Arzneimittel-Sparinstrument

30 Jahre Festbeträge – Freude und Kritik

Berlin - 19.06.2019, 17:45 Uhr

Seit dem 19. Juni 1989 gibt es die Festbeträge, inzwischen sparen die Kassen pro Jahr etwa 8,2 Milliarden Euro damit. Aber für viele sind sie auch ein Fluch. (s / Foto: imago images / Steinach)

Seit dem 19. Juni 1989 gibt es die Festbeträge, inzwischen sparen die Kassen pro Jahr etwa 8,2 Milliarden Euro damit. Aber für viele sind sie auch ein Fluch. (s / Foto: imago images / Steinach)


Die Festbeträge für Arzneimittel feiern am heutigen 19. Juni ihren 30. Geburtstag. Mit dem Gesundheits-Reformgesetz hatte der Bundestag Ende 1988 beschlossen, dass für Arznei- und Hilfsmittel Festbeträge festgesetzt werden sollen. Inzwischen liegen die Einsparungen bei den Kassen schon bei mehr als 8 Milliarden Euro pro Jahr. Entsprechend intensiv werden sie von den Krankenkassen gefeiert. Auch die Linken würden gerne mehr auf die Festbeträge setzen und dafür die Rabattverträge abschaffen. Die Pharmaindustrie hingegen sieht viel Nachbesserungsbedarf.

Seit dem Juni 1989 gibt es Arzneimittel-Festbeträge. Solche Beträge sind Höchstgrenzen, bis zu denen die Kassen die Kosten eines Arzneimittels übernehmen. Die Einsparungen der Kassen durch dieses Sparinstrument sind groß: Laut GKV-Spitzenverband lagen sie zuletzt bei 8,2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Durch die Rabattverträge generieren die Kassen etwa 4 Milliarden Euro. Geschaffen wurden die Festbeträge mit dem Gesundheits-Reformgesetz (GRG), dessen hauptsächliche Aufgabe es war, die Reichsversicherungsverordnung (RVO) ins Sozialgesetzbuch V zu überführen. Gesundheitsminister war damals übrigens der CDU-Politiker Norbert Blüm.

Im damaligen Gesetzestext hieß es damals zu den Festbeträgen: „Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bestimmt in den Richtlinien nach § 100 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können.“ Der Ausschuss heißt inzwischen Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), die Festbetragsgruppen gibt es aber immer noch. Hier ein Überblick, wie das System der Festbeträge heutzutage funktioniert.

Das System der Festbeträge

Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt, in welchen Gruppen Arzneimittel mit einem Festbetrag zusammengefasst werden können. Dabei gibt es drei Typen von Gruppen:

  • Präparate mit denselben Wirkstoffen,
  • Präparate mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen sowie
  • Präparate therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen.

Bei seiner Entscheidung berücksichtigt der G-BA auch Darreichungsformen und Indikationen. Sobald der Ausschuss eine Entscheidung über eine neue Gruppe bzw. die Erweiterung einer Gruppe gefällt hat, wandert das Verfahren in den GKV-Spitzenverband. Der Kassenverband führt ein Stellungnahmeverfahren durch und legt anschließend die Erstattungshöchstgrenzen für die Gruppe fest. Der Kassenverband kann auch bestehende Festbeträge ändern.

Festbeträge für Apotheker

Für die Apotheker sind Festbeträge fester Bestandteil des Berufsalltags und führen oft zu Erklärungsbedarf gegenüber dem Patienten. Denn: Zieht eine Firma mit der Festlegung oder Absenkung eines Festbetrages nicht mit, muss der Patient oft per Aufzahlung die Differenz bezahlen. Gesetzlich ist allerdings vorgesehen, dass es für mindestens 20 Prozent der Verordnungen und 20 Prozent der Arzneimittelpackungen einer Festbetragsgruppe keine Aufzahlung geben darf. Apotheker sind insbesondere bei neu aufkommenden Aufzahlungen oftmals in der Situation, Patienten diese erklären zu müssen. Laut GKV-Spitzenverband werden in der Apotheke aber 95 Prozent aller Festbetrags-Arzneimittel ohne eine Aufzahlung abgegeben.

Doch auch für den internen Betriebsablauf sind neue oder geänderte Festbeträge immer wieder ein wichtiges Thema für die Pharmazeuten. Passt der GKV-Spitzenverband Festbeträge an, kann es in der Apotheke zu Warenlagerverlusten kommen – immer wieder ein ärgerliches Thema für jeden Apotheker.

Festbeträge in Zahlen

  • Einsparungen: Ca. 8,2 Milliarden Euro pro Jahr
  • Es gibt etwa 30.000 Festbetragsarzneimittel
  • Bislang wurden 449 Festbetragsgruppen festgelegt.
  • 80 Prozent aller Arzneimittel-Verordnungen entfallen auf Präparate mit Festbeträgen
  • 35 Prozent des Ausgabenvolumens im Arzneimittelbereich entfallen auf Festbetrags-Arzneimittel

Zuzahlungsbefreiungen

Seit 2006 können besonders günstige Arzneimittel von der Zuzahlung befreit werden. Das gilt für Arzneimittel, deren Abgabepreis mindestens um 30 Prozent unter dem jeweils gültigen Festbetrag liegt und wenn hieraus weitere Einsparungen zu erwarten sind. Derzeit sind etwa 4.000 Arzneimittel in 155 Festbetragsgruppen für die Versicherten ohne gesetzliche Zuzahlung verfügbar. Ende 2017 waren laut ABDA 25 Prozent der rabattierten Rx-Arzneimittel zuzahlungsbefreit- oder zumindest ermäßigt. Im Jahr nach Einführung der Rabattverträge waren es noch 60 Prozent, seitdem ist diese Quote kontinuierlich gesunken.

Kassen: Die Festbeträge sind eine Erfolgsstory

Für die Kassen sind die Festbeträge ein unverzichtbares Sparinstrument. Sie würden dafür sorgen, dass „eine qualitativ hochwertige Versorgung mit Arzneimitteln dennoch dauerhaft finanzierbar bleibt“, teilte der GKV-Spitzenverband anlässlich des Jubiläums mit. Und weiter: „Die von der Pharmaindustrie damals beschworenen dunklen Zukunftsaussichten für die Arzneimittelversorgung und für den medizinischen Fortschritt blieben dagegen aus.“ Johann-Magnus v. Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, erklärte wörtlich: „Mit den Festbeträgen wurde ein Instrument geschaffen, mit dem den zum Teil überzogenen Preisvorstellungen der Pharmaindustrie dauerhaft und effizient entgegengewirkt werden konnte, ohne dass die Versicherten Einbußen bei der Versorgungsqualität für Arzneimittel hinnehmen mussten.“

Linke: Festbeträge stärken, Rabattverträge abschaffen

Die Linkspartei ist eine bekannte Gegnerin der Arzneimittel-Rabattverträge. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 hatte die Partei die Abschaffung der Rabattverträge gefordert. Im DAZ.online-Interview hatte die Linken-Bundestagsabgeordnete und Apothekerin Sylvia Gabelmann dazu gesagt:


„Es ist richtig, dass die Rabattverträge einen großen Preisdruck ausüben und auch für Lieferengpässe verantwortlich sind. Wir fordern die Abschaffung der Rabattverträge und stattdessen eine Schärfung des Festbetragssystems. Die Generikapreise sollten so austariert werden, dass sowohl die Versorgungssicherheit und ausreichende Anbietervielfalt gewährleistet bleibt und auf der anderen Seite im Interesse der Beitragszahler keine überhöhten Preise aufgerufen werden.“

MdB Sylvia Gabelmann (Linke)


Ganz andere Meinung beim BAH

Der Pharmaindustrie sind die Festbeträge verständlicherweise ein Dorn im Auge. Der Bundesverband der Arzneimittel Hersteller (BAH) erklärte anlässlich des Jubiläums, dass das System „dringend einer Weiterentwicklung bedarf“. Denn: „Vor allem differenziert es nicht ausreichend nach therapierelevanten Kriterien bei Arzneimitteln, das Raster für die Eingruppierung ist viel zu grob. Leidtragende sind vor allem Kinder und Ältere.“ Der BAH bemängelt, dass sich die Festbeträge im Wesentlichen an Wirkstoffmengen und Packungsgrößen orientieren, dadurch bekommen aufwendig hergestellte Darreichungsformen den gleichen Preis wie günstigere.

Und weiter: „So erhalten bestimmte Patientengruppen oft Arzneimittel nur noch gegen eine Mehrzahlung. Oder Arzneimittel verschwinden gar vom Markt, weil Hersteller sie nicht mehr kostendeckend produzieren können.“ „Betroffen sind davon gerade Kinder und Ältere, die häufig besondere Darreichungsformen, wie zum Beispiel einen Saft statt einer Tablette, benötigen“, sagt Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des BAH.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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