Mikrobiologische Forschung

Antibiotikaresistenzen überdauern, auch ohne Druck

Remagen - 19.06.2019, 09:00 Uhr

Tanita Wein, Doktorandin in der Arbeitsgruppe
Genomische Mikrobiologie an der CAU und Erstautorin der Studie, hat mit ihren Kollegen entdeckt, dass Resistenzen trotzdem bleiben, selbst wenn sie noch nicht mit Antibiotika in Kontakt getreten sind. (Foto: Institut für Allgemeine Mikrobiologie, CAU)

Tanita Wein, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie an der CAU und Erstautorin der Studie, hat mit ihren Kollegen entdeckt, dass Resistenzen trotzdem bleiben, selbst wenn sie noch nicht mit Antibiotika in Kontakt getreten sind. (Foto: Institut für Allgemeine Mikrobiologie, CAU)


Neue mikrobiologische Forschungsergebnisse zeigen, dass die Antibiotika-Resistenz eines Bakteriums latent vorhanden bleibt, auch wenn dieses zuvor nicht mit den Wirkstoffen in Kontakt gekommen ist. Der Schlüssel zu diesem Phänomen liegt in den Plasmiden, die im Laufe der Evolution stabil überdauern, selbst wenn ihre Funktion gar nicht gefragt ist.

Viele Mikroorganismen tragen Teile ihrer Erbinformationen auf Plasmiden. Dabei handelt es sich um kleine, ringförmiges, doppelsträngige DNA-Moleküle außerhalb der Chromosomen. Sie enthalten zusätzliche Erbinformationen und können sich selbständig vervielfältigen.

In Plasmiden enthaltene Gene verschaffen ihren Trägern häufig Überlebensvorteile. So können sie für eine Antibiotikaresistenz oder für die Produktion bakterieller Toxine verantwortlich sein. Außerdem können die Bakterien über die Plasmide neue Erbinformationen aufnehmen. Der „horizontale Gentransfer“ funktioniert auch über die Grenzen anderer Bakterienarten hinweg und hilft Bakterien, sich schnell und flexibel an geänderte Umweltbedingungen anzupassen. Dies ist besonders vorteilhaft für bakterielle Krankheitserreger.  

Im „Notfall“ Zugriff auf Plasmide

Bis jetzt wurde angenommen, dass Plasmide aber auch eine Belastung für die Bakterienzelle sind und dass sie deswegen nur so lange von Bakterien beherbergt werden, wie diese einen evolutionären Vorteil aus den Plasmiden ziehen können. Wird ein Bakterium zum Beispiel durch die Konfrontation mit einem Antibiotikum einem Anpassungsdruck ausgesetzt, so profitiert es von den Resistenzgenen in den Plasmiden und kann mit deren Hilfe eine Unempfindlichkeit gegen den antibakteriellen Wirkstoff entwickeln. Ist es dem Antibiotikum nicht mehr ausgesetzt, so fällt der Selektionsdruck weg und die Plasmide könnten theoretisch langsam verloren gehen und ganz aussterben.

Evolutionsexperiment sollte Klärung bringen

Diverse Plasmide kommen jedoch in der Natur überall in großer Zahl vor, weshalb die Annahme so nicht zutreffen kann, meinte ein Team von Forschern vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und von der israelischen Ben-Gurion-Universität des Negev. Um herauszufinden, was tatsächlich mit Plasmiden ohne Selektionsdruck, also ohne Antibiotikagabe passiert, haben sie ein Evolutionsexperiment durchgeführt. Die Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications publiziert. 

Plasmide überdauern auch ohne Funktion

Im Rahmen der Studie beobachtete die Gruppe das Bakterium Escherichia coli über den Verlauf von insgesamt 1.000 Generationen. Sie untersuchten, wie sich ein bestimmtes, bislang wenig untersuchtes, aber in zahlreichen bakteriellen Wirten auftretendes Plasmid ohne Selektionsdruck dabei verhält. Tatsächlich konnte das Team nachweisen, dass Plasmide in Bakterien permanent überdauern können, ohne dass der Wirt zunächst einen konkreten Nutzen daraus zieht. Langfristig bewahren sie sich damit das Potenzial für schnelle evolutionäre Anpassungen, so die Interpretation der Wissenschaftler. „Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Häufigkeit der Plasmide ohne Antibiotika zwar abnimmt, sie aber auf einem niedrigen und stabilen Niveau überdauern können“, erklärt Tanita Wein, Doktorandin in der Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie an der CAU und Erstautorin der Studie. „Mit diesen Erkenntnissen liefern wir einen neuen, evolutionären Erklärungsansatz für das allgegenwärtige Vorkommen der Plasmide in der Natur“, ist Wein überzeugt

Schlechte Bedingungen für das Bakterium, gute für die Plasmide
Weiterhin wollten die Forscher wissen, ob die Umweltbedingungen ebenfalls einen Einfluss auf das Überdauern der Plasmide haben. Hierzu verglichen sie die für das Gedeihen des Wirtsbakteriums optimale Temperatur von 37° Celsius mit den Stress auslösenden Bedingungen von nur 20° Celsius. Die Ergebnisse des Experiments zeigten, dass die Häufigkeit der Plasmide bei der kühlen Temperatur langsamer zurückging als in dem von den Bakterien bevorzugten Temperaturbereich. „Die für das Bakterium nachteiligen Bedingungen können also vorteilhaft für das Überdauern der Plasmide sein, da sie sich dann möglicherweise effizienter reproduzieren“, betont Wein.

Nie Kontakt und trotzdem resistent

Einen weiteren wichtigen Aspekt entdeckten die Kieler Wissenschaftler, als sie die Bakterien im Anschluss an das Experiment ohne Selektionsdruck dann doch einem Antibiotikum aussetzten. Selbst nach einmaliger Gabe wurden alle nachfolgenden Bakteriengenerationen gegenüber dem Wirkstoff zu 100 Prozent resistent. Die neuen Forschungsergebnisse zeigen nach Meinung der Forscher, dass die Antibiotika-Resistenz eines Bakteriums selbst dann latent vorhanden bleiben kann, wenn dieses zuvor nicht mit den Wirkstoffen in Kontakt gekommen ist, und zwar deswegen, weil die Plasmide im Laufe der Evolution stabil überdauern. Mit den neuen Erkenntnissen eröffnen sich vielversprechende Forschungsansätze, um die Rolle der Plasmide bei der schnellen Anpassung verschiedener Bakterien an wechselnde Umweltbedingungen in Zukunft besser zu verstehen so die Hoffnung der Wissenschaftler. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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