Unterdosierungen

NRW-Landtag weist Petition zum Bottroper Zyto-Skandal ab

Berlin - 11.10.2019, 12:30 Uhr

Bottroper Demonstranten trugen im vergangenen Jahr Listen mit anonymisierten Namen der Patienten durch die Stadt, die aus der früheren Alten Apotheke mit Krebsmitteln versorgt worden waren. (m / Foto: hfd) 

Bottroper Demonstranten trugen im vergangenen Jahr Listen mit anonymisierten Namen der Patienten durch die Stadt, die aus der früheren Alten Apotheke mit Krebsmitteln versorgt worden waren. (m / Foto: hfd) 


Eine ehemalige Patientin des Bottroper Apothekers Peter S. hat sich wegen ihrer womöglich unterdosierten Krebsmittel an den Landtag in Düsseldorf gewandt: Sie erbittet eine Entschädigung nach dem Opferschutzgesetz – und eine Gesetzesänderung. Doch der Petitionsausschuss sieht nach seiner DAZ.online vorliegenden Stellungnahme „keinen Anlass“, der Landesregierung weitere Schritte zu empfehlen.

Heike Benedetti wurde vor fünf Jahren wegen einer Krebserkrankung behandelt – und erhielt ihre Zytostatika vom Bottroper Apotheker Peter S., den das Landgericht Essen vor gut einem Jahr zu zwölf Jahren Haft verurteilt hat. Die Richter sahen ihn wegen Arzneimittelfälschung in tausenden Fällen und Abrechnungsbetrugs schuldig, nicht aber wegen Körperverletzung oder Mordes – unter anderem, da sich nicht mehr nachweisen lässt, welche Patienten unterdosierte Krebsmittel erhalten haben. Inzwischen ist die Revision beim Bundesgeneralanwalt eingegangen, der Bundesgerichtshof wird sich wohl kommendes Jahr mit dem Fall beschäftigen.

Benedetti stellte beim zuständigen Landesverband einen Antrag auf Opferentschädigung, welcher jedoch abgelehnt wurde – weshalb sie beim Landtag in Düsseldorf eine Petition einreichte. Das Leid der eigentlichen Opfer des Skandals – der Patienten – sei bei dem Urteil des Landgerichts Essen nicht berücksichtigt, sagt sie. Peter S. habe „aus Geldgier Roulette mit dem Leben der Krebspatienten gespielt“ und so Leid und Verzweiflung verursacht, viele Patienten seien bereits verstorben. Benedetti sieht auch Schuld bei der Apothekenaufsicht – die zuständige Amtsapothekerin hatte vor Gericht erklärt, die Apotheke von S. sei über Jahre praktisch nicht kontrolliert worden. „Ermöglicht wurde das Tun des Apothekers auch durch das Versagen der Kontrollbehörden“, schreibt die frühere Krebspatientin daher. „Patientenschutz wurde kleingeschrieben.“

Kompensation nach Opferentschädigungsgesetz?

Um nach den Opferentschädigungsgesetz eine Kompensation zu erhalten, benötigt es das Vorliegen einer Gewalttat – nach dem Gesetz ist dies ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gegen eine Person, der etwa durch die vorsätzliche Beibringung von Gift erfolgen kann. Der Apotheker habe Krebspatienten die verschriebenen, vermutlich lebensrettenden oder zumindest lebensverlängernden Zytostatika vorenthalten. „Der Gesetzgeber hat diesen Fall nicht wortwörtlich in den Gesetzestext aufgenommen“, erklärte Benedetti in ihrer Petition – sie sieht eine Gewalttat durch Unterlassen. „Der reine Gesetzestext ist damit für derartige Fälle unvollständig und sollte zukünftig explizit ergänzt werden“, fordert sie vom Landtag. Bis dahin müsse es möglich sein, dass der Landesverband im Rahmen einer Auslegung des Gesetzestextes derartige Fälle auch anerkennt und nicht generell ablehnt.

Petitionsausschuss sieht „leider keine Möglichkeit“

Außerdem müsse das Vorliegen eines Beweisnotstandes geprüft werden, fordert die Patientin, die in Bottrop auch monatliche Demonstrationen organisiert hat. Dann könnten die Angaben des Gewaltopfers einer Anerkennung zugrunde gelegt werden, wenn sie zwar nicht bewiesen, aber überwiegend wahrscheinlich sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reiche „die gute Möglichkeit“ – gewisse Zweifel könnten bestehen bleiben. In ihrem Fall sei es „mehr als wahrscheinlich“, dass sie minderdosierte Infusionen erhalten habe und damit geschädigt worden sei.

Daher erbat Benedetti vom Landtag die Bewilligung ihres Antrags auf Opferentschädigung. Außerdem forderte sie vom Parlament, dass auch die Unterlassung von lebensrettenden und lebensverlängernden Therapien als Gewalttat gewertet werden können. Doch nach der DAZ.online vorliegenden Entscheidung sieht der Petitionsausschuss „leider keine Möglichkeit“, dem Anliegen Benedettis „zum Erfolg zu verhelfen“. In dem Schreiben geht der Ausschuss jedoch gar nicht auf ihre Anliegen ein, sondern erklärt lediglich, dass zukünftig jede Zyto-Apotheke jährlich unangemeldet überprüft werde – samt Probenuntersuchungen.

 Petitionsausschuss sieht keinen Anlass für weitere Maßnahmen

Außerdem habe die Landesregierung angekündigt, sich im Rahmen der Gesetzgebung beim Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) für strengere Kontrollen einzusetzen. Der Petitionsausschuss sehe „keinen Anlass“, der Landesregierung „darüber hinausgehende Maßnahmen zu empfehlen“. Auf die Frage der Opferentschädigung ging der Petitionsausschuss in seiner Stellungnahme mit keinem Wort ein.

Benedetti ist hiervon sehr enttäuscht, wie sie DAZ.online erklärt: Für sie sei dieser Antrag eine Hoffnung gewesen, da der Petitionsausschuss so etwas wie ein „Anwalt“ der Bürger sei – doch habe sie ein weitere Ablehnung erhalten. „Für mich hat ein Ministerium sich ohne Wenn und Aber hinter uns Opfer zu stellen und nicht auf das Ergebnis der Revision zu warten“, sagt sie. „Die vielen Verstorbenen hatten noch nicht einmal die Chance, das Ergebnis zu erleben, und die Hinterbliebenen hätten schon seit Jahren die Unterstützung gebraucht.“ Ganz zu schweigen von den Menschen, die inzwischen erneut erkrankt sind. „Aber nichtsdestotrotz mache ich weiter“, sagt Benedetti.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.