Faktencheck

Tatort: Mit Coffein die Benzo-Wirkung aufheben – geht das?

Stuttgart - 29.04.2019, 12:50 Uhr

Tatort-Kommissarin Karin Gorniak  (Karin Hanczewski) ermittelte am gestrigen Sonntag in Dresden. (m / Foto: imago)

Tatort-Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ermittelte am gestrigen Sonntag in Dresden. (m / Foto: imago)


Im Dresdner Tatort vom gestrigen Sonntag ging es um einen mordlüsternen Arzt, der seine Opfer ausbluten lässt. Zu Betäubungszwecken zum Einsatz kommt dabei ein Benzodiazepin. Nach Aussage des Gerichtsmediziners soll man die Wirkung mit einem Coffein-Präparat aufheben können. Was ist dran?

Wie kann es sein, dass Ehefrau und Tochter nicht mitbekommen, dass sich der Familienvater nachts aus dem Haus schleicht, um seinem mörderischen „Hobby“ nachzugehen? Diese Frage stellte sich Kommissarin Karin Gorniak im Tatort vom gestrigen Sonntag im Rahmen der Mordermittlung – es geht um einen Mörder, der seine Opfer ausbluten lässt. Im Hausmüll der Familie wird die Polizistin dann fündig: Der Mann – von Beruf Arzt – mischt seiner Familie Benzodiazepine in Speisen oder Getränke, wodurch die von seinen nächtlichen Aktivitäten nichts mitbekommt. „Gibt es ein Gegenmittel?“, will die Kommissarin vom Gerichtsmediziner wissen. Der verneint dies, schließlich handele es sich nicht um ein Gift im klassischen Sinne. Allerdings könne man die Wirkung mit einem Coffein-Präparat aufheben. Ist das tatsächlich möglich?

Gibt es tatsächlich kein „Gegenmittel“?

Klar ist, das klassische Benzodiazepin-Antidot – wie wir Apotheker wissen, gibt es natürlich eines – ist Coffein nicht. Denn das ist Flumazenil (Anexate®), das als reversibler, kompetitiver Antagonist an der Benzodiazepin-Bindungsstelle des GABAA-Rezeptors die Wirkung von Benzodiazepinen und anderen Wirkstoffen, die dort angreifen, antagonisiert. Flumazenil muss allerdings intravenös gegeben werden, weil es bei oraler Gabe einen hohen First-Pass-Effekt hat.

Was macht also Coffein? Das Xanthinderivat hat ohne Frage vielfältige Wirkungen – unter anderem wirkt es anregend auf die Psyche, steigert Antrieb und Konzentration und beseitigt Müdigkeit. In höherer Dosis kommt es auch zu einer Anregung von Atemzentrum und Kreislauf. Auf molekularer Ebene spielt für die Wirkung die Interaktion mit Adenosinrezeptoren die größte Rolle.
Als Antagonist wirkt Coffein selbst allerdings nicht, sondern es schwächt dosisabhängig die Wirkungen von Adenosin ab oder hebt sie vollständig auf. In höheren Dosen verhindert Coffein außerdem den enzymatischen Abbau von cyclischem Adenosin-3',5'-monophosphat (cAMP). Dadurch steigt cAMP in den Zellen an. In der Folge wird die cAMP-induzierte Transmitterausschüttung verlängert. Die Adrenalinwirkung hält so länger an.

Wirkung von Coffein auf Benzodiazepin-Effekte

Auf die Wirkungen von Benzodiazepinen scheint Coffein aber tatsächlich Einfluss zu haben, dazu wird man in der Literatur fündig. So heißt es in dem Lehrbuch „Psychopharmaka: Grundlagen und Therapie“ (Springer Vienna, 2012), dass Coffein im Tierversuch eine Reihe von Benzodiazepin-Effekten hemmt. Dieser Effekt beruhe aber nicht auf einer Wechselwirkung an Benzodiazepin-Rezeptoren, sondern wahrscheinlich auf der Blockade von Adenosin-Rezeptoren. Daraus resultiere eine schwache „background activity“ des ZNS. Ob diese funktionell von Bedeutung sei, bleibe offen. In dem 2009 erschienenen Werk „Psychopharmaka kompakt“ heißt es in Bezug auf Coffein: „In hohen Dosen resultiert auch ein funktioneller Antagonismus gegenüber Benzodiazepinen, da die stimulierende Wirkung der Methylxanthine der GABAergen Hemmung entgegenwirkt. Inwieweit Coffein auch direkt mit GABAA-Rezeptoren interagiert oder die Benzodiazepin-Bindung abschwächen kann, ist noch ungeklärt. Tatsache ist, dass Flumazenil auch toxische Coffeinwirkungen aufheben kann.“ In einem Artikel in der „Pharmazeutischen Zeitung“ von 2001 ist zu lesen, dass unter Coffein-Einfluss die Plasmakonzentration von Diazepam sinke, was zum Teil die pharmakodynamische Wirkung aufheben könne.

Ob es funktioniert hätte, bleibt offen

Somit scheint an der Aussage des Gerichtsmediziners, was den Einfluss des Coffeins auf die Benzo-Wirkung betrifft, zumindest theoretisch etwas dran zu sein. Es gibt wohl einen dosisabhängigen funktionellen Antagonismus – mit unklarer funktioneller Relevanz.

Das Coffeinpräparat, das der Ehefrau von der Kommissarin ausgehändigt wird, kann in der Tatort-Realität das Einschlafen nicht verhindern. Die Ehefrau fällt nach dem Genuss eines Lassi in tiefen Schlaf – wacht allerdings zu früh auf und ertappt ihren Mann auf frischer Tat beim Versuch, die Kommissarin ausbluten zu lassen.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

Häh

von ddee am 12.01.2020 um 3:00 Uhr

Ich check den letzten Abschnitt nicht. heisst das jetzt ja oder nein? Wieso gehts da auf einmal um adrenalin und noch irgendwas anderes? Hebelt koffein nun die benzo wirkung aus oder nicht? Ich hab mal von nem Freund gehört dass EnergyDrinks bei ihm nur die Müdigkeit verringert. Die Wirkung bleibt trotzdem da

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