Hüffenhardt-Urteil im Wortlaut

Richter: DocMorris bietet nicht die gleichen Garantien wie Apotheker

Berlin - 13.05.2019, 17:50 Uhr

Nicht die Garantie, die ein echter Apotheker bietet: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe erklärt seine Rechtsauffassung in Sachen Versandhandel und Apotheken-Automat. (c / Foto: diz)

Nicht die Garantie, die ein echter Apotheker bietet: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe erklärt seine Rechtsauffassung in Sachen Versandhandel und Apotheken-Automat. (c / Foto: diz)


Gericht: 3-D-Effekt bei Rezeptprüfung erforderlich

Auch was die Weiterreichung der Rezepte betrifft, sieht das Verwaltungsgericht Karlsruhe gleich mehrere Probleme hinsichtlich des Verbraucherschutzes. Denn: „Die Kontrolle der Verschreibung über den eingebauten Scanner erscheint gegenüber deren Kontrolle im Original als weniger sicher. Die Echtheit der ärztlichen Verschreibung kann mittels des Videoterminals nicht hinreichend wirksam geprüft werden.“ Man könne nicht erkennen, ob es sich um eine Kopie oder um ein Original handelt, wenn das Rezept nur auf dem Bildschirm einsehbar ist. Wichtig sei der „durch die Unterschrift entstehende ‚3-D-Effekt‘.

Vielmehr geht das Gericht in seinem Urteil davon aus, dass DocMorris in Hüffenhardt illegalerweise eine Apotheke betrieben hat. Allein schon die Außenwirkung des Namen „DocMorris“ spreche dafür: Denn die Kunden bringen diesen Namen nicht automatisch mit dem Versandhandel in Verbindung. Die Richter erinnern hier an das (ehemalige) Franchise-Netzwerk. Die DocMorris-Strategie sei darauf angelegt, als Präsenzapotheken wahrgenommen zu werden. Aber auch die „konkrete Ausgestaltung“ der Räumlichkeiten in Hüffenhardt zeigt, das DocMorris „zielgerichtet nur Kunden aus dem Einzugsbereich“ gewinnen wollte. Und weiter: „Der Anschein einer Präsenzapotheke wird noch dadurch verstärkt, dass sich das Medikament, bevor der Kunde es bezahlt, bereits für den Kunden sichtbar hinter einer Glasscheibe befindet.“ Der Versandhandel läuft den Richtern zufolge anders ab: Dort zahlt der Kunde zuerst, dann sieht er sein Produkt.

Richter: DocMorris benutzt Unionsrecht missbräuchlich

In ihren Urteilsgründen erklären die Richter aber nicht nur, warum die juristische Strategie der Niederländer, den Automaten als Versandhandel darzustellen, fehlgeschlagen ist. Sie gehen weiter und greifen gleich mehrere Punkte auf, um die es seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung in der politischen Debatte geht. Da wäre zunächst der klare Vorwurf des Verwaltungsgerichtes, dass DocMorris sehr gerne mit dem Europarecht („Unionsrecht“) argumentiert, dies aber „rechtsmissbräuchlich“ tue. Heißt konkret: Der Konzern benutzt das Europarecht, um seine Strategie zu rechtfertigen. Die Richter erklären: „Die Anwendung der Unionsvorschriften kann nicht so weit reichen, dass Vorgänge geschützt werden, die zu dem Zweck durchgeführt werden, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen.“

Im Umkehrschluss bedeutet das für die Karlsruher Richter auch, dass sich DocMorris nur die Rechte und Möglichkeiten einer Vor-Ort-Apotheke sichern möchte – ohne aber deren Pflichten zu erledigen. Wörtlich heißt es dazu im Urteil: „Die Klägerin will dem Kunden mit ihrer in Hüffenhardt angebotenen Arzneimittelabgabe unter Konstruktion eines Versandhandels alle Vorteile einer Präsenzapotheke, insbesondere die Möglichkeit der unmittelbaren Mitnahme von Arzneimitteln nach einer persönlichen Beratung, verschaffen, ohne die hierdurch entstehenden Nachteile tragen zu müssen, die mit einer deutschen Apothekenbetriebserlaubnis einhergehen.“

Dass eine solche „künstliche“ Konstruktion des Versandhandels in Hüffenhardt vorliegt, wird so begründet:


Insbesondere lässt aber die durch die Klägerin als „Versendung“ bezeichnete Beförderung der Arzneimittel auf dem Förderband den Schluss zu, dass ein Versandhandel künstlich konstruiert wird. Die Arzneimittel werden durch einen Automaten aus dem Lager geholt und auf ein Förderband gelegt, das das Arzneimittel zum Kunden befördert. Nichts anderes geschieht in einer Präsenzapotheke, wenn der Apotheker das gewünschte Arzneimittel aus dem Lager anfordert. Allein aus dem Umstand, dass das Förderband nicht durch einen persönlich anwesenden Apotheker, sondern durch einen Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten bzw. Apotheker über das Internet gesteuert wird, folgt aber nicht zwangsläufig, dass es sich um einen Versandhandel handelt. Vielmehr wird ein Versandhandel vorliegend künstlich erschaffen.“

Urteil des Verwaltungsgerichtes Karlsruhe




Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Löschung

von Conny am 14.05.2019 um 12:28 Uhr

War klar !!!

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Kompetentes Urteil ... „April, April“ wäre wohl ... ?

von Christian Timme am 14.05.2019 um 2:35 Uhr

Ein „beruhigendes Gefühl“ ... in einem Land zu leben ... wo man es wieder versteht auch „sichtbar gemachte Intelligenz“ zu produzieren ...

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Danke

von Stefan Schwenzer am 13.05.2019 um 19:38 Uhr

Danke an die Richter für dieses klare Statement. Leider scheint es in den Regierungsparteien und Teilen der Opposition dieses Rechtsverständnis so nicht zu geben.

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AW: Danke

von Heiko Barz am 14.05.2019 um 11:59 Uhr

Ja, das ist doch unser Problem. Die politischen Protagonisten beschließen die Gesetze im Bundestag und Bundesrat und dann gibt auch noch der Bundespräsident seine Zustimmung mit rechtsbindender Unterschrift. Nur diese, dem Deutschen Volk in Verantwortung Stehenden mißachten ihre eigenen Gesetze je nach Gusto.
Es ist richtig, dass „Lobbyisten“ im Vorfeld der Rechtssprechung ihre Probleme in die Diskussionen einbringen, sogar müssen, denn die beratenden Ausschüsse müssen auch auf die ihnen unbekannten Probleme hingewiesen werden. Die Vorgaben der Politischen Grundrichtungen spiegeln nicht unbedingt das absolute Wissen wider, was in vielen Fällen aber zwingend notwendig ist. Hin und wieder sollten mit Eid versehene Politiker auch auf ihre Wähler eingehen und ihre persönlichen Meinungen prüfend hinterfragen — zum Wohle des Deutschen Volkes ——-!!!

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