolge eine vorherigen Mitteilung an die Europäische Kommission erfordert. 

Unter anderem unter Berufung auf frühere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommt der belgische Verfassungsgerichtshof abschließend zu dem Ergebnis, dass das Exportverbot als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 34 und 35 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zum Verbot mengenmäßiger Beschränkungen anzusehen sei. Die angefochtene Regelung sei nicht geeignet, das verfolgte Ziel zu erreichen. Somit entspreche sie nicht den Anforderungen von Artikel 36 AEUV, der Ausnahmen für solche Beschränkungen zulasse.

Keine Beweise für Einfluss auf Lieferengpässe

Die angefochtene Regelung habe Folgen für die Hauptwirtschaftstätigkeit der Großhändler-Verteiler, die danach weder exportieren noch „normale“ Großhändler beliefern dürften, stellte der Gerichtshof weiter fest. Auch für diese geht das Gericht von gravierenden Folgen aus, denn sie könnten sich nach dem Verbot nicht mehr aus dem belgischen Markt heraus mit Arzneimitteln für den belgischen Markt oder den Export bevorraten. Es lägen keine Beweise dafür vor, dass die Tätigkeiten von Großhändlern, die keine Großhändler-Verteiler sind, Auswirkungen auf die Nichtverfügbarkeit bestimmter Arzneimittel in Belgien hätten. Im Übrigen hätten die Antragsparteien zeigen können, dass nur ein sehr marginaler Prozentsatz der nicht verfügbaren Arzneimittel tatsächlich ausgeführt worden sei.

Exportverbote auch in Deutschland angedacht

Das belgische Urteil dürfte allen anderen Ländern, die ebenfalls entsprechende Exportverbote verhängt haben, um Lieferengpässe zu begrenzen, wie zum Beispiel einige Staaten in Ost-und Südosteuropa, zu denken geben. In Deutschland hatte der Arzneimittel-Experte der Unionsfraktion im Bundestag Michael Hennrich kürzlich die Möglichkeit zur Verhängung von Exportbeschränkungen für Großhändler und Apotheken mit Großhandelserlaubnis als „ultima ratio“ für versorgungsrelevante Arzneimittel, bei denen ein Lieferengpass festgestellt wurde, zur Diskussion gestellt.

Außerdem hatte die Sächsische Landesapothekerkammer beim diesjährigen Apothekertag den Antrag eingebracht „die rechtlichen Möglichkeiten eines Exportverbots für Fertigarzneimittel, die für die Versorgung der deutschen Bevölkerung dringend benötigt werden und trotzdem durch einzelne Großhändler und Apotheken mit Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG immer wieder in den europäischen Markt verkauft werden, umfassend zu prüfen und schnellstmöglich umzusetzen“. Dabei hatte die Kammer auch auf das Beispiel Belgien verwiesen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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