Sozialpharmazie

„Mit jedem Euro mehr, leben die Menschen länger“

Dortmund - 15.05.2019, 09:00 Uhr

Armut geht mit einer höheren Mortalität einher, auch an Arzneimitteln wird gespart - die Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiung scheint teilweise recht unbekannt. (Foto: Alexander Raths / stock.adobe.com)

Armut geht mit einer höheren Mortalität einher, auch an Arzneimitteln wird gespart - die Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiung scheint teilweise recht unbekannt. (Foto: Alexander Raths / stock.adobe.com)


„Krankheit führt zur Armut und Armut zur Krankheit“

Im Unterschied zu „verschuldeteten“ Menschen ist Überschuldung eine Extremform, die mit Zahlungsunfähigkeit einhergeht. In Deutschland gibt es 6,9 Millionen überschuldete Privatpersonen, ihr Schuldenvolumen liegt etwa bei 208 Milliarden Euro. Laut Münster sind vor allem jüngere Menschen (58 Prozent) zwischen 18 und 44 Jahren überschuldet, 55 Prozent der Überschuldetet haben jedoch eine Berufsausbildung. „Wir sprechen hier nicht von der absoluten Unterschicht, auch die Mittelschicht ist von Überschuldung betroffen. Als die drei Hauptursachen nennt Münster:

  1. Arbeitslosigkeit
  2. Trennung/Scheidung
  3. Krankheit/Unfall/Suchterkrankung

„Krankheit führt zur Armut und Armut zur Krankheit“, erklärt Münster. Diese Beobachtung und wechselseitige Beziehung bestätigt auch der Düsseldorfer Medizinsoziologe Dragano: „Zum einen werden arme Menschen eher krank, zum anderen droht kranken Menschen eher der soziale Abstieg“, so Dragano.

Wie sparen arme Menschen bei Arzneimitteln?

Münster hat in ihrer Untersuchung eine „Versorgungsschieflage“ von Überschuldeten im Vergleich zur Normalbevölkerung ausgemacht. 63 Prozent der Überschuldeten gaben an, in den letzten sieben Tagen Arzneimittel eingenommen zu haben, im Vergleich zu 69 Prozent Normalbevölkerung. Weniger Arzneimittel ist das nun gut – oder eine Unterversorgung?

Um über die Runden zu kommen, verzichteten in der Studie 24,2 Prozent der Patienten auf Rezepteinlösung, 32,6 Prozent lösten ihre Verordnung aus Geldgründen verzögert ein. Auch dass Patienten die Präparate seltener oder in reduzierter Dosis einnehmen, kam bei 12,6 Prozent vor. 22,9 Prozent verzichteten in der Selbstmedikation auf empfohlene Arzneimittel.

Zuzahlungsbefreiung als Möglichkeit wenig bekannt

Überschuldete Menschen wiesen ein höheres Risiko für fast „alle Erkrankungen“ auf, man könne in der Apotheke oder beim Arzt nicht erkennen, ob der Patient überschuldet sei oder nicht. Die Betroffenen zeigten ein höheres Maß an chronischen Erkrankungen, psychischen Erkrankungen und Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Differenziert nach Präparat sei bei Psychopharmaka der Konsum erhöht, was angesichts der psychischen Belastungssituation nach Ansicht Münsters nachvollziehbar ist.

Münster wies darauf hin, dass die Studie auch zutage förderte, dass viele Betroffene nicht wüssten, dass es eine Härtefallregelung zur Zuzahlungsbefreiung gibt.

Die Fachtagung Soziale Pharmazie wurde organisiert vom Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen und der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass Frau Prof Münster den interdisziplinären Arbeitskreis Arbeit und Schulden an der Universität Mainz leitet. Das ist nicht richtig. Münster führt ihre Forschungstätigkeit am Institut für Hausarztmedizin der Universität Bonn aus. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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