Barmer-Arzneimittelreport 2019

Impflücken größer als gedacht

Berlin - 08.08.2019, 17:55 Uhr

Die Masern-Impfquote bei Kleinkindern lässt aus Sicht der Barmer zu wünschen übrig. Der Bundesgesundheitsminister sieht es nicht anders und will gegensteuern.  (Foto: sonar512 / stock.adobe.com)

Die Masern-Impfquote bei Kleinkindern lässt aus Sicht der Barmer zu wünschen übrig. Der Bundesgesundheitsminister sieht es nicht anders und will gegensteuern.  (Foto: sonar512 / stock.adobe.com)


Die Masern-Impfquote ist in den vergangenen Jahren gestiegen – doch sie ist noch immer zu niedrig, um die Krankheit auszurotten und all jene wirksam zu schützen, die nicht geimpft werden können. Das betonte der Barmer-Vorstandvorsitzende Christoph Straub bei der Vorstellung des neuen Barmer-Arzneimittelreports am heutigen Donnerstag. Der Kassenchef stellte zudem am Rande klar: Impfungen gehören aus seiner Sicht klar in ärztliche Hände – und nicht in die Apotheke.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 2017 schätzungsweise 110.000 Menschen weltweit an Masern gestorben – vor allem Kinder unter einem Jahr. Nötig wäre das nicht: Es gibt schließlich eine wirksame Impfung gegen die Infektionskrankheit. Dennoch gelingt es nicht, die Masern zu eliminieren. Die Impfquoten sind dafür noch zu niedrig. Das zeigen aktuelle Daten, die die Barmer am heutigen Donnerstag vorgestellt hat.

„Impfungen bei Kindern und Jugendlichen“ bilden dieses Jahr den Schwerpunkt des alljährlich erscheinenden Arzneimittelreports der Barmer. Und die Kasse rühmt sich bei ihrer Datenanalyse einer besonderen Genauigkeit. Während beispielsweise bei Schuleingangsuntersuchungen, auf die auch das Robert-Koch-Institut (RKI) zurückgreift, nur auf die Angaben im (eventuell gar nicht vorhandenen) Impfpass referieren können, konnte die Krankenkasse die Daten aller bei ihr versicherten Kinder analysieren – egal, ob es einen Impfpass gibt oder eine Bereitschaft besteht, an einer Umfrage teilzunehmen.  Und so fallen die Zahlen dramatischer aus als bislang. 

Nur knapp 90 Prozent der Schulanfänger sind vollständig geimpft

Die Daten von 45.700 Schulanfängern, die 2017 bei der Barmer versichert waren, zeigten, dass bei keiner wichtigen Infektionskrankheit wie Masern, Mumps oder Röteln ausreichend Kinder immunisiert waren. Die Impfquoten lagen laut Kasse durchweg unter 90 Prozent. Im Alter von zwei Jahren  waren lediglich 75,3 Prozent vollständig gegen Masern geimpft, im Alter von vier Jahren 85,9 Prozent und mit sechs Jahren 88,8 Prozent. Im gleichen Bereich bewegen sich die Quoten für Mumps und Röteln – schließlich wird im Regelfall mit einem Kombinationsimpfstoff geimpft. Einen Einzelimpfstoff für Masern gibt es hierzulande gar nicht. 

Es gibt auch deutliche regionale Unterschiede bei den Impfquoten. Sie waren bei den Zweijährigen des Jahrgangs 2015 in Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein vergleichsweise hoch und in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen und Thüringen hingegen gering. In Bayern waren zudem 5,3 Prozent der Zweijährigen gegen gar keine der 13 wichtigsten Infektionskrankheiten geimpft, für die es eine STIKO-Impfempfehlung gibt. In Brandenburg traf dies nur auf 2,2 Prozent der Kleinkinder zu. Bei den Sechsjährigen sah es ähnlich aus: In Bayern waren 3,5 Prozent der Sechsjährigen des Jahrgangs 2011 überhaupt nicht geimpft, in Brandenburg waren es nur 1,2 Prozent.

Barmer Arzneimittelreport 2019

Straub: Mehr Aufklärung nötig — und Apotheker sollten besser nicht impfen

Barmer-Vorstandschef Christoph Straub hält die Daten für alarmierend. Solche Quoten machten eine Ausrottung der Masern unmöglich und verhinderten den dringend benötigten Schutz für alle diejenigen, die sich nicht impfen lassen können – dafür seien Immunisierungsraten von mindestens 95 Prozent nötig. Straub steht daher dem Masernschutzgesetz, das Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebracht hat, positiv gegenüber. Schließlich seien Impfungen eine der wirksamsten und sichersten medizinischen Maßnahmen überhaupt. Wichtig ist dem Kassenchef aber auch ein Mehr an Aufklärung – auch dafür will Spahn mit einer entsprechenden Geldspritze für Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sorgen. Denn Straub ist überzeugt: Es ist oft nicht nur Skepsis, die Menschen von einer Impfung abhält, sondern oft auch Unkenntnis. Die Barmer biete daher ihren Versicherten nun einen digitalen Impfplaner an, der Impflücken aufzeigt und an anstehende Impfungen erinnert. 
 

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Die Barmer schaute sich übrigens auch Einflussfaktoren für die Vollständigkeit der Grundimmunisierung an. Eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine vollständige Impfung hatten Kinder, die am Kinder- und Jugendprogramm der Kasse teilnahmen. Geringer war sie dagegen bei jenen, die am Homöopathievertrag teilnahmen. Letzteres ist für Straub allerdings kein Anlass, diesen Vertrag generell in Zweifel zu ziehen – trotz aller Diskussionen rund um die Sinnhaftigkeit von Homöopathie auf Kassenkosten in der letzten Zeit. Es sei „unangemessen einen Homöopathievertrag zu stoppen, um die Impfquoten zu erhöhen“, sagte er.

Auf die Frage, was Straub von den Plänen der Bundesregierung halte, Modellvorhaben für Grippeschutzimpfungen in Apotheken zuzulassen, zeigte sich der studierte Mediziner skeptisch: „Impfungen sind auch guten Gründen Ärzten vorbehalten, auch ich halte sie für eine ärztliche Aufgabe“, sagte er.  

Auch das RKI meldete sich nach der Vorstellung des Reports zu Wort: Dieser bestätige Berichte des RKI, dass es Defizite beim Impfschutz der Kinder in Deutschland gebe. Die Auswertung der Barmer sei „gründlich“. Ob sie allerdings wirklich die „tatsächlichen“ Impfquoten abbilde, ist für das RKI nicht sicher: Mit den Daten würden nur rund elf Prozent der gesetzlich Versicherten in Deutschland abgebildet. Damit bleibe „offen, wie repräsentativ dieses Versichertenklientel für Deutschland ist“, so das Institut.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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