Valisure, FDA, EMA und Health Canada

NDMA in Ranitidin: Verunreinigt beim Hersteller oder vom Wirkstoff selbst?

Stuttgart - 07.10.2019, 17:55 Uhr

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA verweist mittlerweile auf eine Testmethode, die Hersteller zum Nachweis von NDMA in Ranitidin anwenden sollen. Diese Methode verhindere, anders als bei Valisure, den Abbau von Ranitidin während der Analyse und somit auch die NDMA-Bildung. (b/Foto: Slavko Sereda / stock.adobe.com)

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA verweist mittlerweile auf eine Testmethode, die Hersteller zum Nachweis von NDMA in Ranitidin anwenden sollen. Diese Methode verhindere, anders als bei Valisure, den Abbau von Ranitidin während der Analyse und somit auch die NDMA-Bildung. (b/Foto: Slavko Sereda / stock.adobe.com)


Dass die US-Versandapotheke Valisure, mit angeschlossenem Labor, entscheidender Hinweisgeber im Fall von mit NDMA verunreinigtem Ranitidin an die Arzneimittelbehörden war, scheint unbestritten. Allerdings kommen Valisure und die Arzneimittelbehörden zu unterschiedlichen Schlüssen, was den Grad der Verunreinigung und ihre Herkunft angeht – zumindest die FDA in den USA und die EMA in Europa scheinen zunächst eine andere Theorie zu verfolgen als Valisure. Sie gehen eher von einer herstellerabhängigen als einer dem Wirkstoff inhärenten Verunreinigung aus. Diesen Eindruck erwecken zumindest die bislang erfolgten Rückrufe.

Während in Deutschland am 17. September 2019 die ersten Ranitidin-Rückrufe herstellerbezogen erfolgten und es in den USA zunächst keine Ranitidin-Rückrufe gab, versuchte die US-Versandapotheke Valisure, mit angeschlossenem Labor, medienwirksam auf ihre Sicht der Dinge aufmerksam zu machen: Die anfänglich medial verbreitete Nachricht, dass bis zu 3 mg NDMA in US-Ranitidin-Tabletten gefunden wurden, stellte sich zwar schnell als falsch heraus – denn die 3 mg NDMA bildeten sich erst durch die Bedingungen während der Analyse. Allerdings machte Valisure daraus kein Geheimnis: Wer sich die veröffentlichten Dokumente genauer ansah, konnte das schnell herausfinden.

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA verweist mittlerweile auf eine Analysemethode, die Hersteller zum Nachweis von NDMA in Ranitidin anwenden sollen. Diese Methode verhindere den Abbau von Ranitidin während der Analyse und somit auch die NDMA-Bildung.

Trotz Kritik an der Methodik blieb Valisure aber auch auf kritische Nachfrage von DAZ.online bei seiner ursprünglichen Sicht der Dinge: Valisures Ergebnisse stützten sich auf 37 Jahre Forschung, die zeige, dass Ranitidin selbst instabil ist und NDMA bilden kann. Die wissenschaftlichen Arbeiten, auf die Valisure in seiner Bürgerinitiative an die FDA verweist, seien nur ein Bruchteil der Literatur, die Probleme mit Ranitidin untersucht habe:


Wir glauben, dass wir einfach die Ersten sind, die die Punkte verbinden – ein paar kritische Elemente hinzufügen – und zu den inhärenten Gefahren dieses Wirkstoffs Alarm schlagen.“

Ein Sprecher der US-Online-Apotheke Valisure, die den entscheidenden Hinweis auf eine NDMA-Verunreinigung in Ranitidin lieferte


Angesprochen auf die Sichtweise der Arzneimittelbehörden in Europa – dass es sich eher um eine Verunreinigung der Tabletten und weniger um ein inhärentes Problem handeln könnte – schrieb Valisure:


Es kann auch sehr gut ein 'Kontaminationsproblem' bei Ranitidin vorliegen. Allerdings sehen wir ein viel größeres Problem in der inhärenten Instabilität des Moleküls selbst und seiner Fähigkeit, im menschlichen Körper sehr hohe Mengen NDMA bilden zu können.“

Sprecher der US-Online-Apotheke Valisure


Selbst wenn es sich um eine „Kontamination“ der Tabletten handle, geht Valisure davon aus, dass sich diese erst nach der Herstellung bildet – beispielsweise während des Transports oder in einem heißen Auto.

Noch scheinen sich die Arzneimittelbehörden dieser Theorie nicht gänzlich anschließen zu wollen.

Kanada: NDMA unabhängig vom Ranitidin-Hersteller enthalten?

Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schrieb am 17. September bislang lediglich, „dass in der Europäischen Union ein Rückruf von Arzneimitteln erfolgt, die den von dem Wirkstoffhersteller Saraca Laboratories Limited hergestellten Wirkstoff Ranitidin enthalten. Es liegen Indizien vor, dass auch der Wirkstoff weiterer Wirkstoffhersteller von der Verunreinigung betroffen sein könnte“. Die kanadische Arzneimittelbehörde (Health Canada) wurde hingegen bereits etwas deutlicher: 


Aktuelle Ergebnisse deuten darauf hin, dass NDMA unabhängig vom Hersteller in Ranitidin enthalten sein kann.“ 

Health Canada, 17. September 2019 


Der Vertrieb von Ranitidin wurde in Kanada deshalb vorerst komplett eingestellt. Allerdings kommt das keinem Rückruf gleich, sodass Ranitidin, das sich bereits in den Apotheken befindet, noch verkauft werden kann. Zusätzlich sind aber auch in Kanada herstellerbezogene Rückrufe erfolgt (zunächst nur Sandoz am 17. September, am 25. September folgten vier weitere Hersteller). 

Rückrufe in den USA

Die FDA gab den ersten freiwilligen Rückruf – durch Sandoz – am 24. September bekannt. Im Rückruf von Apotex Corp. vom 25. September hieß es aber schließlich auch, dass Apotex von den Arzneimittelbehörden erfahren habe, dass einige Ranitidin-Präparate – unabhängig vom Hersteller – niedrige Mengen an NDMA enthielten. Die FDA gab den freiwilligen Rückruf durch Apotex Corp. am 26. September via Pressemitteilung bekannt. Betroffen sind Präparate von Walgreens, Walmart und Rite-Aid. Die FDA wies aber weiterhin darauf hin, dass nicht alle Ranitidin-Präparate, die in den USA vermarktet werden, betroffen seien.

Am 28. September gab dann die Apothekenkette CVS bekannt, dass sie alle Ranitidin-Präparate der Marken Zantac und CVS Health bis auf Weiteres aus dem Sortiment genommen hat. Auch diese Maßnahme erfolge vorsorglich. Zantac war ursprünglich das Originalpräparat von Glaxo SmithKline, Wirkstoffhersteller sind laut Medienberichten aber Dr. Reddy’s Laboratories Ltd. und Saraca Laboratories Ltd.. Zudem werde Zantac von GSK nicht in den USA hergestellt oder vertrieben, sondern von Sanofi. Weiteren Medienberichten zufolge sind in Indien und Hongkong mittlerweile aber auch Rückrufe durch GSK erfolgt.

Die Lage erscheint also recht unübersichtlich. Auch in Deutschland verrät ein Blick auf die bisherige Rückrufliste der AMK und ein Blick in die Lauer-Taxe, dass (noch) nicht alle Ranitidin-Präparate zurückgerufen wurden: Ranitidin von Betapharm wurde beispielsweise nur chargenbezogen zurückgerufen, bei Ranitidin von Hexal scheint die Infusionslösung nicht betroffen zu sein. Bislang gar nicht vom Rückruf betroffen scheinen die Aliud Pharma GmbH, die Axcount Generika GmbH und die Stadapharm GmbH zu sein. Zumindest die Ranitidin-Präparate in der rezeptfreien Dosierung mit 75 mg scheinen alle gänzlich nicht mehr im Handel zu sein. Zantic 75 mg ist übrigens nicht mehr im Handel, auch wenn es in der Lauer-Taxe nicht als „AV“ gekennzeichnet ist – die Zulassung ist seit geraumer Zeit erloschen, das bestätigte der Anbieter Omega Pharma auf Nachfrage.

FDA misst nicht akzeptable NDMA-Werte, EMA veröffentlicht Zeitplan zum Ranitidin-Verfahren

Das derzeit neueste Update zum Fall Ranitidin stammt von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA: In ihrem jüngsten Statement teilte diese am 2. Oktober mit, dass sie noch immer damit beschäftigt sei, Ranitidin verschiedener Hersteller zu testen und die daraus folgenden Risiken für die Patienten zu bewerten. Die NDMA-Mengen, die die FDA bis jetzt in den getesteten Ranitidin-Präparaten gefunden habe, seien allerdings nicht akzeptabel. Am 13. September hatte die FDA noch bekannt gegeben, dass die in Ranitidin gefundenen Mengen gering sein sollen.

Direkt zu den Ergebnissen von Valisure wollte sich die FDA auch auf Nachfrage von DAZ.online nicht äußern. Sie verwies nur erneut auf die von ihr empfohlene Testmethode. Man werde die durch Valisure eingereichte Initiative entsprechend prüfen. Das bedeutet, dass die FDA auch die NDMA-Bildung im Körper untersucht.

Die „In-vivo-Aspekte“

Auch die EMA teilte auf Nachfrage von DAZ.online schließlich mit, dass sie sich ebenso mit der Bildung von NDMA im Körper beschäftigt. Die Prüfung des Falls Ranitidin kann online auf den Seiten der EMA mitverfolgt werden. Dort findet sich nicht nur der Zeitplan für das Verfahren – in dem zum Dezember 2019 eine Empfehlung durch den Humanarzneimittelausschuss der EMA erwartet wird (CHMP) –, sondern auch eine Liste der Fragen, die die Unternehmen bis zum 24. Oktober beantworten sollen. Darin finden sich auch Fragen zu den „In-vivo-Aspekten“.

Der Humanarzneimittelausschuss der EMA (CHMP) hat mittlerweile (am 26. September) allgemeine Leitlinien zur Vermeidung von Nitrosamin-Verunreinigungen in Humanarzneimitteln, die chemisch synthetisierte Wirkstoffe enthalten, veröffentlicht. Es soll zudem geprüft werden, ob in Zukunft auch für nicht chemisch synthetisierte Arzneimittel entsprechende Leitlinien erstellt werden. Alle Marktzulassungsinhaber für Humanarzneimittel, die chemisch synthetisierte Wirkstoffe enthalten, müssen ihre Arzneimittel seit dem 26.09.2019 „vorsorglich“ auf das mögliche Vorhandensein von Nitrosaminen prüfen. Nach einer solchen Risikobewertung durch die Unternehmen sollen diese dann alle Produkte, die im Ergebnis als gefährdet gelten, auch analytisch testen. Die Risikobewertung soll spätestens in den nächsten sechs Monaten abgeschlossen sein. Welche Grenzwerte toleriert werden sollen, werde derzeit noch geprüft – angesichts der beträchtlichen Zahl an Wirkstoffen und Fertigarzneimitteln.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Nitrosamin-Spuren in Fertigarzneimitteln

Hexal: Weiterer Ranitidin-Rückruf

Endgültiges Aus durch Nitrosamin-Verunreinigung?

FDA zu Ranitidin: Je älter das Präparat, desto höher der NDMA-Gehalt

Keine Nitrosamin-Bildung im Magenmilieu

Ranitidin: FDA hat erhöhte NDMA-Werte veröffentlicht 

Verunreinigung mit N-Nitrosodimethylamin: EU-weiter Chargenrückruf

Nun also auch Ranitidin

3 Kommentare

Verunreinigung von Bluthochdrucktabletten

von Oliwiak am 08.10.2019 um 18:07 Uhr

In dem.Komentar wir drum rum.geredet.Welche Bluthochdrucktablette sind nun Betroffen .

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Blutdrucktabletten?

von Dr. Schweikert-Wehner am 09.10.2019 um 11:32 Uhr

Lieber Oliwiak
diese Seiten sind zwar für jeden zugänglich, richten sich aber in 1. Linie an Fachkreise und sparen sich daher die Erläuterungen. Wenden Sie sich bitte mit ihren Fragen an ihren Apotheker/ihre Apothekerin vor Ort.

ZL

von Dr Schweikert-Wehner am 08.10.2019 um 17:44 Uhr

Gibt es denn keine Untersuchungen aus unserem ZL?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.