Arzneimittelentwicklung

Alzheimer-Forschung: Was ist in der Pipeline?

Remagen - 09.08.2019, 10:15 Uhr

Bislang gibt es gegen Alzheimer keine Therapie. Wie der vfa mitteilt, erproben aber allein zwölf seiner Mitgliedsunternehmen neue Mittel in verschiedenen Studien, viele darunter bereits in der entscheidenden Phase III. (Foto: Katsiaryna/stock.adobe.com)                                          

Bislang gibt es gegen Alzheimer keine Therapie. Wie der vfa mitteilt, erproben aber allein zwölf seiner Mitgliedsunternehmen neue Mittel in verschiedenen Studien, viele darunter bereits in der entscheidenden Phase III. (Foto: Katsiaryna/stock.adobe.com)                                          


Die Entwicklung neuer Alzheimer-Medikamente ist nicht gerade eine Erfolgsgeschichte, aber die forschenden Pharmaunternehmen bleiben dran. Wie der vfa mitteilt, erproben allein zwölf seiner Mitgliedsunternehmen neue Mittel in verschiedenen Studien, viele darunter bereits in der entscheidenden Phase III.

Im Jahr 2014 kam eine Erhebung zur Erforschung von Medikamenten gegen die Alzheimer-Erkrankung zu einem ernüchternden Ergebnis: Aus den von 2002 bis 2012 in klinischen Studien erprobten medikamentösen Ansätzen wurde eine Misserfolgsquote von 99,6 Prozent ermittelt. (J L Cummings et al.: Alzheimer’s disease drug-development pipeline: few candidates, frequent failures. Alzheimer's Research & Therapy 2014, 6:37). Nach Einschätzung des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) hat sich das in den letzten Jahren nicht gebessert.  

15 Medikamente in Phase III

Trotzdem geben die Firmen nicht auf, wie eine jetzt vorgelegte vfa-Bilanz erkennen lässt. Danach haben aktuell 15 Medikamente zur Verlangsamung oder Prävention der Demenzprogression (davon 14 mit neuen Wirkstoffen) das letzte Stadium der klinischen Erprobung (Phase III) erreicht, neben vier Arzneimitteln gegen psychische Begleitsymptome der Krankheit. Wenn sie sich in den Studien bewähren, könnten sie in einigen Jahren die Hürde der Zulassung nehmen, so die Prognose des Verbandes. Hinzu kommen zahlreiche Arzneimittel in den Phasen II und I der klinischen Erprobung.

Die Haupt-Angriffspunkte

Die Wirkstoff-Kandidaten greifen an verschiedenen Stellen in den Krankheitsprozess ein. Während monoklonale Antikörper  mit Angriffspunkt am Beta-Amyloid eine „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ auslösen sollen, sorgen therapeutische Aktivimpfstoffe dafür, dass im Körper des Patienten selbst Antikörper gebildet werden, die sich an die Beta-Amyloid-Plaques heften und so deren Abbau einleiten sollen. 
Beta-Sekretase-Inhibitoren sollen die Neubildung von Beta-Amyloid verhindern.  
Ein anderer Angriffspunkt sind die Tau-Fibrillen, Proteinstränge, die sich bei Alzheimer in den Nervenzellen bilden und die für die Gehirndegeneration verantwortlich gemacht werden. Als weitere Ansatzpunkte für die Alzheimer-Therapie führt der vfa bestimmte Kinasen sowie den Energiestoffwechsel der Nervenzellen an.

Neuentwicklungen und ihre Mechanismen

Die Alzheimer-Medikamente, die bereits die letzte Erprobungsphase (die Phase III) mit Patienten oder Personen mit einem hohen Alzheimer-Risiko erreicht haben, hat der Verband in einer Übersicht zusammengefasst (Stand: 15.07.2019):

Wirkstoff 

(Unternehmen)

Wirkungsweise

Solanezumab

(Lilly Pharma)

hemmt die Bildung von Plaques durch Bindung an lösliches Beta-Amyloid

Gantenerumab

(Roche/Morphosys)

fördert den Abbau von Plaques

Elenbecestat (E2609)

(Eisai/Biogen)

hemmt die Beta-Sekretase (BACE1) und damit die Bildung von Plaques

Amilomotid (CAD-106)

(Cytos Biotechnology/Novartis)

therapeutischer Impfstoff gegen Beta-Amyloid-Plaques

Natrium-Cromolyn + Ibuprofen

(AZTherapies)

hemmt die Polymerisierung von Beta-Amyloid-Peptiden zu Plaques

Masitinib

(AB Science)

hemmt bestimmte Kinasen

Leuko-Methylthioninium

(TauRx Pharmaceuticals)

hemmt die Aggregation von Tau-Fibrillen

Caprylat-Triglycerid (Tricaprilin)

(Cerecin)

fördert die Energieversorgung der Nervenzellen

SK-PC-B70M (aus der Pflanze Pulsatilla koreana)

(SK Holdings)

Keine Angabe

Azeliragon

(vTv Therapeutics)

wirkt als Antagonist am Rezeptor RAGE

Humanalbumin

(Grifols)

entzieht dem Gehirn lösliches Beta-Amyloid; dazu wird wiederkehrend ein Teil des Blutplasmas durch Humanalbumin-Lösung (bereits zugelassen zur Behandlung von Blutverlust) ersetzt

Nilvadipin

(Archer Pharmaceuticals)

entfernt Beta-Amyloid (bereits zugelassen als Kalziumkanal-Antagonist gegen Bluthochdruck)

Trigliluzol

(Biohaven Pharmaceuticals)

Antagonist von Glutamat und bestimmten Dopaminrezeptoren und Natriumkanälen

BAN-2401 (humanisierter IgG1-Antikörper)

(BioArctic Neuroscience/Eisai/Biogen)

richtet sich gegen lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen

COR-388

(Cortexyme)

 
richtet sich gegen das Bakterium Porphyromonas gingivalis, das toxische Virulenzfaktorproteasen (Gingipains) sekretiert und in den Gehirnen von mehr als 90 Prozent der Alzheimer-Patienten gefunden wurde
Levetiracetam (AGB-101) (AgeneBio)   Acetylcholinrezeptor-Agonist, verlangsamt das Fortschreiten der kognitiven und funktionellen Einschränkung
Octohydroaminoacridinsuccinat (Changchun Huayang High-tech) Acetylcholinesterase-Hemmer

Avanex-2-73

(Avanex Life Sciences)

 
Agonist und Antagonist des muskarinischen Acetylcholinrezeptors 2, Antagonist des muskarinischen Heterorezeptors 3, Sigma 1-Rezeptor-Agonist

Nicht jede Demenz mit Alzheimer-Symptomen ist Alzheimer

Neuentwicklungen von Medikamenten, die psychotische Begleitsymptome der Alzheimer-Erkrankung lindern sollen, sind teilweise schon gegen andere Krankheiten zugelassen. Die folgenden haben laut vfa Phase III erreicht (Stand: 15.07.2019):

Wirkstoff

(Unternehmen)

Wirkungsweise

Brexipiprazol

(Otsuka Pharmaceutical/Lundbeck)

Behandlung psychotischer Symptome, setzt an bestimmten Rezeptoren für Botenstoffe im Gehirn an

Dextromethorphan (DM) plus Bupropion

(Axsome Therapeutics)

Linderung von Symptomen wie Agitation

Deuteriertes Dextromethorphan plus Chinidin

(Concert Pharmaceuticals/Otsuka Pharmaceuticals)

Linderung von Symptomen wie Agitation

Pimavanserin

(Acadia Pharmaceuticals)

5-HT2A-Rezeptor-Invers-Agonist, Linderung von Symptomen wie Agitation

Frühes Eingreifgen entscheidend

Der Branchenverband zieht aus den Studien der letzten Jahre die wichtige Erkenntnis, dass die Behandlung offensichtlich sehr frühzeitig begonnen werden muss, um wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen zu können und nicht erst, wenn die Alzheimer-Symptome bereits ausgeprägt sind. Dies sei durchaus möglich, weil sowohl Beta-Amyloid als auch Tau-Fibrillen mittlerweile mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden könnten.

Studien nur mit „richtigen“ Alzheimer-Patienten

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass nicht jede Demenz mit Alzheimer-Symptomen wirklich mit Alzheimer-Prozessen im Gehirn einher geht. Das National Institute on Aging and Alzheimer's Association Research Framework empfiehlt deshalb laut vfa, in entsprechende klinische Studien nur noch Patienten einzubeziehen, die tatsächlich die für Alzheimer charakteristischen Gehirnveränderungen aufwiesen. Hierzu hat das Research Framework im letzten Jahr eine Alzheimer-Definition veröffentlicht, die biologisch begründet ist und nicht symptombezogen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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