Europäischer Drogenbericht 2019

Opioid-Arzneimittel locken Drogenkonsumenten

Remagen - 14.06.2019, 11:30 Uhr

Opioid-Arzneimittel sind in Europas Drogenszene auf dem Vormarsch. ( r / Foto: imago images / Ikon Images)

Opioid-Arzneimittel sind in Europas Drogenszene auf dem Vormarsch. ( r / Foto: imago images / Ikon Images)


Der europäische Drogenmarkt entwickelt sich ständig weiter. In den letzten zehn Jahren ist eine Vielfalt an neuen psychoaktiven Substanzen entstanden. Cannabis ist am beliebtesten und die Sicherstellungen von Kokain haben ein Rekordhoch erlebt. Opioide tasten sich in der Drogenszene langsam vor. Dies geht aus dem Europäischen Drogenbericht 2019 hervor.

„Der europäische Drogenmarkt spiegelt die Entwicklungen auf globaler Ebene wider und er ist widerstandsfähig“, so lauten zwei Schlussfolgerungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) auf der Basis des Europäischen Drogenberichts 2019. Der Bericht analysiert die aktuelle Drogensituation in der Europäischen Union, Norwegen und der Türkei.

Über eine Million Sicherstellungen illegaler Drogen

Ein wichtiger Indikator für die Drogenmärkte in den einzelnen Ländern ist die Sicherstellung illegaler Drogen durch die Strafverfolgungsbehörden. Nach dem Europäischen Drogenbericht wurden in Europa im Jahr 2017 über 1,1 Millionen Mal illegale Drogen sichergestellt, meist kleine Mengen von Selbstkonsumenten und nahezu drei Viertel davon Cannabis. Das am weitesten verbreitete Opioid auf dem Drogenmarkt der EU ist Heroin. 5,4 Tonnen der Rauschdroge wurden 2017 beschlagnahmt. Als weitere Opioide, die in Europa illegal erhältlich sind, werden Opium und die Wirkstoffe Morphin, Methadon, Buprenorphin, Tramadol sowie verschiedene Fentanylderivate angeführt. Dabei haben die Mengen an sichergestelltem Tramadol und Fentanyl im zweiten Jahr in Folge zugenommen.  

Fast 50 neue synthetische Opioide gemeldet

In 2018 wurde beim EU-Frühwarnsystem für neue psychoaktive Substanz etwa jede Woche eine neue Substanz gemeldet, darunter insgesamt 49 neue synthetische Opioide. 34 davon sind Fentanylderivate. Neue Opioide haben zwar auf dem europäischen Drogenmarkt mengenmäßig keine große Bedeutung, aber viele von ihnen werden mit schweren Vergiftungen und Todesfällen in Verbindung gebracht. Darüber hinaus scheinen synthetische Opioide, die gewöhnlich als Arzneimittel verwendet werden, wie etwa zur Substitutionsbehandlung und zur Schmerzlinderung, in vielen Teilen Europas eine größere Rolle bei Drogenproblemen zu spielen. Einige, wie das 300 Mal sichergestellte Carfentanil, sind extrem potent. Sie können in sehr kleinen Mengen, die schwer auffindbar sind, geschmuggelt und in tausende Einzeldosen umgewandelt werden. Um die Zahl der opioidbedingten Todesfälle herunter zu schrauben, wurden im Jahr 2018 in zehn europäischen Ländern niederschwellige Programme zur Mitgabe des Antidots Naloxon durchgeführt. In Italien ist Naloxon rezeptfrei in den Apotheken erhältlich.

„Innovative Verkaufsstrategien wie Kokain-Callcenter“.   

Die in Europa am weitesten verbreiteten illegalen Stimulanzien sind nach dem Drogenbericht Kokain, Amphetamin, Methamphetamin und MDMA (3,4-Methylendioxymethamphetamin, Ecstasy). Sowohl die Zahl der Sicherstellungen von Kokain (über 104.000) als auch die sichergestellten Mengen (140,4 Tonnen) haben in 2017 ein Rekordhoch erreicht. Kokain gelangt über zahlreiche Routen und Wege nach Europa. Die Drogenexperten beobachten eine Neuorganisation der Kokain-Lieferkette und der beteiligten Personen auf der mittleren und Kleinhandelsebene und erwähnen „innovative Verkaufsstrategien wie Kokain- Callcenter“.  

21 Ecstacy-Labore ausgehoben

Weiterhin wurden in den EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2017 insgesamt 6,4 Tonnen Amphetamin und 0,7 Tonnen Methamphetamin sichergestellt. Außerdem konnten 21 aktive Labore zur Herstellung von Ecstacy ausgehoben werden, fast doppelt so viele wie 2016. Sie befanden sich allesamt in den Niederlanden. Die geschätzten 6,6 Millionen MDMA-Tabletten, die im Jahr 2017 sichergestellt wurden, markieren den höchsten seit 2007 in der Europäischen Union verzeichneten Wert.  

Mehr illegale Benzodiazepin-Fälschungen

Laut Einschätzung der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht scheint auch die Zahl, Art und Verfügbarkeit neuer psychoaktiver Benzodiazepine, die keinen internationalen Drogengesetzen unterliegen, zu steigen. Einige davon sollen als gefälschte Versionen häufig verordneter Anxiolytika wie Alprazolam (Xanax) und Diazepam über bestehende Vertriebsnetzwerke im illegalen Drogenmarkt verkauft werden, andere online und manchmal unter ihrem eigenen Namen als „legale“ Versionen zugelassener Medikamente.  

Prävalenz und Trends des Drogenkonsums

Schätzungsweise haben in Europa in den letzten zwölf Monaten vor der Berichtserstellung rund 19 Millionen junge Erwachsene zwischen 15 und 34 Jahren Drogen genommen. Die „beliebteste“ Rauschdroge ist Cannabis. Es wird etwa fünf Mal so häufig konsumiert wie die anderen Substanzen. Die Schaffung legaler Cannabismärkte für den Freizeitbereich treibe Innovationen voran, was zur Entwicklung neuer Cannabisprodukte wie Esswaren, E‑Liquids und Konzentraten geführt habe, heißt es in dem Bericht. Er betont an dieser Stelle auch die unklare regulatorische Situation hinsichtlich Cannabis-Produkten.  

730 neue psychoaktive Substanzen überwacht

Insgesamt werde in Europa mittlerweile ein größeres Spektrum an Substanzen konsumiert als in der Vergangenheit, so das Resümee. Unter Drogenkonsumierenden sei der „polyvalente Drogenkonsum“ weit verbreitet, und die individuellen Muster reichten vom experimentellen über den gewohnheitsmäßigen Konsum bis hin zur Abhängigkeit.

Bis Ende 2018 hat die EMCDDA nach eigenen Angaben über 730 neue psychoaktive Substanzen überwacht. Sie umfassen eine breite Palette an Drogen wie synthetische Cannabinoide, Stimulanzien, Opioide und Benzodiazepine. Die EMCDDA bezeichnet den Sektor der erstmals als neu gemeldeten Substanzen am Drogenmarkt als „dynamisch“. Substanzen tauchten auf und verschwänden dann schnell wieder. Die Zahl der sich im Umlauf befindlichen Substanzen bleibe jedoch nach wie vor hoch.  

Europa zunehmend als Drogenexporteur

Die Herstellung synthetischer Drogen in Europa selbst nehme zu. Sie werde vielfältiger und innovativer, lautet eine weitere Feststellung. Sorge bereitet den europäischen Drogenbeobachtern die Entdeckung von Produktionslaboren und Abfallanlagen sowie der Wirkstoffgehalt und die Vielfalt der synthetischen Drogen auf dem europäischen Markt. Es mehrten sich die Anzeichen, dass Europa auf dem Weltmarkt für synthetische Drogen eine wichtige Rolle spiele. Durch die vorhandene Infrastruktur könnten Waren rasch zwischen Ländern befördert und kontrollierte Drogen, neue psychoaktive Substanzen, Vorläuferstoffe und andere Chemikalien, die für die Drogenherstellung benötigt werden, in die EU geschmuggelt werden. Während Cannabis in Europa größtenteils für den lokalen Konsum produziert wird, seien andere synthetische Drogen für den Export in andere Teile der Welt vorgesehen



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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