RP entzieht Betriebserlaubnis

Einzige Apotheke in Stuttgart-Kaltental muss schließen

München / Stuttgart - 03.05.2019, 07:00 Uhr


Nach 68 Jahren ist Schluss: Die einzige Apotheke im Stuttgarter Stadtteil Kaltental wird in den kommenden Wochen schließen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat der Betreiberin die Betriebserlaubnis entzogen, weil die Räumlichkeiten in dem alten Gebäude nicht mehr den aktuellen Anforderungen für den Betrieb einer Apotheke entsprechen.

Eigentlich hätte Anja Ossenkop noch weitergemacht. Bis zu Ihrer Rente, so war es geplant. Die Apothekerin ist erst 53. Damit hätte sie noch viele Jahre ihre Apotheke im Stuttgarter Stadtteil Kaltental betreiben können. Doch Ende Mai, spätestens Ende Juni 2019 ist Schluss. Nach einer Prüfung durch den Pharmazierat im Auftrag des Regierungspräsidiums Stuttgart ist Ossenkop die Betriebserlaubnis entzogen worden.

Nach den Worten der Apothekerin hatten die Prüfer einiges zu bemängeln: „Sie haben das Labor kritisiert, den zu niedrigen Keller, sie sagten, der Abzug sei nicht richtig angeordnet, die Kacheln hätten Fugen, die Oberflächen seien nicht in Ordnung, die Fenster aus Holz.“ Wie das Gespräch mit den beiden Männern im Detail abgelaufen ist - Ossenkop ihnen allein gegenüber - will sie nicht in der Zeitung lesen. Man hört aber aus ihren Worten heraus, dass es nicht angenehm war. Sie hat ein Schild im Fenster aufgestellt: „Unseren ,Totengräber‘ erreichen Sie beim Regierungspräsidium Stuttgart. Er wird Ihnen die Umstände der Schließung und sicherlich auch seine überaus strenge persönliche Auslegung der Vorschriften zu den Anforderungen an eine Apotheke sicherlich gerne erläutern.“

„Desolater und beklagenswerter Zustand“

Das Regierungspräsidium Stuttgart bestätigt auf Anfrage von DAZ.online, dass die Schwarzwald-Apotheke „routinemäßig gemäß Paragraf 64 Arzneimittelgesetz überwacht“ worden sei. Dabei sei festgestellt worden, dass sich die Apotheke „in einem desolaten und beklagenswerten Zustand befand.“ Wörtlich teilt die Behörde mit: „Die Betriebsräume, die zur Lagerung, Prüfung und Herstellung von Arzneimitteln dienen sollten, entsprachen nicht den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen. Insbesondere die deutlich verschärften hygienischen Anforderungen, die sich aus der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung im Jahre 2012 ergeben - und somit seit vielen Jahren bestehen -, waren nicht umgesetzt. Das Team gelangte zu dem Eindruck, als sei in die Apotheke seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, nicht mehr investiert worden.“

Das Geld, die Mängel zu beheben, kann die Inhaberin nicht aufbringen

Die Apothekenbetriebsordnung schreibt unter anderem vor, dass die Betriebsräume „nach Art, Größe, Zahl, Lage und Einrichtung“ geeignet sein müssen, „einen ordnungsgemäßen Apothekenbetrieb, insbesondere die einwandfreie Entwicklung, Herstellung, Prüfung, Lagerung, Verpackung … zu gewährleisten.“ Außerdem seien die Betriebsräume in einwandfreiem baulichen und hygienischen Zustand zu halten und so anzuordnen, dass jeder Raum ohne Verlassen der Apotheke erreichbar ist (Raumeinheit)“.

Seit 23 Jahren ist Ossenkop in der Apotheke tätig. Anfangs arbeitete sie dort viele Jahre als Angestellte, seit sechs Jahren ist sie Inhaberin. Immer wieder gab es mal Kontrollen durch die Aufsichtsbehörde, immer wieder wurde an dem alten Gebäude auch etwas bemängelt. Aber es waren Dinge, die die Apothekerin beziehungsweise ihre Vorgängerin mit vertretbarem Aufwand beheben konnten. Das, was die Prüfer jetzt zusammengetragen haben, lässt sich nicht mit wenigen Euro ändern, sagt Ossenkop. Da kommen Summen zusammen, die sie nicht aufbringen kann.

RP: „Unsere Arbeit dient der Arzneimittelsicherheit und dem Verbraucherschutz“

Das Regierungspräsidium teilt mit, in Fällen wie der Schwarzwald-Apotheke auf die Forderung nach umfangreichen Investitionen, „die der Apothekenbetreiber nicht mehr tätigen kann oder will“, zu verzichten, wenn auf die Betriebserlaubnis in absehbarer Zeit verzichtet werde. Selbstverständlich habe die Betreiberin aber auch die Möglichkeit gehabt, die „erheblichen Mängel“ zu beheben und die Apotheke dann weiter zu betreiben.

„Dieses Vorgehen erachten wir als fair, entgegenkommend und wirtschaftsfreundlich. Falls dies im vorliegenden Fall von der Apotheke im Nachhinein anderes interpretiert wird, bedauern wir das. Wir können jedoch erhebliche fortwährende Verstöße gegen die apothekenrechtlichen Bestimmungen als Aufsichtsbehörde nicht tolerieren. Unsere Arbeit dient der Arzneimittelsicherheit und dem Verbraucherschutz“, so das Regierungspräsidium.

Zu klein, um wirtschaftlich zu sein

Ossenkop ist sich bewusst, dass ihre Apotheke im Grunde zu klein ist, als dass sie wirtschaftlich geführt werden könnte. Ihre frühere Chefin sagte einst zu ihr als Angestellte: „Auch wenn Sie es nicht glauben, sie verdienen mehr als ich.“ Heute weiß sie es. Entsprechend gering ist die personelle Besetzung. Ossenkop hat eine Helferin, die sie halbtags unterstützt. Approbierte Unterstützung hat Sie durch Ihre Schwester, einer Apothekerin, die dann auch zusammen mit einer sich schon im Ruhestand befindlichen Apothekerin die Urlaubsvertretung übernimmt.

Die Entscheidung, ihr die Betriebserlaubnis zu entziehen, war für Ossenkop ein herber Schlag. Aber auch für Kaltental wird die Schließung der Apotheke ein großer Verlust sein. Es ist die einzige hier. Ein Anwohner hat sich mit einem Brief an das Regierungspräsidium, an den Oberbürgermeister, an den Stadtrat und an die Medien gewandt, um auf die Lage aufmerksam zu machen. Er bittet darum, Wege zum Erhalt der Apotheke zu suchen. Für kranke oder altersbedingt geschwächte Menschen sei es nicht möglich, nach Vaihingen oder Richtung Stuttgart Süd zu fahren, um eine Apotheke aufzusuchen. Kaltental geht nicht ohne Apotheke, so der Bürger.

Die nächsten Apotheken sind gut einen Kilometer entfernt

Auch Ossenkop ist in Gesprächen, um die Versorgung des Ortes nach Schließung ihrer Apotheke zu gewährleisten. Die nächsten Apotheken sind gut einen Kilometer entfernt in Höhenrand und Vaihingen. Vielleicht können diese künftig auch Kaltental beliefern.

Ossenkop hat sich mit der Entscheidung abgefunden. Sie ist bereits dabei, ihr Apothekengeschäft abzuwickeln und verhandelt mit dem Großhandel über das Ende der Belieferung mit Arzneimitteln. Sie dachte, sie würde hier bis zur Rente arbeiten. Nun kommt es ganz anders.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Ein eingespieltes Team

von ratatosk am 03.05.2019 um 9:54 Uhr

So wirds gemacht, erst in Absprache mit den Großkonzernen die Vorschriften überziehen ( siehe auch Schlachthöfe, Gastronomie etc.etc. ) dann wird der Sack zugungsten des Großkapitals dichtgemacht, die schäbigsten Argumenten kommen dann von Lauterbach, den Grünen etc, daß es jetzt ganz toll sei, daß man den Versand habe, obgleich, dann der SPD Heil wieder Krokodielstränen ob der armen Ausfahren auspresst.
Ist wie in GB als der Landadel die Kleinbauern alle mit Verordnungen verrecken ließ , um den Adeligen den Weg für größere Latifundien zu ebnen. War dadurch sogal legat.

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