Die „Pille“ ohne Kosten

Verhütungsmittel für Bedürftige nun auch in Bochum gratis

Düsseldorf - 24.06.2019, 17:50 Uhr

Verhütungsmittel auf Rezept gibt es in Bochum  für über 22-jährige Frauen, die Sozialleistungen beziehen, ab dieser Woche kostenlos. (Foto: imago images / Jochen Tack)

Verhütungsmittel auf Rezept gibt es in Bochum  für über 22-jährige Frauen, die Sozialleistungen beziehen, ab dieser Woche kostenlos. (Foto: imago images / Jochen Tack)


Seit dieser Woche können Bezieherinnen von Sozialleistungen in der Ruhrgebietsstadt verschreibungspflichtige Verhütungsmittel kostenlos erhalten. Damit reiht sich die Kommune in die immer noch geringe Zahl der Städte und Gemeinden ein, die dies ermöglichen. Eine bundeseinheitliche Regelung wie etwa von pro familia gefordert scheiterte bislang mehrfach im Bundestag – und die kommunalen Geldtöpfe sind nur begrenzt.

Frauen, die in Bochum wohnen, älter als 22 Jahre sind und „existenzsichernde Sozialleistungen“ erhalten, müssen seit Beginn dieser Woche (KW25) nichts mehr für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel bezahlen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie mit dem entsprechenden Rezept und ihrem Leistungsbescheid die Beratungsstelle von pro familia in der der nordrhein-westfälischen 364.000 Einwohnerstadt im Ruhrgebiet aufsuchen.

Dort bekommen die Frauen dann eine Bewilligung, mit der Ärzte und Apotheker direkt mit pro familia abrechnen können. Die Beratungsstelle rund um die Themen Schwangerschaft, Sexualität und Familie verwaltet in Bochum nämlich im Auftrag der Stadt nun einen „Fonds für Verhütungsmittel“, aus dem Pille und Co. bezahlt werden. SPD und Grüne hatten das beantragt und im April erfolgreich und durch den Stadtrat bekommen. Ziel des Verhütungsmittelfonds sei es, „Frauen mit geringem Einkommen eine verlässliche Familienplanung und sichere Empfängnisverhütung zu ermöglichen, so dass insbesondere unerwünschte Schwangerschaften bzw. unnötige Schwangerschaftsabbrüche und daraus resultierende Belastungssituationen vermieden werde“, heißt es in dem Beschluss.

Die Apotheker mögen die Idee

„Ich habe von diesem Fonds bislang nur aus der Zeitung erfahren“, sagt Sabine Becker, angestellte Apothekerin in der Westfalen-Apotheke in Bochum. Bislang habe man noch keinen Fall gehabt, sie fürchtet aber Mehraufwand durch die Art der Abrechnung. „Aber grundsätzlich finde ich das gut“, sagt sie

Auch Margarete Panne, Inhaberin der Apotheke am Hauptbahnhof, hat bislang erst über den Fonds für Verhütung gelesen. „Ich finde das eine gute Sache. Einige Ältere werden aber wahrscheinlich Einwände über die Finanzierung des ‚Vergnügens‘ haben“, sagt sie. Die Abrechnung, meint sie, sei wohl kein großes Problem. „Wir sind ja solche Abrechnungen über Jobcenter und ähnliches gewohnt“, sagt sie.

Nicht die erste Stadt, aber eine von wenigen

Bochum stehe mit diesem Fonds nicht alleine und sei auch nicht die erste Stadt, die einen solchen einführe, erklärt Stadtsprecher Peter van Dyck. „Aber wir habe die große Nachfrage, die es gibt, gesehen“, sagt er. Aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen hat man sich dabei auf Erfahrungen etwa von Dortmund, dem Kreis Viersen, dem Ennepe-Ruhr-Kreis, Marl, Recklinghausen oder Gladbeck gestützt, die einen solchen Fonds zum Teil bereits seit längerem unterhalten.

Beim pro-familia-Bundesverband ist man erfreut über jede Kommune, die sich auf freiwilliger Basis zu einem solchen Finanzierungsmodell entschließt, sagt Alexandra Ommert. Sie ist die Leiterin des Modellprojektes „Biko – Beratung, Information, Kostenübernahme bei Verhütung“, das in sieben Modellstandorten verteilt über die Bundesrepublik eine Kostenübernahme seit Januar 2017 noch bis Ende Juni 2019 erprobt und das wissenschaftlich evaluiert wird. 

In den neuen Bundesländern keine Kostenübernahme

„Das Problem ist aber, dass diese freiwilligen Töpfe der Kommunen meist den Bedarf nicht vollständig decken“, sagt Ommert. So stellt Bochum etwa in diesem Jahr 25.000 Euro und in den beiden Folgejahren jeweils 65.000 Euro aus dem Budget des Amtes für Soziales zur Verfügung. „Und es kann ja eigentlich nicht sein, dass man, wenn man später kommt, Pech gehabt hat, weil der Fonds leer ist“, sagt sie

In ganz Deutschland gibt es unterdessen zum Teil große Unterschiede, ob es in den Kommunen überhaupt Kostenübernahmen der Verhütungsmittel für Bedürftige gibt. Im Jahr 2015 veröffentlichte pro familia so etwa eine Studie, die belegte, dass etwa in den neuen Bundesländern keine der befragten Kommunen einen solche Regelung vorsah. Von den Stadtstaat-Bundesländern Berlin und Bremen abgesehen, die einen solchen Fördertopf besitzen, war noch Niedersachsen mit 68 Prozent der Kommunen Spitzenreiter. In Rheinland-Pfalz waren es dagegen etwa nur 6 Prozent der befragten Kommunen.

Rechtsanspruch gefordert

Was unter anderem pro familia auch bereits mit einer Petition forderte, ist eine bundeseinheitliche Regelung und ein Rechtsanspruch auf kostenfreie Verhütungsmittel für Bezieher von Hartz-IV und anderen Leistungen. Ommert verweist dabei unter anderem auf die Studie „Frauen leben 3“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2016, die zu dem Schluss kommt, das Frauen ihr Verhütungsverhalten ändern, wenn die Kosten für sichere Verhütungsmittel zu hoch für sie sind. Damit riskierten sie ungewollte oder ungeplante Schwangerschaften – der Regelsatz für „Gesundheitspflege“ im Hartz-IV-Budget, aus dem die Pille bezahlt werden müsste, liegt bei 18 Euro.

Im September sollen die Ergebnisse der Modellprojekts Biko vorgestellt werden. Ommert hofft, so auf eine bundeseinheitliche Regelung einwirken zu können. Schließlich gebe es ableitbar aus verschiedenen  Beschlüssen und Empfehlungen der Vereinten Nationen ein „Menschenrecht auf (erschwingliche) Verhütung“, argumentiert pro Familia. Mit der Offenbacher Erklärung von 2019 forderte pro familia auch den „Zugang zu kostenfreier Verhütung für alle Menschen“.  

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Zuletzt waren zwei Anträge der Grünen und der Linken im Februar im Bundestag gescheitert, einen solchen Rechtsanspruch zumindest für Bedürftige durchzusetzen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) brachte einen im April beschlossenen Gesetzentwurf ein, nachdem die gesetzlichen Kassen (GKV) die Kosten für Verhütungsmittel nun regulär zwei Jahre länger, nämlich bis zum 22 Lebensjahr übernehmen. „Aber das ist ja ein vollkommen willkürlich gesetzte Grenze“, sagt Ommert. Damit könne man sich noch nicht zufrieden geben.

Die Zuzahlung ab dem 18. Lebensjahr blieb ohnehin von der Gesetzesänderung unberührt.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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