Beratungsquickie zum Osterwochenende

4 Jahre rezeptfreie „Pille danach“: Was ist neu, was ist wichtig?

Bonn - 18.04.2019, 17:55 Uhr

Seit etwas mehr als vier Jahren dürfen Apotheker die „Pille danach“ ohne Rezept abgeben. (b / Foto: imago)

Seit etwas mehr als vier Jahren dürfen Apotheker die „Pille danach“ ohne Rezept abgeben. (b / Foto: imago)


Seit vier Jahren ist die „Pille danach“ rezeptfrei – am 15. März 2015 gab es die entsprechenden Änderung. Seitdem können Frauen nach einer Verhütungspanne unkompliziert und ohne vorherigen Arztbesuch Notfallkontrazeptiva erhalten – nach entsprechender Beratung. Zum vierten OTC-Geburtstag der „Pille danach" gibt der DAZ.online-Beratungsquickie einen ausführlichen und dieses Mal nicht ganz so „quicken" Überblick – passend zum langen Osterwochenende.

Seit mehr als vier Jahren sind die beiden Wirkstoffe Ulipristalacetat (UPA) und Levonorgestrel (LNG) als Notfallkontrazeptiva nach einem ausführlichen, diskreten Beratungsgespräch durch das pharmazeutische Personal und ohne Rezept von der „betroffenen Person“ zu kaufen.

Allein im Jahr 2017 wurde in deutschen Apotheken 808.000 Mal die „Pille danach“ abgegeben. Je nach Quelle wurden dabei vor allem ulipristalhaltige Präparate eingenommen. EllaOne® und die entsprechenden Reimporte hatten einen Marktanteil von 67 Prozent, die levonorgestrelhaltigen Mittel, also Pidana® und Generika wie Unofem® oder Levonoraristo®, teilten sich die restlichen 33 Prozent.

So wirken LNG und UPA

Bei Levonorgestrel handelt es sich um einen reinen Progesteronrezeptor-Agonisten. Der primäre Wirkmechanismus ist eine Ovulationsblockade und/oder die verspätete Ovulation durch die Unterdrückung des Luteinisierenden-Hormon-Peaks (LH-Peak). Levonorgestrel interferiert mit dem Ovulationsprozess nur, wenn es vor dem Anstieg des LH-Spiegels verabreicht wird. Ulipristalacetat hingegen ist ein selektiver Progesteronrezeptor-Modulator (SPRM), dessen Wirkung auf einer hochaffinen Bindung am Progesteronrezeptor beruht. Als Mechanismus bei der Anwendung zur Notfallverhütung wird ebenfalls die Hemmung oder Verzögerung der Ovulation durch Unterdrückung des Anstiegs des luteinisierenden Hormons (LH) angesehen. Im LH-Anstieg übt UPA zusätzliche zentrale Effekte aus und bremst diesen aus. Dies resultiert in einer Verzögerung des Eisprungs. In pharmakodynamischen Studien konnte gezeigt werden, dass noch während des LH-Anstiegs (circa ab zwei Tagen vor dem Eisprung) UPA den Eisprung wirksam verschieben kann.

Wann eignet sich was?

Tab. 1 Vergleich der Notfallkontrazeptiva

Behandlung Zeitpunkt der Einnahme Wirkmechanismus
Ulipristalacetat 30 mg  

Einnahme so schnell wie möglich

Zulassung bis 120 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr

SPRM mit antagonistischen und partiell agonistischen Eigenschaften

Hemmung der Follikelreifung und Verschiebung der Ovulation

 
Levonorgestrel 1,5 mg   

Einnahme so schnell wie möglich

Zulassung bis 72 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr

Progesteronrezeptor-Agonist

Hemmung der Follikelreifung und Verschiebung der Ovulation

 
Kupfer-IUD bis 120 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr Nidationshemmung, Fertilitätshemmung

Kuperspirale als Alternative

In der Apotheke kann gegebenenfalls die Empfehlung lauten, sich einer gynäkologischen Beratung zur möglichen Einlage einer Kupferspirale zu unterziehen. Diese stellt die sicherste Form der Notfallkontrazeption dar: Alternativ zur „Pille danach“ kann bis fünf Tage nach dem ungeschützten GV und bis maximal fünf Tage nach der erwarteten Ovulation, ein kupferhaltiges Intrauterinpessar (IUP) vom Gynäkologen eingesetzt werden. Das IUP ist das effektivste Notfallkontrazeptivum, da es postkoital über eine Nidationshemmung wirkt.

Zeitfenster der Wirkstoffe beachten

Der Unterschied der Wirkstoffe Levo­norgestrel und Ulipristalacetat liegt unter anderem im empfohlenen Zeitraum der postkoitalen Anwendung. Levonorgestrelhaltige Notfallkontrazeptiva können innerhalb eines Zeitraumes von 72 Stunden (drei Tage) und Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat innerhalb eines Zeitraumes von 120 Stunden (fünf Tage) nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Trotz Erweiterung des Einnahmezeitfensters bei UPA bis 120 Stunden nach GV, bleibt eine möglichst rasche Einnahme der Notfallkontrazeption von großer Bedeutung für eine gute Wirksamkeit. Denn unabhängig vom Wirkstoff sind Notfallkontrazep­tiva nur dann wirksam, wenn sie rechtzeitig vor dem Eisprung eingenommen werden. Da der Eisprung aber individuellen Schwankungen ­unterliegt, ist er nicht exakt vorhersehbar.

Neue Einnahmehinweise in der Packungsbeilage

In über 600 gemeldeten unerwünschten Ereignissen im Zusammenhang mit der levonorgestrelhaltigen „Pille danach“ sind Medikationsfehler aufgrund eines „unangebrachten Zeitplans der Medikamentenverabreichung“ aufgetreten. Das heißt, dass das Notfallkontrazeptivum nicht innerhalb der für die Wirkung erforderlichen 72 Stunden eingenommen wurde. Aufgrund dessen hat das BfArM Ende 2018 eine EMA-Empfehlungen umgesetzt und die Hersteller aufgefordert, die Packungsbeilage mit einem für die Anwenderin deutlich erkennbaren Kasten mit schwarzem Rahmen zu ergänzen. Dort wird auf die schnellstmögliche Einnahme nach GV, vorzugsweise innerhalb von zwölf Stunden und spätestens nach 72 Stunden, hingewiesen.

Abgabe nur im Notfall

Das Beratungsgespräch sollte sich an dem aktuellen BAK Leitfaden „Rezeptfreie Abgabe von oralen Notfallkontrazeptiva, Handlungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer“ (Stand 28.02.2018) orientieren.

Empfohlen wird die Beratung und Abgabe der Notfallkontrazeption nur an die Frau persönlich. Nur dadurch wird gewährleistet, dass die Frau zur Wirksamkeit, zu Gegenanzeigen und Neben­wirkungen sowie zur notwendigen Verhütung im weiteren Verlauf des Zyklus optimal aufgeklärt werden kann. Eine Abgabe erfolgt nur als Notfallkontrazeption und nicht auf Vorrat.

Eine Abgabe an Mädchen unter 14 Jahren wird ohne Einverständnis eines Erziehungsberechtigten nicht empfohlen, und das Mädchen muss einen Arzt konsultieren. Die Entscheidung obliegt aber letztendlich dem Apotheker.

Arzneimittelrisiken erkennen

Die Fragen nach akuten oder chronischen Erkrankungen beziehungsweise der Einnahme anderer Medikamente ist ein signifikanter Punkt des Beratungsgespräches. Es gilt abzuklären, ob die „Pille danach", betroffen sind hier beide Wirkstoffe gleichermaßen, mit anderen Medikamenten eine Wechselwirkung eingeht und die Wirksamkeit dadurch vermindert oder sogar aufgehoben wird. Die Wirksamkeit von LNG und UPA kann durch CYP3A4-Induktoren vermindert werden. Bedeutsam sind Wirkstoffe wie Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Primidon gegen Epilepsie, Rifabutin und Rifampicin gegen Tuberkulose und mit Medikamenten zur Behandlung von HIV-Infektionen, etwa Ritonavir. Frauen, die solche enzyminduzierende Arzneimittel innerhalb der letzten vier Wochen eingenommen haben und eine Notfallkontrazeption benötigen, wird empfohlen, eine nicht-hormonale Notfallkontrazeption zu verwenden, das heißt eine Kupferspirale oder eine doppelte Dosis LNG (zwei Tabletten auf einmal) einzunehmen, wenn diese Frauen keine Kupferspirale verwenden können oder möchten.

Im Falle von schweren Leberfunktionsstörungen darf keiner der beiden Wirkstoffe abgegeben werden. Auch wichtig zu wissen: Bei Verwenderinnen von hormonellen Verhütungsmitteln kann die ovulationshemmende Wirkung von Ulipristalacetat gemindert werden. Daher sollten in diesem Falle bevorzugt ­levonorgestrelhaltige Notfall-Pillen empfohlen werden.

Eine Übersicht über potenzielle Risiken und ob im jeweiligen Fall die Einnahme der Pille danach empfohlen wird, finden Sie am Ende des Artikels.

Die „Pille danach“ und das Körpergewicht

Im Jahr 2013 wurde eine erste Warnung der Firma HRA-Pharma über eine eingeschränkte Wirksamkeit von LNG bei Übergewicht veröffentlicht.
Zwei Reviews, ein europäisches der EMA von 2014 und ein amerikanisches der FDA von 2016, kamen zum gleichen Ergebnis: Die Datenlage war zu schwach und widersprüchlich. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde keine Studie so angelegt, dass eine Gewichtsgrenze, bei der eine Abnahme der Wirkung einer hormonellen Notfallkontrazeption eindeutig zu erwarten ist, festgelegt werden konnte. In der Apotheke erfolgt somit die Abgabe von LNG oder UPA unabhängig vom Körpergewicht oder BMI.

Grenzen der Selbstmedikation

Ein Besuch beim Arzt sollte der Kundin empfohlen werden, wenn der ungeschützte Geschlechtsverkehr mehr als fünf Tage (120 Stunden) zurückliegt. Sollte die Frau einen 100-prozentigen Schutz vor einer Schwangerschaft wollen, ist es wichtig ihr zu erklären, dass dieser Schutz mit der „Pille danach“ nicht gewährleistet ist. Die oralen Notfallkontrazep­tiva bieten laut Studien einen Schutz von bis zu 98 Prozent, je nachdem wie viele Stunden sie nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr­ eingenommen werden. Patientinnen mit schwerem Asthma, die durch Einnahme von Glucocorticoiden behandelt werden, wird die Anwendung von UPA nicht empfohlen. Bei dieser Patientengruppe darf somit nur die Anwendung des Wirkstoffs LNG in Betracht gezogen werden. Außerdem sind beide Wirkstoffe bei schweren Leberfunktionsstörungen kontraindiziert. Treffen diese „Merkmale“ auf die Patientin zu, sind die Grenzen der Selbstmedikation erreicht und die Frau sollte an einen Arzt beziehungsweise Gynäkologen verwiesen werden. Als Alternative werden dann kupferhaltige Intrauterinpessare vorgeschlagen. Schwangere sowie Frauen mit anhaltendem Erbrechen, Diarrhoe oder Malabsorption, früherer Eileiterentzündung, Bauchhöhlen- oder Eileiterschwangerschaft in der Vorgeschichte sollten unter genauer Abwägung der Umstände gegebenenfalls ohne Abgabe eines Notfallkontrazeptivums ebenfalls an einen Arzt verwiesen werden.

Übersicht über Arzneimittelrisiken: LNG, UPA oder Arztbesuch?

Tab. 2 Anwendung der oralen Notfallkontrazeptiva

  Levonorgestrel Ulipristal
Schweres Asthma Ja Nicht empfohlen
Leberfunktions-störungen Nicht empfohlen Nicht empfohlen
Eileiter-schwangerschaft / Eileiterentzündung Ja, Arztbesuch empfohlen Ja, Arztbesuch empfohlen
Schwangerschaft Nein Nein
Stillen Abpumpen, verwerfen der Milch, Stillpause für 8 Stunden Abpumpen, Verwerfen der Milch, Stillpause für 7 Tage
Probleme mit der Nahrungsmittel-aufnahme (z.B. bei Morbus Crohn), Erbrechen, Diarrhoe    Nein Nein
Lactose-Intoleranz / Lactase-Mangel    Nach Abwägung und je nach Schweregrad ggf. Einnahme mit einem Lactase-Präparat möglich Nach Abwägung und je nach Schweregrad ggf. Einnahme mit einem Lactase-Präparat möglich
Wiederholte Gabe innerhalb desselben Zyklus Wird abgeraten Nicht empfohlen
Interaktionen 

Wirksamkeit vermindert durch CYP3A4-Induktoren

Ggf. doppelte Dosis LNG oder Arztbesuch zwecks Kupferspirale

Wirksamkeit vermindert durch CYP3A4-Induktoren

Ggf. Arztbesuch zwecks Kupferspirale oder LNG wenn möglich

Thrombose Ja* Ja
Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Unterleibsschmerzen, Zyklusschmerzen, Zyklusverschiebung und weitere Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Unterleibsschmerzen, Zyklusschmerzen, Zyklusverschiebung und weitere
Erbrechen Innerhalb von 3 Stunden: Einnahme sofort wiederholen Innerhalb von 3 Stunden: Einnahme sofort wiederholen
Schwangerschafts-test bei um mehr als 5 Tage verspäteten Menstruationsblutungen, bei abnormen Blutungen zum erwarteten Zeit- punkt der Menstruationsblutungen oder bei möglichen Symptomen einer Schwangerschaft bei Menstruations-blutungen die mehr als 7 Tage ausbleibt, die Menstruation ungewöhnlich verläuft, oder auf eine Schwangerschaft hindeutende Symptome auftreten

* Korrektur: Der Warnhinweis bezüglich des Thromboserisikos bei Levonorgestrel wurde Ende 2018 entfernt.  Es besteht keine Anwendungsbeschränkung diesbezüglich mehr.



Lars Peter Frohn, Apotheker, Autor DAZ.online
radaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Was bei der Notfallverhütung zu beachten ist

Wettlauf mit der Zeit

Entscheidungshilfen für die Abgabe

LNG oder UPA – das ist hier die Frage

Notfallkontrazeption vom Originalhersteller HRA Pharma

ellaOne bei Verhütungspannen

Levonorgestrel-haltige Spirale zur Notfallkontrazeption

Es muss nicht zwingend Kupfer sein

Welche Verhütungsmethoden es gibt, und wie sicher sie sind

Fisimatenten gemacht?

Notfallverhütung: Ulipristalacetat nicht immer geeignet

Ein Fall für Levonorgestrel

2 Kommentare

Piile danach

von Verena Treese am 24.04.2019 um 9:51 Uhr

"Auch wichtig zu wissen: Bei Verwenderinnen von hormonellen Verhütungsmitteln kann die ovulationshemmende Wirkung von Ulipristalacetat gemindert werden. Daher sollten in diesem Falle bevorzugt ­levonorgestrelhaltige Notfall-Pillen empfohlen werden."
Dieser Sachverhalt ist uns neu!! Wir bitten um Erklärung und weitere Literaturangaben. Gibt es seitens des Herstellers hier eine neue Empfehlung? Nach unserem Kenntnisstand wird von HRA Pharma auch bei Einnahme der Pille Ulipristal als die sichere Möglichkeit angesehen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Piile danach

von Lars Frohn am 24.04.2019 um 19:14 Uhr

Guten Abend Frau Treese,

bisher ist diese These nicht vollumfänglich bestätigt, es gibt lediglich Vermutungen in diesern Studien: Brache V et al.:A prospective, randomized, pharmacodynamic study of quick-starting a desogestrel progesteron-only pill following ulipristal acetate for emergency contraception. Hum Reprod 2015; 30:2785-2793.
Cameron ST et al.:The effects on ovarian activity of ulipristal acetate when ‘quickstarting’ a combined oral contraceptive pill: a prospective, randomized, double-blind parallel-arm, placebo-controlled study. Hum Reprod 2015; 30: 1566-1572

Das HRA Pharma zu diesem Thema andere Studien vorlegt, ist logisch: "HRA Pharma, Keine nachgewiesene Wechselwirkung der Pille Danach mit der regulären Antibabypille".

Wir bleiben dran! Beste Grüße,Lars Frohn

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.