Schadenersatzklage in den USA

Gynäkomastie unter Risperidon – eine Überraschung?

Stuttgart - 17.10.2019, 17:50 Uhr

Hat Johnson & Johnson Ärzte tatsächlich nicht umfassend über die Nebenwirkungen von Risperdal, einem atypischen Neuroleptikum mit dem Wirkstoff Risperidon, informiert? Das wirft ein junger Mann dem Konzern vor. ( r / Foto: Stockfotos-MG/stock.adobe.com)

Hat Johnson & Johnson Ärzte tatsächlich nicht umfassend über die Nebenwirkungen von Risperdal, einem atypischen Neuroleptikum mit dem Wirkstoff Risperidon, informiert? Das wirft ein junger Mann dem Konzern vor. ( r / Foto: Stockfotos-MG/stock.adobe.com)


Zusammenhang zwischen Dopamin und Prolaktin

Doch zurück zum Prolaktin: Prolaktin ist ein aus 198 Aminosäuren bestehendes Polypeptidhormon, das in den laktotrophen Zellen des Hypophysenvorderlappens gebildet wird. Strukturell ähnelt es dem Somatotropin. Die Prolaktin-Sekretion unterliegt bei Männern und Frauen einer zirkadianen Rhythmik mit maximalen Spiegeln während des Non-Rapid-Eye-Movement(NREM)-Schlafs. Der Serumspiegel liegt bei Frauen etwa 1,5-mal höher als bei Männern und nimmt während der Schwangerschaft, Stillzeit und unter Stress zu. Prolaktin hat direkte Wirkungen auf die Milchbildung und Vergrößerung der Brustdrüsen sowie indirekte. Prolaktin hemmt die Sekretion von GnRH (Gonadotropin Releasing Hormone) und dadurch die pulsatile Freisetzung von FSH (Follikel-stimulierendes Hormon) und LH (Luteinisierungshormon) und folglich den Eisprung. Deswegen können stillende Frauen schwerer schwanger werden. Eine physiologische Funktion beim Mann ist bislang nicht bekannt. 

Die Freisetzung von Prolaktin unterliegt wohl dem Zusammenspiel verschiedener körpereigener Substanzen, darunter TRH (Thyreotropin Releasing Hormone), VIP, Angiotensin II, endogene Opioide und Oxytocin. Den „einen“ prolaktinstimulierenden Faktor konnte man bislang nicht nachweisen. Als wesentlicher Kontrollmechanismus gilt die Hemmung der Freisetzung durch Dopamin. Dopaminagonisten werden daher zum Abstillen eingesetzt. Mit der Blockade der Dopamin-Rezeptoren hebelt man diesen Regelmechanismus aus, folglich kommt es zu erhöhten Prolaktinspiegeln, die dann zu Galaktorrhoe und bei Männern zu Gynäkomastie führen können. Dazu kommen die indirekten Wirkungen über die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse, zum Beispiel Zyklusstörungen oder Infertilität. Hyperprolaktinämie bei herkömmlichen Antipsychotika und vielen neuen Atypika ist häufig – unter herkömmlichen Antipsychotika finden sich Prävalenzraten von 30-40 Prozent bei Männern und von 60-75 Prozent bei Frauen. Treten bei Patienten prolaktinabhängige Nebenwirkungen auf, erfolgt in der Regel der Wechsel auf ein prolaktinneutrales Antipsychotikum. Dazu zählen Quetiapin, Aripiprazol oder Clozapin.

Inwiefern wusste die Firma über das Risiko Bescheid?

Im Falle des jungen Mannes aus Philadelphia streiten sich die Anwälte, inwiefern die Firma über das Risiko Bescheid wusste und Ärzte und Patienten angemessen informiert hatte. Die Anwälte des Klägers wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass 2002 das Risiko für Gynäkomastie laut Label mit „selten“, also 1 von 1000 Patienten, beziffert wurde. 2006 ging man dann von einem höheren Risiko aus. In der deutschen Fachinformation ist es aktuell mit als häufige unerwünschte Wirkungen (> 1/100) angegeben. In dem Fall hatte eine Jury dem Kläger bereits 2015 eine Entschädigung von 1,75 Milliarden Dollar zugesprochen, die später auf 680.000 Dollar gesenkt wurde. Dabei ging es zunächst aber nur um den regulären Schadenersatz. Nun hatten die Geschworenen über den sogenannten Strafschadenersatz zu befinden, der im US-Recht als Zusatzsanktion in besonders schweren Fällen verhängt werden kann. Hier kommt es immer wieder vor, dass hohe Strafen hinterher von Richtern als unverhältnismäßig betrachtet und verringert werden. Das Unternehmen zeigt sich Medienberichten zufolge auch zuversichtlich, dass die Entscheidung der Jury letztlich keinen Bestand haben wird.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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