Ex-BND-Chef Schindler

Arzneimittelkriminalität im Darknet: „Das funktioniert wie bei Amazon“

Berlin - 10.05.2019, 16:45 Uhr

Ex-BND-Chef Gerhard Schindler auf der Tagesspiegel-Veranstaltung „Fachforum Gesundheit". (Foto: Robert Schlesinger, Der Tagesspiegel, Fachforum Gesundheit, 8.05.2019)

Ex-BND-Chef Gerhard Schindler auf der Tagesspiegel-Veranstaltung „Fachforum Gesundheit". (Foto: Robert Schlesinger, Der Tagesspiegel, Fachforum Gesundheit, 8.05.2019)


Wie illegal erworbene Arzneimittel in die legale Lieferkette kommen können, zeigte unter anderem die sogenannte Lunapharm-Affäre. Doch wie funktioniert die Arzneimittelkriminalität auf eindeutig illegalen Handelswegen? Der Arzneimittelhandel im Darknet ist eine „sauber durchorganisierte Welt“, weiß Ex-BND-Chef Gerhard Schindler. Auf dem „Fachforum Gesundheit“ am vergangenen Mittwoch in Berlin erklärte Schindler, weshalb Cyber-Ermittlungen so schwierig sind.

Bewertungen vergleichen, in den Warenkorb legen, bezahlen und auf Lieferung warten. Im sogenannten Darknet könnten die Nutzer einkaufen wie bei Amazon, beschrieb der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Gerhard Schindler am vergangenen Mittwoch auf einer Veranstaltung zur Sicherheit von Arzneimittellieferketten, die vom Tagesspiegel organisiert wurde.

Wenn vom Darknet die Rede ist, denken die meisten an Drogen, Kinderpornographie, Waffenhandel oder Auftragsmorde. Aber auch Arzneimittelkriminalität sei in dem verborgenen Teil des Internets sehr verbreitet, so der BND-Chef außer Dienst. An einem Kilogramm Viagra lasse sich um ein Vielfaches mehr verdienen als an der entsprechenden Menge Heroin oder Kokain.

Arzneimittelkriminalität: Keine Top-Priorität für Ermittler

„Arzneimittelkriminalität ist ein Wachstumsmarkt“, so Schindler. Der illegale Cyber-Pharmahandel könne aus mehreren Gründen wachsen und gedeihen. Zum einen seien die personellen Kapazitäten der Polizei begrenzt. Cyber-Rauschgiftkriminalität oder Kinderpornographie hätten für die Strafverfolgungsbehörden eine höhere Priorität. Die Motivation, dem illegalen Medikamentenhandel nachzugehen, sei entsprechend geringer. Wer rezeptpflichtige Arzneimittel im Darknet erwerbe, handele wissentlich illegal und sei an einer eventuellen Selbstschädigung selbst schuld, erklärte Schindler.

Wie funktioniert das Darknet?

Beim Darknet handelt es sich es sich nicht um eine Parallelwelt neben dem Internet, sondern darunter versteht man Webseiten, die gebräuchlichen Suchmaschinen wie etwa Google verborgen bleiben. Die Webseiten-URLs enden meist auf „.onion“ und lassen sich nur direkt, also ohne Suchmaschine, ansteuern.

Um die Darknet-Seiten aufrufen zu können, benötigt man den Tor-Browser, der den Datenverkehr zwischen den Nutzern verschlüsselt. Damit auch die IP-Adresse verborgen bleibt, greifen viele User auf VPN-Verschlüsselungsdienste wie beispielsweise „NordVPN“, zurück. Die Nutzung solcher Anonymisierungsnetzwerke, die nicht nur auf den verborgenen .onion-Seiten funktionieren, muss nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten stehen. Viele Menschen möchten aus privaten oder professionellen Gründen im Netz lieber unerkannt bleiben.  

„Sauber durchorganisierte Welt“

Hinzu käme, dass die Händler durch die Nutzung spezieller Anonymisierungstools und gefälschter Identitäten nahezu unmöglich zu identifizieren seien. Bezahlt werde im Darknet auch nicht mit Kreditkarte, sondern mit sogenannter Kryptowährung wie etwa Bitcoin oder Monero, was für eine zusätzliche Anonymisierung sorgt.

Die illegale Lieferkette sei außerdem komplex. Laut Schindler kann eine typische Darknet-Bestellung in etwa folgendermaßen ablaufen: Der Verkauf wird beispielsweise über einen Server in Malaysia abgewickelt, die Ware aus Kolumbien versandt, die Transaktion von Hintermännern aus den Niederlanden gemanagt und das Paket von einer Person mit gefälschter Identität in Empfang genommen. „Die Arzneimittelkriminalität im Darknet ist eine sauber durchorganisierte Welt“, betonte Schindler. Gefasst würden die Täter vornehmlich an den Schnittstellen zur Außenwelt, etwa wenn der Verkäufer die Kryptowährung in reelle Währung umwandele oder ein Postpaket vom Zoll abgefangen werde.

Gemischte Drogen- und Arzneimittel-Marktplätze

Bei den im Darknet angebotenen Arzneimitteln handele es sich häufig um rezeptpflichtige Lifestyle-Präparate, wie beispielsweise Potenzmittel oder Hormonpräparate. Häufig werde Ware vom Originalhersteller angepriesen, totale „Fakes“ seien eher selten. Da bei den entsprechenden Cyber-Marktplätzen auch Käuferbewertungen zu finden seien, wäre der Verkauf von Placebos nur von kurzfristigem Erfolg gekrönt.

Häufig würden Drogen und Arzneimittel auf gemeinsamen Darknet-Verkaufsportalen angeboten. Vor wenigen Tagen hätten die Behörden einen größeren Marktplatz hochgenommen, der neben Drogen auch über ein „breites Arzneimittelangebot“ verfügt hätte. Der Hauptgrund, das Darknet-Portal auszuheben, sei allerdings der Rauschgifthandel gewesen.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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