Teil des Schwangerschaftsverhütungsprogramms

Orale Retinoide: BfArM gibt Checkliste für Apotheker heraus

Stuttgart - 09.09.2019, 15:30 Uhr

Apotheker bekommen vom BfArM eine Checkliste, die sie bei der Abgabe oraler Retinoide durchgehen sollen. (m / Foto: DragonImages / stock.adobe.com)

Apotheker bekommen vom BfArM eine Checkliste, die sie bei der Abgabe oraler Retinoide durchgehen sollen. (m / Foto: DragonImages / stock.adobe.com)


Per Rote-Hand-Brief informieren die Zulassungsinhaber am heutigen Montag über Aktualisierungen bei retinoidhaltigen Arzneimitteln hinsichtlich der Teratogenität und neuropsychiatrischer Erkrankungen. Für die oralen Wirkstoffe werden zeitgleich Schulungsmaterialien zur Verfügung gestellt, darunter eine Checkliste für Apotheker sowie Patientenkarten, die künftig allen Packungen beiliegen. In der Übergangszeit sollen Ärzte und Apotheker dafür Sorge tragen, dass jeder Patient die Karte ausgehändigt bekommt.

Auf europäischer Ebene wurden kürzlich alle relevanten Daten zu Retinoiden vom Pharmakovigilanz-Ausschuss der EMA (PRAC) überprüft. Seit vergangenem Jahr müssen Retinoide eine Warnbox tragen. Außerdem wurden die für Patienten und Fachkreise bestimmten Hinweise (Produktinformationen und Schulungsmaterialien) in Bezug auf Teratogenität und neuropsychiatrische Erkrankungen aktualisiert. Über diese Aktualisierungen informieren nun die Hersteller per Rote-Hand-Brief

So dürfen orale Retinoide aufgrund ihrer Teratogenität während der Schwangerschaft nicht eingenommen werden. Eine Ausnahme besteht nur für orales Tretinoin in der onkologischen Indikation bei klinischer Dringlichkeit. Frauen im gebärfähigen Alter müssen bei Verordnung der oralen Retinoide Acitretin, Alitretinoin und lsotretinoin das Schwangerschaftsverhütungsprogramm einhalten. Und auch topische Retinoide sind bei Schwangeren oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, kontraindiziert – als Vorsichtsmaßnahme.

Checkliste soll sicherstellen, dass Apotheker Sicherheitsanforderungen kennen und berücksichtigen

Außerdem sollen die Risiken oraler retinoidhaltiger Arzneimittel anhand des aktualisierten Schulungsmaterials mit den Patientinnen besprochen werden, bevor sie orales Acitretin, Alitretinoin oder lsotretinoin verschrieben bekommen. Doch auch die Apotheker sieht das BfArM hier in der Pflicht. So umfasst das mit dem Rote-Hand-Brief verschickte Schulungsmaterial nicht nur eine Checkliste für Ärzte, sondern auch eine für Apotheker. Mit dieser Checkliste soll sichergestellt werden, dass Apotheker, die Acitretin, Alitretinoin oder Isotretinoin abgeben, die besonderen Sicherheitsanforderungen kennen und berücksichtigen, heißt es. Sie ist als Bestandteil des Schwangerschaftsverhütungsprogramms verpflichtender Teil der Zulassung.

Demnach sollen Apotheker retinoidhaltige Arzneimittel zur oralen Anwendung mit den Wirkstoffen Acitretin, Alitretinoin oder Isotretinoin an Frauen im gebärfähigen Alter erst abgeben, nachdem sie folgende Informationen überprüft haben:

  • Die Höchstmenge je Verschreibung darf den Therapiebedarf für 30 Tage nicht übersteigen.
  • Verschreibungen sind nur bis zu sechs Tage nach dem Tag ihrer Ausstellung gültig.

Alle Patientinnen und Patienten sollten zudem angewiesen werden:

  • retinoidhaltige Arzneimittel zur oralen Anwendung niemals einer anderen Person zu geben
  • ungenutzte Kapseln am Ende der Behandlung in der Apotheke abzugeben
  • während der Therapie mit Alitretinoin oder Isotretinoin zur oralen Anwendung und bis einschließlich einen Monat nach Absetzen des Medikaments kein Blut zu spenden, da bei einer schwangeren Empfängerin ein Risiko für den Fötus bestehen würde
  • während der Therapie mit Acitretin und bis einschließlich drei Jahre nach Absetzen des Medikaments kein Blut zu spenden, da bei einer schwangeren Empfängerin ein Risiko für den Fötus bestehen würde

Apotheker sollen Ausgabe der Patientenkarte sicherstellen

Außerdem sollen Ärzte und Apotheker sicherstellen, dass, solange bis alle Packungen die vorgeschriebenen Patientenkarten enthalten, jeder Patient die Karte ausgehändigt bekommt. Fünf Exemplare (pro Wirkstoff) liegen dem Rote-Hand-Brief bei. Weitere können direkt beim Zulassungsinhaber in gedruckter Form angefordert oder von der Firmen-Homepage heruntergeladen werden. Nach Verpackungsumstellung kann das Schulungsmaterial für Patienten auch direkt über den QR-Code in der Gebrauchsinformation abgerufen werden.

RetinoidhaltigArzneimittel 

Retinoidhaltige Arzneimittel werden oral und topisch eingesetzt. Sie kommen zur Behandlung von verschiedenen Formen der Akne, von schweren chronischen Handekzemen, die nicht auf Glucocorticoide ansprechen, sowie von schweren Formen der Psoriasis oder Verhornungsstörungen zur Anwendung. Orales Tretinoin kann auch bei Promyelozytischer Leukämie angewendet werden.

Hier geht es zu den Patientenkarten zu 

Möglicher Zusammenhang mit neuropsychiatrischen Erkrankungen

Neben der Teratogenität geht es in dem Rote-Hand-Brief um neuropsychiatrische Erkrankungen. So sei in seltenen Fällen über Depressionen oder über durch Depressionen verstärkte Angststörungen und über Stimmungsschwankungen unter der Einnahme oraler Retinoide berichtet worden, heißt es. Patienten, die orale Retinoide einnehmen, sollen deshalb darüber informiert werden, dass sie Veränderungen ihrer Stimmung und/oder des eigenen Verhaltens entwickeln könnten und sollen, ebenso wie ihre Angehörigen, diesbezüglich aufmerksam sein. Bei Auftreten derartiger Veränderungen sind sie angehalten, mit dem behandelnden Arzt zu sprechen.

Darüber hinaus sind alle mit oralen Retinoiden behandelten Patienten bezüglich etwaiger Anzeichen oder Symptome von Depressionen zu überwachen und gegebenenfalls zu behandeln. Zu besonderer Aufmerksamkeit ist bei Patienten geraten, die in der Vergangenheit bereits unter Depressionen litten.

Ganz eindeutig bewiesen ist der Zusammenhang zwischen Einnahme von Retinoiden und psychiatrischen Erkrankungen nicht. Die vorhandene Evidenz aus publizierter Literatur und Einzelfallberichten zeige widersprüchliche Ergebnisse, heißt es. Veröffentlichte Studien wiesen eine Reihe von Einschränkungen auf, daher sei es nicht möglich gewesen, einen eindeutigen Anstieg des Risikos für psychiatrische Erkrankungen bei Patienten unter oraler Retinoidbehandlung im Vergleich zu nicht damit behandelten Personen nachzuweisen. Zudem sei bekannt, dass Patienten mit schweren Hauterkrankungen an sich ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Erkrankungen haben.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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