Interview Klaus Michels (AVWL)

„Es gibt mildere Mittel als das Rx-Versandverbot“

Berlin - 09.08.2019, 17:45 Uhr

Dr. Klaus Michels geht hart ins Gericht mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz. Er fordert die Beibehaltung des Rx-Boni-Verbots im Arzneimittelgesetz und das Rx-Versandverbot als ultima ratio. (Foto: AVWL)

Dr. Klaus Michels geht hart ins Gericht mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz. Er fordert die Beibehaltung des Rx-Boni-Verbots im Arzneimittelgesetz und das Rx-Versandverbot als ultima ratio. (Foto: AVWL)


Michels: Bühler-Petition trotzdem unterstützen

DAZ.online: Das Verbot scheint aus Ihrer Sicht also nach wie vor eine sinnvolle Option zu sein. Warum unterstützen Sie dann nicht öffentlich die Petition des Pharmaziestudenten Benedikt Bühler?

Dr. Michels: Ich halte das Verbot zum jetzigen Zeitpunkt für den nur zweitbesten Weg, denn es gibt ein „milderes Mittel“, um das zu erreichen, worum es hier alleinig geht: die Wiederherstellung der Gleichpreisigkeit. Der Begriff des „Verbotes“ ist zudem negativ konnotiert und spielt all denen in die Hände, die das berechtigte Anliegen der Preisbindung desavouieren wollen. Aber die Petition ist trotzdem zu unterstützten, weil ihr Scheitern dahingehend missinterpretiert werden würde, das Stimmungsbild in der Apothekerschaft sei gekippt und man stelle sich nun voll und ganz hinter den Kabinettsentwurf, habe sich mit diesem zumindest aber abgefunden. Das darf nicht passieren.

DAZ.online: Was wäre denn das „mildere Mittel“?

Dr. Michels: Eine erneute Vorlage durch ein deutsches Gericht an den EuGH mit dem Ziel, gestützt auf ergänzenden, diesmal vor allen Dingen vollständigen Tatsachenvortrag, einer Revidierung des Urteils, um damit eine Rückkehr zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH vom 19. Oktober 2016 zu erreichen, sprich die Geltung des § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG wiederherzustellen.

Zur Person

Seit Ende 1988 ist Michels Inhaber der Rats-Apotheke in Salzkotten. Ende 1991 wird er erstmals als Beisitzer zum Mitglied des AVWL-Vorstandes gewählt. Die Beziehungen zu den Krankenkassen mit all ihren vertraglichen Verästelungen wird sein berufspolitisches Aufgabenfeld. Ende 1994 wird er in den entsprechenden Arbeitskreis des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) entsandt. Mit seiner Wahl zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Apothekerverbandes Ende 1999 übernimmt Dr. Michels die Verantwortung für die Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen und sonstigen Kostenträgern in Westfalen-Lippe. 2007 erreicht er mit seiner Wahl zum Vorstandsvorsitzenden des AVWL schließlich die höchste Plattform der landesweiten Berufspolitik. Es dauert nicht lange, bis der DAV auf ihn aufmerksam wird und ihn in die Arbeitsgruppe Hilfsmittel beruft, die den Vertragsausschuss des DAV berät und bei Verhandlungen unterstützt. Er gehört dem Vorstand des DAV sowie dem Gesamtvorstand der ABDA nunmehr seit über 11 Jahren an. Seit 2016 ist er auch Vorsitzender der Verhandlungskommission des Deutschen Apothekerverbands. In dieser Funktion war Michels beispielsweise zuletzt an den Verhandlungen zum neuen Rahmenvertrag beteiligt.

DAZ.online: Besitzt denn eine solche erneute Vorlage an den EuGH überhaupt realistische Aussichten?

Dr. Michels: Es ist nicht so, dass es nur die Möglichkeit zwischen einem Versandhandelsverbot und dem Kabinettsentwurf aus dem Hause Spahn gibt. Eine solche Schwarz-Weiß-Malerei, wie sie auch der bereits erwähnte Brief des ABDA-Präsidenten beinhaltet, bringt uns weder weiter noch scheint sie mir mit Blick auf den Auftrag politischer Standesvertretung zielführend. Was eine erneute Vorlage an den EuGH anbelangt, so halte ich eine solche für alles andere als aussichtslos: Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2016 mehrfach die Lückenhaftigkeit des Tatsachenvortrages bemängelt. Das Fehlen entsprechender Feststellungen kann in einem erneuten Verfahren jedoch ohne weiteres nachgeholt werden, wie der BGH seitdem in mehreren Entscheidungen betont hat. Zudem hat der BGH in ungewöhnlich deutlicher Weise angemerkt, dass bezogen auf die Regelung der Preisbindung im AMG von einer nationalstaatlichen Gesetzgebungskompetenz auszugehen und diese seitens der EU auch zu wahren ist. Die Ausführungen des BGH lassen erkennen, dass er durchaus große Sympathien für ein erneutes Vorabentscheidungsverfahren hätte. Und selbst das Bundesverfassungsgericht hat im Nachgang zum EuGH und unter anderem in Auseinandersetzung mit der Begründung der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens anklingen lassen, dass es die bisherige höchstrichterliche deutsche Rechtsprechung zur Arzneimittelpreisbindung keineswegs für europarechtswidrig hält. Hinzu kommen neue rechtliche Aspekte wie etwa die Notwendigkeit eines „europarechtlichen Abgleichs“ zwischen den Rechtsfolgen des harmonisierten Heilmittelwerberechts und den Regeln des Arzneimittelpreisrechts. Diese Aspekte wären über eine entsprechende Formulierung der sogenannten Vorlagefrage in ein neues Verfahren einzubinden. Im Vorfeld der Entscheidung vom 19. Oktober 2016 wurde zudem versäumt, die Bedeutung der Gleichpreisigkeit für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auch politisch zu untermauern. 

DAZ.online: Was meinen Sie genau? Welche größere politische Bedeutung hat die Gleichpreisigkeit im Gesundheitssystem?

Dr. Michels: Von Rabattverträgen über die Patientenzuzahlung bis hin zur Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte spielt der einheitliche Abgabepreis eine Rolle. Er ist ein zentraler Baustein im SGB V – aber eben auch darüber hinaus. Insgesamt bin ich mit Blick auf ein eventuelles neues EuGH-Verfahren also durchaus optimistisch, zumal meines Wissens zwei vor Oberlandesgerichten anhängige Verfahren „zur Verfügung stünden“, um zeitnah ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen erreichen zu können. Meine Einschätzung teile ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand ebenso wie mit den Spitzen der anderen drei NRW-Berufsorganisationen. Unsere Auffassung wird zudem durch ein Rechtsgutachten bestätigt. Weitere Experten vertreten die Position so oder so ähnlich. Fakt ist, dass das BMG mit dem VOASG gegenüber der EU-Kommission den argumentativ deutlich steinigeren Weg gewählt hat.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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10 Kommentare

Er kam in weiß und er kam leider zu spät !

von Ulrich Ströh am 10.08.2019 um 9:49 Uhr

Kollege Michels hat alles treffend analysiert.

Aber es bleibt, wie es ist:
Apotheker*innen sind Weltmeister in der Analyse.

Nur in der Umsetzung dieser Ideen hapert es massiv !

Herr Michels: Was setzen Sie auf der nächsten ABDA-Mitgliederversammlung in Berlin davon um ?

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Er kam in weiß und er kam leider zu spät !

von Ulrich Ströh am 10.08.2019 um 10:16 Uhr

Oder können Sie die Diskussion darüber schon auf dem nächsten Apothekertag im September in Düsseldorf anstoßen?

AW: Er kam in weiß und er kam leider zu sp

von Anita Peter am 10.08.2019 um 10:48 Uhr

Die Streichung der PB in der AMPreisV ist durch. Der Systembruch kommt. Das ist der Plan von Spahn. Abgesegnet von der ABDA.
Ein RXVV wäre rechtssicher ( sagt sogar der wissenschaftliche Dienst des Bundestages ). Das ist nur nicht kompatibel mit dem gewünschten Systemwechsel.
5-10 TSD vor Ort Apos reichen Spahn. Den Rest übernimmt dankend sein Freund Max.

Jawoll !!

von Uwe Hansmann am 10.08.2019 um 9:43 Uhr

Als langjähriger Mitstreiter von Klaus Michels in der berufspolitischen "Berliner Welt" kann ich ihm an dieser Stelle nur "DANKE" sagen.
Lieber Klaus, diese schonungslose Analyse an prominenter Stelle war mehr als überfällig!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Milderer Mittelweg oder Stillstand durch Stau?

von Christian Timme am 10.08.2019 um 3:09 Uhr

Fundierte Darstellung, Analyse, Bewertung und das Aufzeigen von Lösungswegen ... dieses Interview zeigt ... er gibt noch Personen mit Potential in der Apothekerschaft. Ein Standortwechsel von Herrn Dr. Michels nach Berlin ... könnte den „aktuellen Murks-Stau“ und diese „Sommerloch-Ausflüge“ beenden ... und neue Wege ebnen ...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Hut ab!

von Pillendreherin_1978 am 09.08.2019 um 21:15 Uhr

Entgegen der beiden vorherigen Kommentare möchte ich sagen: Chapeau!

Endlich mal jemand, der das „Big Picture“ liefert und die gesamte berufspolitische Situation pointiert darlegt!

Wer hier schreibt, hier wolle jemand die Karriereleiter heraufklettern (???!!!!), der hat wohl offensichtlich nicht(!) verstanden, dass die berufspolitische Spitze hier nicht ganz ohne „Affront“ davonkommt – ganz im Gegenteil:
Zu behaupten, die Aussagen der ABDA-Spitze seien widersprüchlich, befördert den Verfasser wohl wahrscheinlich eher weniger …

Endlich wird unsere brisante Situation mal von allen Seiten beleuchtet und nicht nur irgendein Statement herausposaunt oder eine kleine Malaise erwähnt.

Wir müssen diese große Kalamität (= Störung der planmäßigen Bewirtschaftung) endlich erkennen und beenden!
Wir können nur hoffen, dass diese Stellungnahme durch den Kreis der Interessierten und durch Öffentlichkeitsarbeit bis zu den Entscheidern vordringt und dort endlich gesehen wird, dass es sich in dieser Hinsicht tatsächlich um eine „Systemfrage“ handelt!
… Nicht um eine Einschränkung freien "Waren"verkehrs, nicht um willkommene Einsparungen irgendwelcher Systeme...

- „Strukturen zerschlagen, um kurzfristige Vorteile zu erlangen?“
- „Die Gleichpreisigkeit sichert eine gerechte, solidarische und durch die medizinische Notwendigkeit bestimmte Arzneimittelversorgung. Sie ist als solches Teil unseres zu recht allseits anerkannten Gesundheitssystems.“
- „… die Bedeutung der Gleichpreisigkeit für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems“
- „… von Rabattverträgen über die Patientenzuzahlung bis hin zur Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte spielt der einheitliche Abgabepreis eine Rolle. Er ist ein zentraler Baustein im SGB V“
- „Gewährleistung eines flächendeckenden Versorgungsnetzes“
- „Nicht medizinische Notwendigkeit bestimmt dann die Versorgung, sondern der Preiswettbewerb, angefeuert durch Marktphänomene

Ja! Genau das trifft des Pudels Kern!

Würde bedeuten:
Preiskampf nach oben,
Ausnutzen von Defekten,
vorgelagerte Preisschlachten,
Zustände wie auf dem Basar,
die radikale Zerstörung des freien Berufes!

Und all das unser höchstes Gut betreffend?!
Na, dann „Gute Nacht, Marie“!

Dieser Beitrag hat es tatsächlich noch einmal (oder sogar erstmals?!?) auf den Punkt gebracht, für all diejenigen, bei denen der Groschen (immer noch) nicht gefallen ist:

"Die Systemfrage(!!!!) ist gestellt!!“:

Löscht den Flächenbrand!

Dies mit dem „milderen“ Mittel voranzutreiben?
Gar nicht so dumm!

Ergo: Wiederherstellung der Geltung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG! - Und zwar für alle, Herr Spahn: GKV- und Privatversicherte!

Den Versandhandel in Gänze zu verbieten, ist tatsächlich gar nicht zwingend notwendig, aber Arzneimittelversorgung (Arzneimittel ungleich „Ware“, liebe EU) bitte schön zu gleichen Voraussetzungen!

Dem gegenüber können wir uns wohl behaupten! (Stichwort: Notdienst, persönlicher Händedruck, Rezepturen, BtM etc.)

– Stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel und bejammert uns nicht ständig selbst, diese Larmoyanz hält ja niemand aus…

Dieser Beitrag ist ein guter Aufhänger! Danke!

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Hut ab

von Anita Peter am 10.08.2019 um 5:45 Uhr

Der Systemwechsel hat mit Spahn schon längst begonnen, und die ABDA hat ihn akzeptiert. Kampflos.

AW: Hut ab

von Roland Mückschel am 10.08.2019 um 11:04 Uhr

In wessen Auftrag schreiben Sie, LAV-Helau?
Sogar Herr Timme, den ich sonst oft nicht verstehe,
ist genau dieser Meinung.
Jedes Mal wenn ich von Herrn Michels lese hat er
eine um ein paar Grad gedrehte Meinung. Bald dürfte
er die Runde geschafft haben.

Milde Mittel

von Roland Mückschel am 09.08.2019 um 17:53 Uhr

Wissen Sie überhaupt was Sie genau wollen?
Also ohne die Karriereleiter nach oben?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Milde Mittel

von Landapotheker am 09.08.2019 um 18:35 Uhr

Ich will ja keinem Unrecht tun, aber ich sehe es auch so das sich jemand in Stellung bringt ;-).

soweit ich informiert bin , lässt die Politik seit Jahren die Anfragen der deutschen Gerichte zur Wiedervorlage verhungern = Politik will ums Verecken kein RxVV (jedenfalls mehrheitlich nicht).

Dazu kommt das fast alle Juristen vor dem EUGH-Urteil tiefenentspannt waren und nun Gutachten schreiben in denen Sie 100% sicher sind.

Frag zu SGBV 3 Juristen und du bekommst 4 Meinungen.
Beklagt wird sowieso jede Regelung. entweder von den Auslandsversendern oder den Inlandsversendern.

verhandelbar/ nicht verhandelbar lol

Spahn sagt ic h will 51 % an der Gematik und fertig.
Der kann usn zuhören und das macht er. Er kann in vielen Punkten auf uns zugehen, das macht er auch,
Aber er sieht wie viele Juristen ein RxVV 15 Jahre nach der Versandfreigabe nicht juristisch haltbar.

Auch der Paragraph im AMG hat keinerlei Mehrheit mehr in der Politik.

Das kann man bedauern, das finden alle auch richtig Scheisse. Aber aufs Scheitern zu hoffen und unter grün/rot/gelb oder grün/Schwarz etwas besseres zu erwarten ......mutiger Ansatz .
Was unter einem vernünftigen Minister nicht klappt und mit Spahn unmöglich ist, soll dann besser vorm EUGH vertreten werden ?!?!

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