Einzelhandel vs. Internethandel

Philosoph Precht: 25 Prozent Steuer auf alle Internet-Bestellungen

Berlin - 14.10.2019, 17:45 Uhr

Der Philosoph Richard David Precht sorgt sich um die Zukunft unserer Innenstädte und würde auf alle Internetbestellungen eine 25-prozentige Sondersteuer nehmen. (m / Foto: imago images / localpic)

Der Philosoph Richard David Precht sorgt sich um die Zukunft unserer Innenstädte und würde auf alle Internetbestellungen eine 25-prozentige Sondersteuer nehmen. (m / Foto: imago images / localpic)


Der Apothekenmarkt ist nur ein Beispiel dafür, wie der Internethandel den Vor-Ort-Einzelhandel zusehends beeinflusst. Während das Geschäft der Versandhändler boomt, müssen immer mehr Läden in den Fußgängerzonen der Innenstädte schließen. Nach prominenten Vorrednern meldet sich nun auch der Philosoph Richard David Precht zu diesem Thema zu Wort. In einem „Handelsblatt“-Interview meint er: Nicht jede Innovation ist ein Fortschritt. Damit die Innenstädte nicht weiter zerfallen, fordert er eine 25-prozentige Sondersteuer für Internetbestellungen.

Das Stadtbild vieler deutscher Städte ändert sich derzeit schnell: An die Stelle kleiner, privat geführter Geschäfte treten entweder Filialen oder Franchise-Niederlassungen großer Ketten – oder leerstehende Lokale. DAZ.online hatte im September 2017 eine Analyse zu diesem Thema veröffentlicht. Unter anderem ging es dort um eine Studie der HSH Nordbank, in der von großen „Konzentrationsprozessen“ im Einzelhandel die Rede war. Einer weiteren Studie zufolge liegt der Filialisierungsgrad in der Innenstadt von Wiesbaden beispielsweise schon bei 85 Prozent. Zitiert wurde damals auch ein Branchenreport der Unternehmensberatung Oliver Wyman: „Weil immer mehr Deutsche im Internet einkaufen, werde in zehn bis 15 Jahren jedes zweite Filialunternehmen vom Markt verschwunden sein. Der Rest werde etwa aufgekauft oder fusioniert“, hieß es in dem Artikel von 2017.

Das Phänomen der sich verändernden Innenstädte ist immer häufiger auch Thema in der öffentlichen Debatte. Jüngstes Beispiel: Ein Interview des Philosophen Richard David Precht im „Handelsblatt“. Auf die Frage „was früher besser war“, antwortet Precht mit einem persönlichen Erlebnis: 


Ich war unlängst seit vielen Jahren wieder in der Innenstadt meiner Heimatstadt Solingen – und war entsetzt. Solingen war mal eine florierende Mittelschichtsstadt mit einer starken FDP. Walter Scheel zum Beispiel war gebürtiger Solinger. In meiner Kindheit war die Fußgängerzone voller qualifizierter Einzelhändler. In den Neunzigerjahren rollten die Filialketten das Terrain auf. Mittlerweile steht von drei Läden mindestens einer leer, während die anderen beiden von Ramschboutiquen und Dönerbuden bespielt werden. Es gibt keinen Grund mehr, am Wochenende in die Innenstadt zu gehen. Darunter wiederum leidet das Gemeinschaftsgefühl. Und das erleben Sie heute überall. Onlineshoppen hat die urbane Kultur zerstört.“

Richard David Precht im „Handelsblatt“


Als Lösung schlägt der 54-jährige Precht eine „25-prozentige Steuer auf all den Kram, den wir tagein, tagaus online bestellen“ vor. Das so generierte Geld solle den Kommunen zur Strukturentwicklung zur Verfügung gestellt werden. Zur Begründung führt er an: „Nicht jede Innovation ist ein Fortschritt. Ich möchte gerne eine für unsere Demokratie wie unsere Wirtschaft hochproblematische Entwicklung stoppen. Meine Steuer-Idee würde die Zukunft wahrscheinlich lebenswerter machen.“

Habeck, Precht und Lewe sorgen sich um den Vor-Ort-Handel

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Precht mit dem Thema beschäftigt. Anfang des Jahres interviewte er in seiner ZDF-Sendung „Precht“ den Vorsitzenden der Grünen Robert Habeck zum Thema „Frisst der Kapitalismus die Demokratie?“. Unter anderem sprachen die beiden damals über die Macht des Versandkonzerns Amazon. Precht sagte damals: „Die Strategie von Amazon ist es bislang nicht gewesen, Gewinne zu machen – auch wenn sie mittlerweile ein paar kleine Gewinne machen. (…) Die Strategie ist, irgendwann den Einzelhandel der Welt zu kontrollieren. (…) Irgendwann kauft man alles bei Amazon.“ Habeck erklärte in dem Interview, dass die Politik sicherstellen müsse, dass „Mensch-zu-Mensch-Beziehungen“ bei zunehmender Digitalisierung erhalten bleiben. Habeck forderte in dem Interview zudem, dass man die „Gewinnmaximierung auf Kosten des Gemeinwohls“ verhindern müsse.

Auch an anderer Stelle hatte sich Habeck zu diesem Thema geäußert. Auf einer Wahlveranstaltung im Februar dieses Jahres soll es laut lokalen Medienberichten um das Überleben kleinerer Buchhändler und ihre Bedeutung für den Fiskus gegangen sein, woraufhin der Grünen-Chef die Frage stellte: „Warum zahlt Amazon keine Steuern?“ Und bezogen auf den Apothekenmarkt soll Habeck gesagt haben: „Auch der Apotheker zahlt Steuern in Deutschland und baut Rollrampen vor seine Apotheke. Warum zahlt DocMorris keine Steuern?“ Insgesamt soll sich Habeck, der Sohn eines Apothekers ist, bei der Veranstaltung darüber beschwert haben, dass die Politik derzeit „an die Großen nicht rangeht“, während die „Kleinen“ angepackt würden. Seine Forderung an die Parteikollegen daher: „Lasst uns uns mit den Großen anlegen!“

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Und auch Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster und Chef des Deutschen Städtetages, äußerte in einem Interview Bedenken, dass der Online-Handel einen zu großen, negativen Einfluss auf die Apothekenstruktur haben könnte. Wörtlich erklärte Lewe damals unter anderem: „Apotheker nehmen sich Zeit, um zu fragen, wie es einem geht. Das passiert in Online-Portalen nicht. Soziale Nähe gibt es im Netz nicht. Wir müssen aufpassen, dass sie uns nicht verloren geht.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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8 Kommentare

PharmaMall

von Dr. Arnulf Diesel am 15.10.2019 um 15:38 Uhr

Gute Idee, PharmaMall geht ja über WebShop oder MSV3, in jedem Falle Internet....Wir gierigen Apotheker sollten auch unseren fairen Anteil leisten.

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Sondersteuer

von Isa Geissler am 15.10.2019 um 12:39 Uhr

Welche Menschen würde denn überhaupt die 25-prozentige Sondersteuer äußerst schmerzhaft treffen: Das sind doch die Armen der Ärmsten, bzw. Rentner mit wenig Einkommen etc., die froh und dankbar darüber sind, dass es noch günstige Alternativen zu dem oft sehr teuren Einkaufen in den Geschäften gibt. Diese können leider keine Rücksicht auf ein evtl. Ladensterben in Städten nehmen. Aus Precht`s Sicht ist es auch nicht besonders clever, da er sich damit einen Großteil seiner Kunden, die seine m. E. überflüssigen Bücher über den Internethandel beziehen, vergrault. Das dürfte ihm allerdings egal sein , da er genügend Geld durch den Verkauf und seine wenig bedeutsamen Fernsehsendungen und Publikationen erzielt hat.

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Precht internetsteuer

von Reinhold Huber am 15.10.2019 um 9:04 Uhr

Bestelle viele Ersatzteile fur kaputte Geräte und Maschinen und repariere diese.
Im örtlichen Fachhandel lachen sie mich aus wenn ich nach Ersatzteilen frage. Die wollen nur noch Neugeräte verkaufen. An Reparaturen denkt da schon seit Jahrzehnten niemand mehr.
Herr Precht das haben sie aus dem Elfenbeinturm heraus leider ala Verkehrsmin. Scheuer Mist gebaut. Finde ihre TVSendung ansonsten richtig gut.

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25% Steuer auf Internetkäufe

von David Ende am 15.10.2019 um 7:20 Uhr

Es ist mal wieder wie üblich, einseitig betrachtet und medial gut zu verwerten. In Wirklichkeit hat sich ja auch ein Herr Precht nicht gerade tiefgreifende Gedanken zu diesem Thema gemacht sondern mal schön ein Trara rausgehauen welches nun schon von der gefühlt 1000sd ten Zeitung abgeschrieben wurde.
Ich habe viele Jahre im Einzelhandel gearbeitet . Der Einzelhandel hat sich Stück für Stück in Verbindung mit gierigen Immobilien Eigentümern selbst zerlegt . Ich konnte noch in einigen privat, qualifiziert geführten Läden arbeiten wo der Eigentümer auch noch den ein oder anderen Angestellten bezahlen konnte und die Miete moderat und nicht der höchste Kostenpunkt war. Dann habe ich mitbekommen wie die Mieten überall so exorbitant gestiegen sind das viele Kollegen aufgegeben haben weil man 20 bis 25% der Einnahmen nicht mehr aufbringen könnte. Dazu kommt daß aufgrund dieser Gier fast nur noch Filial Händler dieses bezahlen konnten deren Konzept es ist , das es oft schon ausreicht wenn die Filiale nur 500 oder 1000 Eur Gewinn abwirft je Monat. Bei 1000 Filialen ok. Bei einem Laden von dem man selbst leben muss...schwer. Und von den hier schon angesprochenen Verkehrssituationen ganz zu schweigen. Es macht einfach keine Freude mehr. Aber an allen ist natürlich der Internethandel schuld. Schon klar.

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Für wen?

von Bernd Jas am 14.10.2019 um 23:41 Uhr

Ich schätze Herrn Precht sehr als philosophischen Newcomer. Aber hier MUS ich Ihm doch die Frage stellen: Wem nutzt die zusätzliche Steuer?
Dem schon zerstörten System? Oder doch nur denen die uns die uns mit ihren Bullshitjobs ohnehin schon auf der Tasche liegen?
Es entstehen durch mehr freigesetzte Steuern doch nur noch mehr Systeme, die uns überwachen und drangsalieren. Ich denke da grade auch an unsere heillose PräQUALifizierung.
Überflüssiger geht nicht, genauso wie diese Steuer.

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Extrasteuer, eine faszinierende Idee?

von Thesing-Bleck am 14.10.2019 um 23:06 Uhr

Eine Extrasteuer auf den Internet-Handel scheint zunächst eine faszinierende Idee. Bevor man sich jedoch dafür ausspricht, sollte man zuvor einen Blick auf die vielen anderen Faktoren werfen, die auch noch dazu beitragen können, dass viele Innenstädte aussterben. Beispielhaft greife ich einen Faktor heraus, der lokal beeinflussbar bzw. veränderbar ist. In meiner Heimatstadt Aachen ist derzeit die Innenstadt nur noch mit einem Hubschrauber zu erreichen. Fast alle Zufahrtsstraßen zur City sind derzeit aufgrund von Baustellen gesperrt. In den Herbstferien sind noch weitere Verkehrseinschränkungen dazu gekommen. Die wenigen offenen Zufahrtsstraßen zur City sind zumindest in den Stoßzeiten gnadenlos überfüllt. So kommt man gar nicht mehr auf die Idee, die zusätzliche Zeit in den Ferien in der Innenstadt zu verbringen.
Als Aachener Bürgerin bieten sich mir mehrere Möglichkeiten an, mich mit den Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen. Am bequemsten ist die Internet-Bestellung. Da quält sich dann jemand anderes für mich durch das Verkehrs-Chaos und liefert mir meine Waren ins Haus! Bei Büchern geht das besonders gut.
Aber auch die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen Shopping-Mals auf der grünen Wiese haben inzwischen ein durchaus hochwertiges Angebot. Und außerdem kann ich noch in die benachbarten Kleinstädte Herzogenrath und Würselen ausweichen, ( die Heimatstädte von Lutz Engelen und Martin Schulz.) Beide Orte sind für mich relativ einfach zu erreichen und durchaus attraktiv. 
Mit diesem Beispiel möchte ich verdeutlichen, dass bevor man nach einer so einschneidenden Maßnahme ruft, wie es eine Extrasteuer ist, man zunächst einmal an den Stellschrauben drehen sollte, die vor Ort bzw. im jeweiligen Einzelfall betätigt werden können.

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Philosoph Precht:25% Steuer auf alle Internet-Bestellungen

von Dr. Michael Wedler am 14.10.2019 um 18:50 Uhr

Ich kann Herrn Precht in seiner Meinung nur bestärken. Internethandel zerstört unsere Urbanität. Der vermeintliche günstige und bequeme Einkauf durch einen Klick am Computer muss von der Allgemeinheit teuer bezahlt werden, indem der Verkehr belastet wird, die Strassen unnötig kaputtgefahren werden und unnötiger Co2-Ausstoß produziert wird. Warum stehen die Grünen hier nicht auf? Mit Fortschritt hat das sicher nichts zu tun!

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25%MwSt auf Internethandel

von Ingrid Schierle am 14.10.2019 um 18:39 Uhr

Die Forderung kommt mir irgendwie bekannt vor?. Quasi wortwörtlich meine Petition vom Dezember 18

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