FDA-Zulassung

Pretomanid bei hochresistenter Tuberkulose

Stuttgart - 20.08.2019, 13:45 Uhr

Indien zählt mit China und Russland zu den Ländern mit den höchsten Resistenzraten bei Tuberkulose. Mit Pretomanid kommt nach FDA-Zulassung nun eine neue Behandlungsoption für erwachsene Patienten mit extrem resistenter Tuberkulose. (Foto: picture alliance / Miro May)

Indien zählt mit China und Russland zu den Ländern mit den höchsten Resistenzraten bei Tuberkulose. Mit Pretomanid kommt nach FDA-Zulassung nun eine neue Behandlungsoption für erwachsene Patienten mit extrem resistenter Tuberkulose. (Foto: picture alliance / Miro May)


Die FDA hat Pretomanid zur Behandlung hochresistenter Tuberkulose zugelassen, es ist seit über 50 Jahren erst das dritte neue Antituberkulosemittel, das die Zulassung erhält. Die Kombination mit Bedaquilin und Linezolid soll die Behandlungsdauer bei extrem resistenter TB (XDR-TB) verkürzen und die Heilungsrate erhöhen. Zulassungsinhaber ist die TB Alliance – eine nicht-profitorientierte Produktentwicklungspartnerschaft.

„Multiresistente (MDR-TB) und hochresistente/extrem resistente Tuberkulose (XDR-TB) stellen aufgrund begrenzter Therapieoptionen eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar“, erklärt die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA anlässlich der von ihr erteilten Zulassung des Antituberkulosemittels Pretomanid. Aus diesem Grund seien neue Behandlungsmöglichkeiten wichtig. Eine solche Option soll nun die Kombination Pretomanid, Bedaquilin und Linezolid bringen. Auch bei der EMA liegt bereits ein Zulassungsantrag für Pretomanid vor.

MDR-TB und XDR-TB

Nach Definition der WHO liegt eine multiresistente Tuberkulose (MDR-TB) dann vor, wenn die Mycobacterium-tuberculosis-Erreger auf die beiden wirksamsten Antituberkulosemittel, Isoniazid und Rifampicin, nicht ansprechen. Bei der extrem resistenten Tuberkulose, XDR-TB (extensively drug-resistant TB), liegt eine Spezialform der multiresistenten Tuberkulose vor. Eine XDR-TB ist noch schwieriger zu behandeln als eine MDR-TB, da neben einem Nichtansprechen auf Isoniazid und Rifampicin noch zusätzliche Resistenzen – gegen Fluorchinolone (Levofloxacin oder Moxifloxacin) und mindestens eine parenterale Antibiose mit Amikacin oder Capreomycin oder Kanamycin (alle Second-Line-Antibiotika) – vorliegen.

Laut der WHO wurden aus 117 Ländern weltweit bislang Fälle von XDR-TB gemeldet. Die Heilungsraten für eine nicht-resistente TB liegen laut der TB Alliance bei 83 Prozent, bei einer MDR-TB bei 54 Prozent und bei einer XDR-TB bei 30 Prozent.

Neue Option bei extrem resistenter Tuberkulose

Die FDA erteilte Pretomanid am 14. August 2019 die Zulassung. Pretomanid soll in einem rein oralen Regime in Kombination mit Bedaquilin und Linezolid bei Erwachsenen zur Behandlung extrem resistenter Tuberkulose oder bei Unverträglichkeit der Tuberkulosebehandlung oder bei Nichtansprechen der Therapie bei multiresistenter Lungentuberkulose zum Einsatz kommen. Das Behandlungsregime sieht folgende Dosierungen und Einnahmedauern vor:

  • Pretomanid 200 mg einmal täglich oral für 26 Wochen
  • Bedaquilin 400 mg einmal täglich oral für zwei Wochen, dann 200 mg oral dreimal pro Woche für 24 Wochen (Abstand zwischen den Dosen mindestens 48 Stunden)
  • Linezolid 1200 mg täglich oral für 26 Wochen mit Dosisanpassungen bei bekannter Linezolid-Toxizität.

„Dank des neuen Behandlungsregimes könnte die Therapie extrem resistenter Formen von TB mit sechs bis neun Monaten deutlich kürzer und erfolgreicher werden“, erklärt Médecins Sans Frontières (MSF). Laut MSF liegt aktuell die Heilungsrate bei XDR-B bei lediglich 34 Prozent. Zum Vergleich: In Studien zeigte die Tripeltherapie aus Pretomanid, Bedaquilin und Linezolid Heilungsraten von 89 Prozent.

89 Prozent Heilungsrate bei extrem resistenter Tuberkulose

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Pretomanid – oral in Kombination mit Bedaquilin und Linezolid – wurde in einer Studie an 109 Patienten gezeigt, die entweder an hochresistenter Tuberkulose litten oder bei denen die Therapie ihrer multiresistenten Lungentuberkulose versagt hatte oder die ihre Tuberkulosebehandlung nicht vertrugen. Nach Angaben der FDA wurde der Therapieerfolg von 107 Patienten nach sechs Monaten Behandlung ausgewertet: 95 Patienten sprachen auf das antibiotische Tripel an, die Heilungsrate (klinischen Infektion behoben und Sputumkulturen TB negativ nach sechs Monaten Behandlung und sechs Monaten Nachbeobachtung) lag bei 89 Prozent, was die FDA als „historischen Erfolg“ einstuft.

Bis zum Ende des Jahres soll Pretomanid in den USA verfügbar sein. Zusätzlich hat TB Alliance, der Zulassungsinhaber, Pretomanid beziehungsweise das Behandlungsregime (BPaL) zur Prüfung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA eingereicht und die Daten auch an die Weltgesundheitsorganisation geschickt. Die WHO soll prüfen, ob Pretomanid in die Behandlungsrichtlinien für hochresistente TB aufgenommen wird.

TB Alliance

Die TB Alliance (The Global Alliance for TB Drug Development) ist eine Not-for-Profit Organisation mit dem Ziel, zügig wirksamere und finanzierbare Therapieregime zu entwickeln, um Tuberkulose zu bekämpfen. Neben der Erforschung neuer Wirkstoffe will TB Alliance den Zugang zu einer schnelleren und besseren Tuberkuloseheilung sichern. Als nicht-profitorientierte Produktentwicklungspartnerschaft arbeitet die TB-Alliance global mit privaten und öffentlichen Akteuren – unter anderem fördern die FDA, die WHO, die Europäische Kommission, die Bill & Melinda Gates-Stiftung und einige Pharmaunternehmen – die TB Alliance. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt sich.

Die Zulassung von Bedaquilin (2012 USA, 2014 Deutschland) geht ebenfalls auf Anstrengungen der TB Alliance zurück.

Woher stammt der Name „Pretomanid“?

In „Pretomanid“ steckt Pretoria (Südafrika), dort wurde Pretomanid hauptsächlich erforscht.

Wie wirkt Pretomanid?

Pretomanid hemmt die Zellwandbiosynthese von Mycobacterium tuberculosis, indem es mit der Mykolsäuresynthese (Blockade der Oxidation von
Hydroxymycolat zu Ketomycolat) interferiert. Mykolsäuren sind als wachsartige Kompenenten neben anderen lipophilen Zellwandbestandteilen für die Säurefestigkeit der Tuberkuloseerreger verantwortlich. Unter anaeroben Bedingungen kommt es zudem durch Freisetzung reaktiver Stickstoffspezies aus Pretomaid zur „respiratorischen Intoxikation“ des Mykobakteriums.

Pretomanid ist chemisch betrachtet ein Nitroimidazooxazine. Der Wirkstoff wurde erstmals in einer Reihe von 100 Nitroimidazopyranderivaten identifiziert, die synthetisiert und auf ihre antituberkuläre Aktivität getestet wurden. Pretomanid wirkte hier wohl zwar nicht am effektivsten gegen Mycobacterium tuberculosis, aber es war an Mäusen die aktivste Substanz nach oraler Verabreichung.

Nebenwirkungen von Pretomanid und Cave mit Rifampicin!

Zu den häufigsten Nebenwirkungen der Tripel-Tuberkulosetherapie mit Pretomanid, Bedaquilin und Linezolid zählten periphere Neuropathien, Akne, Anämie, Übelkeit und Erbrechen, erhöhte Leberenzyme (Transaminase und Gamma-Glutamyltransferase), Kopfschmerzen und Diarrhö.

Zudem warnt die FDA im „Briefing Document“ zur Sitzung des Beratungsgremiums für antimikrobielle Arzneimittel (AMDAC) vor einer Kombination von Pretomanid mit dem CYP-Induktor Rifampicin, da die Bioverfügabrkeit und maximalen Plasmaspiegel von Pretomanid durch starke CYP3A4-Induktoren „signifikant“ beeinflusst würden.

Herausforderung: neue Tuberkulose-Antibiotika

Tuberkulose ist eine weltweit auftretende Infektionskrankheit. 2017 erkrankten zehn Millionen Menschen (davon schätzungsweise eine Million Kinder) an aktiver Tuberkulose, 1,6 Millionen Menschen (davon 230.000 Kinder) verstarben daran. Nach Informationen der WHO zählt Tuberkulose zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit.

Hochresistente Tuberkulose sowie multiresistente Tuberkulose sind aufgrund begrenzter Therapieoptionen besondere Herausforderungen und schwer zu behandeln. Die Weltgesundheits-Organisation WHO schätzt, dass es 2017 weltweit 558.000 neue Fälle multiresistenter Tuberkulose/Rifampicin-resistenter TB gab, davon waren 8,5 Prozent sogar extrem resistent. Zu den Ländern mit den höchsten Resistenzquoten zählen laut WHO China, Indien, Russland: Fast die Hälfte aller weltweit berichteten multiresistenten TB-Fälle wurden dort berichtet.

Schnelle Forschung und Zulassung

Die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen Tuberkulose ist eine Herausforderung. Innerhalb von über 50 Jahren gelang Pretomanid als drittem neuen Wirkstoff – nach Bedaquilin und Delamanid – die Zulassung bei TB. Pretomanid wurde Priority Review gewährt und als Orphan Drug und nach dem LPAD-Weg zugelassen – dem Limited Population Pathway for Antibacterial and Antifungal Drugs. Dieser Pfad wurde vom Kongress im Rahmen des 21st Century Cures Act eingerichtet, um die Entwicklung und Zulassung von antibakteriellen und antimykotischen Medikamenten zur Behandlung schwerer oder lebensbedrohlicher Infektionen voranzutreiben, für die es keine wirksamen Therapien gibt, um Patienten mit unerfüllten medizinischen Bedürfnissen zu helfen. Pretomanid ist das zweite Arzneimittel, das über den LPAD-Weg zugelassen wurde. Im September 2018 ließ die FDA  Amikacin als liposomale inhalierbare Suspension (Arikayce, Insmed) zur Behandlung von Lungenerkrankungen, verursacht durch Bakterien aus der Gruppe des Mycobakterien-avium-Komplexes (MAC), zu, und zwar für eine limitierte Patientengruppe, die auf eine konventionelle Therapie nicht anspricht.

Die Zulassung im Rahmen des LPAD-Pfades kann beispielsweise durch ein optimiertes klinisches Entwicklungsprogramm – mit kleineren, kürzeren oder weniger klinischen Studien – unterstützt werden. LPAD-Zulassungen verlangen eine spezielle Kennzeichnung des Arzneimittels. Diese weist darauf hin, dass das Arzneimittel sicher und wirksam ist, aber nur bei einem eingeschränkten Patientenkollektiv eingesetzt werden darf.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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